Ein großer Tag für Kram und Trödel
Brandenburger Flohmarkt zog zehntausend Besucher
an
David Katz
Ein Antiquar der vornehmen Berliner
Knesebeckstraße rümpft die Nase: "Flohmarkt, mein Herr,
ich bitte Sie! Wer wird denn...!" Na ja, aber dort hinten im Geschäft,
der Wandregulator mit dem hübschen Pendel und daneben die kleine
Kaffeetasse eines Corps-Studenten aus dem Jahre 1904... irgendwo haben
wir die doch schon mal gesehen. Und nicht nur diese schnuckeligen Artefakte
aus der Vergangenheit, sondern den Herrn Antiquar obendrein in höchst
eigener Person, wie er scheinbar gelassen im Kreise seiner Lieben aber
doch scharfen Auges und hellwachen Verstandes über den großen
Brandenburger Flohmarkt schlendert. Die Angebote von beinahe 400 Ständen
wollen gemustert werden. Etwa 10.000 Besucher tummeln sich auf der temporären
Trödlermeile. Es ist die zu diesem Zweck vollständig abgesperrte
Carl-Reichstein-Straße. "Ach, guten Tag, Herr H.", lautet
der unsichere Gruß des sichtlich verlegenen Antikwarenhändlers
aus dem reichen Charlottenburg. "Ich wollte nur mal der Familie
das schöne Brandenburg an der Havel zeigen, den Dom, die Altstadt...,
und da haben wir beiläufig von diesem Flohmarkt gehört. Meine
Frau – Sie verstehen!" Ja, ja, wir verstehen, die Frau also...
Die sitzt gerade beim Škoda-Autohaus der Mothor-GmbH, die den zum
16. Mal stattfindenden Flohmarkt und eine kleine Oktoberfest-Gaudi ausrichtet.
Von deren Bühne herab zeigen zwei durchtrainierte junge Damen der
Tanzgruppe Bailaro, Mutter und Tochter Doreen und Lilly Charlet, wie
man in einem schweißtreibenden aber launigen „Ganzkörper-Fitness-Party-Workout“
den Körper schlank und gesund erhält. Das gehört zum
Begleitprogramm des Flohmarktes und die Frau Antiquarin hat nur noch
sehnsuchtsvolle Augen für diese Bikinifiguren. Die Kinder interessierten
sich stattdessen für den mobilen Elektroantrieb, den das auch zu
Mothor gehörende VW-Autohaus zum Tagesthema erhob. Mit einem Segway
Personal Transporter, mit dem in einigen deutschen Städten schon
die Polizei unterwegs ist, kann man sich beispielsweise vertraut machen.
Es ist gewöhnungsbedürftig, aber wenn man's erst mal draufhat,
will man nicht wieder absteigen. Vorbei und vergessen das Gemaule am
frühen Morgen: "Äh, Kultur, Flohmarkt, wie öde..."
Aber irgendwann muss man sich losreißen, denn Papa weiß
nur allzu genau, dass dieser Flohmarkt ungehobene Schätze birgt.
Und die Konkurrenz schnarcht nicht. Ladenfrische Sachen dürfen
nicht verhandelt werden, Literatur und Devotionalien aus dunkler Zeit
ebenfalls nicht – aber ansonsten gibt es beinahe nichts, was es
nicht gibt. Vom rostigen 46er Maulschlüssel, einem echten Schusterleisten,
einer niedlichen Keramikente und einem russischen Aufziehwecker, einer
wahren Kolchosentrommel, die seit Jahrzehnten nach wie vor geht, bietet
sich alles, aber auch alles dem Auge der neugierigen Besucher dar. Die
stürmen derweil dermaßen an, dass die Parkplätze der
Umgebung überfüllt sind. Selbst die rechte Spur der Nordfahrbahn
der Magdeburger ist von "ruhendem Verkehr" belegt. Kein Ordnungsamt
in Sicht – wozu auch, hier zu intervenieren wäre sinnlos,
so viele Knöllchen gibt es gar nicht. Auch Frank Buchholz kann
sich über diese Menschenmassen freuen. Der Mitbegründer der
ehemaligen Fahrradausstellung "Olle und Dolle Räder"
beteiligt sich zum achten Mal als Verkäufer am Flohmarkt. Die vier
Euro pro Meter Standgebühr haben sich am Abend doppelt rentiert.
Den tragbaren Fernseher muss er zwar wieder mit nach Hause nehmen aber
der Wecker, der schon seinen vierten Flohmarkt erlebt, trifft diesmal
auf einen glücklichen Fan und neuen Besitzer. Welche Umsätze
an diesem Samstag zwischen 9 und 18 Uhr gemacht wurden, weiß Gott
allein. Mothor will an der Trödelmeile auch nicht reich werden.
"Uns geht's um den Spaß an der Freude. Wir wollen der havelstädtischen
Kulturlandschaft einen weiteren Höhepunkt hinzufügen"
erzählt eine zünftig zum Oktoberfest-Anlass in Lederhose und
feschem Dirndl-Blüschen gewandete Mothor-Mitarbeiterin Cindy Markwart,
Organisatorin und Blickfang von's Ganze. Für einen kurzen Schwatz
zwischendurch reicht die Zeit gerade so. Dann wird die agile junge Frau
wieder nachgefragt. Die nächste Truppe für die Škoda-Bühne
ist am Start, die Hopseburg des Brandenburger Stadtsportbundes ist ausgelastet,
der Flohmarkt brummt, der Nachwuchs quengelt: "Mama, das da...,
ich will aber!", doch Mama zottelt schon wieder weiter. Die Kaffeemühle
dort drüben muss es sein, denn schließlich hatte Oma auch
so eine, "...weißt du noch?"... und die ist schon so
lange weg und muss ersetzt werden, heute, jetzt und unbedingt! Papa,
der Antiquitätenhändler aus dem Berliner Westen, verstaut
eilig aber sorgsam eine kleine Corps-Studententasse. Die darf auf dem
Rückweg in die Hauptstadt nicht kaputtgehen! Ein edles Stück
und ein Schnäppchen noch dazu. Der Händler wußte gar
nicht, was er da hatte. "Ich und Flohmärkte, Herr H., das
geht doch gar nicht zusammen! Wir sind ein etabliertes und seriöses
Geschäft von Ruf! Sie wissen doch!" Na sicher! Ein Schelm,
wer Böses dabei denkt!