Die Banalität des Bösen
Fontane-Kino zeigt Hannah-Arendt-Film
Kotofeij K. Bajun
„Jede Wahrheit braucht einen
Mutigen, der sie ausspricht“, warb vor einiger Zeit ein Boulevardblatt
um Leserschaft. Hannah Arendt war eine Mutige. Und eine kluge Frau obendrein.
Welches Kompliment man auch an Frau Ilka Körting richten darf,
die für das Fontane-Kino die Filmauswahl und damit wieder und wieder
ins Schwarze trifft. Gerappelt voll nämlich war das kleine Programmkino
an der Havel, als der Margarethe-von-Trotta-Film „Hannah Arendt“
gezeigt wurde. Man rieb sich die Augen: die vier Jahre aus dem Leben
der großen politischen Philosophin, die sich um den Eichmann-Prozess
rankten, reüssierten grandios.
Trottas Streifen, in der Hauptrolle besetzt mit einer starken und doch
gleichzeitig so zerbrechlichen, atemberaubend spielenden Barbara Sukowa,
thematisierte das Werden einer großen Idee, die in ihrem erkenntnistheoretischen
Wert dem der Relativitätstheorie in nichts nachsteht. Unbarmherzig
beschreibt das Werk gleichzeitig das Unverständnis, die Ablehnung,
den blanken Hass, welcher der Enthüllerin einer der schmerzhaftesten
Wahrheiten der Menschheit entgegenschlug. So mochte es Pythagoras ergangen
sein, als er von der Kugelgestalt der Erde sprach; so hasste man Darwin,
der sich nicht scheute, den Menschen seiner tierischen Verwandtschaft
hinzuzugesellen; so hatte man sich über Einstein lustig gemacht,
als dieser verkündete, der Raum sei biegsam wie ein Stück
Kautschuk. Heute alles Allgemeinplätze und nur noch von heillosen
Toren bezweifelt. Arendt postulierte die banale Natur des Bösen,
die sich dort manifestiert, wo der Mensch auf seine Fähigkeit zum
selbstbestimmten Denken verzichtet.
Doch leicht redet einer, der Auschwitz nur dem Namen nach kennt. Was
dort wirklich geschah, kann des Menschen Verstand so wenig abstrahieren
wie den erwähnten, in sich gekrümmten Raum. Und Trotta übersetzt
dies mit aseptischem Blick, distanziert und doch warmherzig und gefühlvoll.
Der ganze Film entkommt kaum dem blassen Sepiaschleier, den man gemeinhin
mit den Anfangssechzigern verbindet, obwohl es auch zu dieser Zeit einen
blauen Himmel und weiße Wolken gab. Doch Filter und Farbton sind
gut gewählt – denn wieder und wieder zitiert die Regisseurin
die Originalaufnahmen vom Eichmann-Verfahren in Jeruschalajim. Die schwarz-weißen
Aufnahmen, die wichtigen Sätze, die Hannah Arendt verstehen ließen,
was die Banalität des Bösen bedeutet – der Film lässt
an Intelligenz und Feinfühligkeit nichts zu wünschen übrig.
Gespannt durfte man der Figur des Hans Jonas entgegensehen, die von
einem impulsiven Ulrich Noethen ausgefüllt wurde. Den Autoren solcher
Standardwerke wie „Der Gottesbegriff nach Auschwitz“ und
„Das Prinzip Leben“ in all seinen menschlichen Befindlichkeiten
zu charakterisieren, seine Schwächen darzulegen, ohne sich über
den großen Philosophen zu erheben – auch dies eine Meisterleistung
durch und durch. Etwas infantil gezeichnet tritt uns die Person des
bedeutenden Zionisten Kurt Blumenfeld entgegen. Der vom Publikum begrüßte
Michael Degen kam jedoch kaum zum Zuge und über einen naiven Trotz
nicht hinaus. Man möchte und möchte Blumenfeld die störrische
Verweigerung nicht abkaufen. Im Freud'schen Sinne findet sich dazu sogar
noch eine Steigerung in der Gestalt des Martin Heidegger (Klaus Pohl)
der neben etwas abgeschmackter Sophistiziererei nicht einmal das philosophische
Format eines mittelmäßig begabten Satyrs präsentiert.
Wurden diese Charaktere von Trotta bewusst in polarisierender Manier
kontrapunktisch angelegt, um die Gestalt der Hannah Arendt dramatisch
zu überhöhen, dann soll des Kritikers Tadel schweigen. Ansonsten
zeigen sich an dieser Stelle die einzigen Wermutstropfen eines kontrastreichen
und präzise akzentuierten Glanzlichts der Filmkunst, das ein vollbesetztes
Haus an der Jahrtausendbrücke bis fast zum Ende des Abspanns ehrfürchtig
auf den Sesseln verharren ließ. Das Einzige, was man vermissen
durfte, war der Applaus, wie er in den früheren Tagen des Kinos
noch durchaus üblich gewesen ist. Der Film „Hannah Arendt“
hätte ihn verdient. So, wie die Dame, die ihn nach Brandenburg
an der Havel holte.