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Die Nacht die wil verbergen sich
sensationelles Clemencic Consort interpretiert Glogauer Liederbuch

Kotofeij K. Bajun
Fahl steht der Mond über dem schlafenden Egerbergland. Die neblige Autobahn zieht sich wie eine endlose Schlange durch die weiten, dunklen Berge. Noch fünfundsechzig Meilen bis Berlin. Für den Nicht-Preußen klingt's noch schlimmer: Das sind um die 488 Kilometer. Müdigkeit hat ungebeten aber bestimmt auf dem Beifahrersitz Platz genommen und schickt sich an, nach dem Lenkrad des einsam durch die Nacht rauschenden BMW zu greifen. Doch plötzlich ruft es aus allen vier Lautsprechern herrlich wie der frische Morgen: "Else, Else, Else..." Es ist eine wunderbar freche, volkstümliche Verballhornung ebenso volkstümlicher Frömmigkeit der Hochgotik. Das Latein ist alles andere als lupenrein, aber voller süffisanter Anspielungen auf mal mehr, mal weniger lose Frauenzimmer. Die Schellen frohlocken und in das Lied, das schon ein halbes Jahrtausend alt und trotzdem so kraftstrotzend jung ist wie die Mädchen, die es zitiert, schmettert die liebliche, die alles durchdringende, die jubilierende, das Leben küssende Stimme des kleinen Zinken ein. Güttler Ludwig, wo bist du nun? Wo ist deine Trompete? Wo sind alle Fanfaren dieser Welt? Ja, versteckt euch, verstummt – denn wo ein Zink erklingt, da müsst ihr schweigen! Denn dieser ist euch so himmelhoch über.

Man kommt nicht dazu, sich die Augen zu reiben. Längst ist die Müdigkeit verraucht, verflogen, hat sich schleunigst vom Acker gemacht. Die Hände trommeln gegen das Lenkrad, als wäre es der klingende Schellenring, man grölt mit, unfähig, die feinen, verspielten Töne zu halten, aber egal - das Herz singt mit, das ist entscheidend, nichts anderes! Selbst die vorbeirauschenden Fichten scheinen sich im Takt zu wiegen.

Es ist Musik von der CD "die nacht die wil verbergen sich". In der Tat, das will sie. Es ist Musik aus dem Glogauer Liederbuch von 1480. Es ist Musik, wie sie von herrlichen Stimmen, wunderbaren Vollblut-Musikanten zum Vortrag gebracht wurde, mit Feuer, mit Verve, mit unglaublicher Lebenslust. Clemencic Consort nennt sich die Truppe und geleitet wird sie von René Clemencic. Jeder einzelne der Herren verdient es bei seinem Namen genannt zu werden. Da sitzt neben dem das Orgelpositiv traktierenden und die Blockflöte spielenden Prinzipal Clemencic der Jean-Pierre Canihac, der dem Zink so meisterhaft die Zaubertöne entlockt und den Brummtopf zum lustigen Röcheln und Quaken bringt, da ist der Christoph Urbanetz mit seiner Renaissancegambe. Dasselbe Instrument bedient der Thomas Wimmer, aber der hat auch noch eine Cister im Repertoire und – eine Fidel. Ja, kommt, staunt! Das ist die Fidel, die schon Herr Volker von Alzey singen ließ, als er mit seinem Freunde Hagen von Tronje den Saal der Festung Gran bewachte.

Und dann die Stimmen! Die Stimmen! Markus Forster erklimmt mit seinem Countertenor Höhen, vor denen Sir Edmund Hillary und sein Freund Tensing Norgay kapituliert hätten. Farinelli – ja der hätte noch eins draufgesetzt. Oder vielleicht Kowalskis Jochen. Aber beide sind eben nicht da. Gernot Heinrich hält mit seinem bestimmenden Tenor die Mitte und für die Tiefen sorgt der wohlig-warme Bassbariton des Tim Scott Whiteley. Es ist so schön, den glorreichen Sieben zuzuhören und man hat eine Taste auf dem Autoradio, wenn man die drückt, dann singen sie's noch mal und noch mal und noch mal. Und Mütterchen Elbe strömt beim Wörlitzer Park vorbei, schon ist man durch den Fläming hindurch. Berlin, Brandenburg an der Havel, zu Hause. Quietschvergnügt, mit einem Kribbeln im Bauch, mit einem Lachen im Gesicht. Man hat Musik gehört, echte Musik – nicht jenes dröge Gedudel, mit dem die Dutzendsender ihre Dutzendhörer berieseln und einschläfern. Bumm, bumm, bumm und bla bla bla... Statt dessen kernige Urkraft, strotzende Vitalität... "Zenner, greine! Wie gefällt Dir das: Ich will bei dir am Tisch sitzen und dein Weib ins Maul küssen..." Wie uns das gefällt? Die Frage ist doch nicht ernst gemeint! Ein Gassenhauer, ein Kneipenlied wie es Herr Oswald von Wolkenstein nicht besser hätte singen können, ein über Jahrhunderte spottender Ohrwurm. Rattenfänger von Hameln – spiele das – und wir und alle Rattchens von der Weser wollen danach tanzen! Siebzig Minuten hochwertige Unterhaltung – fünf mal fing die CD von vorne an – dann stand der tapfere BMW in seiner heimischen Garage. Danke, ihr Herren Musici vom Clemencic Consort! Danke für eine großartige Nacht quer durch Deutschland!

Glogauer Liederbuch
die nacht die wil verbergen sich
Geistliche und weltliche Musik der Spätgotik aus Schlesien im Jahreslauf
Clemencic Consort
Oehms Classics
OC 417
www.oehmsclassics.de


 
B
11. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012

30.10.2012