Was sie schon immer über die Kirchen
der Mark wissen wollten
Ein Tagungsbericht als Wegweiser durch märkische
Kulturgeschichte
Kotofeij K. Bajun
Es gibt Leute, denen ist es egal,
wo sie wohnen. Solange ihre Grundbedürfnisse gestillt sind, ist
ihnen die sie umgebende Landschaft wurscht und nicht selten wissen sie
nicht mal den Namen der Kirche, deren Turmspitze bis zu ihrem Balkon
hinüber grüßt. Wozu auch?
Aber dann gibt es da die anderen, die Neugierigen, die, welche mit offenen
Augen durch ihre Stamm- oder Wahlheimat gehen. Und natürlich bleibt
der Blick zuerst am Kirchturm hängen, dessen Eminenz die Silhouette
des Dorfes, der Stadt und manchmal auch der Wüstung weithin sichtbar
überragt. So war das ja auch geplant von den Alten, welche die
Kirche meist schon schufen, als sie selber nur ein dürftiges Dach
über dem Kopfe hatten. Das trifft besonders für die Kirchen
der Mark zu, die nach der erfolgreichen Ostexpansion aus dem kolonisierten
Wendenland emporschossen wie die Pilze. Just derer nimmt sich nun ein
Buch an, das es in sich hat. Nein, es ist nicht bei Prisma in Leipzig
erschienen und plaudert nicht nett daher, wie es einst Klaus Sebastian
mit seinem "Gang durch versunkene Städte" tat: Archäologie
für's Volk...
Bei rechtem Lichte gesehen ist das Werk "Kirchen des Mittelalters"
aus dem im wahrsten Sinne des Wortes erlesenen Michael Imhof Verlag
zu Petersberg in Hessen auch kein Vertreter von Lyrik und Prosa, sondern
es ist ein 312 Seiten starker Tagungsbericht. Da hatten sich im November
2006 in Luckenwalde hochkarätige und im märkischen Sand buddelnde
Archäologen getroffen und Referate ausgetauscht... Sie gähnen?
Das genau sollten sie nicht tun! Nicht bei diesem Buche! Wenn Sie ein
kulturaffiner Brandenburger oder Hauptstädter sind, dann aufgemerkt!
Wollen Sie sich bilden? Wollen Sie Ihre Heimat kennenlernen? Wollen
Sie Ihre Kinder zu achtbaren Vertretern des Bildungsbürgertums
heranziehen? Dann nehmen Sie dieses Buch zur Hand und eine Landkarte
und los geht’s in ein anspruchsvolles Wochenende voller Wissenszuwachs
und spannender Erkundung. Keine Bange: Der Duktus der Autoren kommt
zwar anspruchsvoll und wissenschaftlich einher – man will ja den
Ruf in der Fachwelt nicht gefährden, aber für jeden Leser,
dessen IQ auch nur ansatzweise über dem Gefrierpunkt valuiert,
ist das Ganze verständlich dargelegt. Gutes Kartenmaterial, interpretationsfreundliche
Schemata und Diagramme, Aufrisse und viele Fotos kommen den Ausführungen
wohlwollend zur Hilfe. Da entwickelt Brandenburgs begnadeter Stadtarchäologe
Joachim Müller seine vielbeachteten Gedanken zur Topographie des
Glaubens in einer mittelalterlichen Kommune und lässt den Interessierten
den Weg des Christentums in einer seiner frühen ostelbischen Hochburgen
schlüssig und anschaulich nachvollziehen. Ein paar Seiten weiter
– die Wilsnack! Ein leicht unterbelichteter Zeitgenosse vom oben
beschriebenen Schlage wird jetzt mit glänzenden Augen verkünden:
„Ej, Therme und so... Kenn ick, war ick schon!“ Tun sie
sich keinen Zwang an, verdrehen Sie ruhig die Augen und ignorieren Sie
den offenbaren Spross der Dame Stultitia – SIE wissen, dass natürlich
vom Wunderblut die Rede ist und sowohl Alexander Krauß als auch
Detlev von Olk erklären Ihnen, warum Ihre Augen damals so groß
wurden, als Sie das erste Mal in Wilsnack ankamen und sich völlig
unerwartet die wuchtige gotische Kubatur von St. Nikolai über dem
pittoresken Ackerbaustädtchen der Prignitz mit seinen knapp zweieinhalb
tausend Einwohnern erhob. Ein Sakralbau, den man in einer reichen Hansestadt
vermuten würde – aber ausgerechnet in dieser Kuhbläke?!
Lassen Sie sich belehren – Krauß und Olk schreiben gut und
flüssig und spannend. So wie die anderen Koryphäen, denen
wir in diesem Werk begegnen: Markus Aghte, Stefan Pratsch, Thomas Langner,
Blandine Wittkopp, Heinz-Dieter Heimann von der Potsdamer Universität,
das rührige Ehepaar Zwenger, Uwe Michas und natürlich Dietmar
Rathert aus Brandenburg an der Havel. Das Who-is-Who der Berlin-brandenburgischen
Archäologie und Bauforschung. Mit Rathert erforscht man die kleine,
verschwundene Kapelle im Friedgarten der Brandenburger Domklausur und
macht noch einen Abstecher zum aus Ruinen auferstandenen Paulikloster
der Neustadt Brandenburg. Drei Meilen südlich in der sächsischen
Grenzfeste Eisenhardt zu Belzig erschließt Langner die romanische
Burgkapelle aus der ersten Zeit der Fläming-Burg. Und man bekommt
die Augen nicht los von der ebenso mühe- wie kunstvollen Arbeit
der Alten, wie sie mit ihren Ochsenkarren Findling auf Findling, Kaventsmann
auf Trumm den Berg hinauf geschafft und sauber zu Mauern geschichtet
haben, welche die Jahrtausende überdauern. Und es packt einen,
man greift das Buch, die Landkarte, Mutter pack die Kinder ein –
wir fahren nach Belzig! Man will es selbst gesehen haben, mit eigenen
Augen. Und dann kann man sich vor die Familie stellen und sachkundig
dozieren, zum Beispiel über die befremdlichen Schachbrettmuster
in den Mauersteinen der Kirchen zwischen Spydeberg und Stradow. „Papa,
schau mal, der komische Stein da, was iss'n das...?“ Ja, der Herr
Nachbar steht jetzt ziemlich ahnungslos da, während Sie drauflos
parlieren, als hätten Sie sich nie mit etwas anderem befasst. Sie
haben ja schließlich den Beitrag von Eberhard Bönisch gelesen!
Wie sie einen dann bewundernd anschauen, Muttern mit heimlichem Stolz:
ja, das ist Meiner, den habe ich mir nicht umsonst geangelt; die Kinder
mit Ehrfurcht und Andacht: Unser Papa, was der alles weiß...!
Ja, so ein Buch bildet seinen Mann! Und dass man keinen Stuss erzählt,
dafür sorgt ein hervorragendes Quellenwerk. Lässt sich alles
nachprüfen. Für den interessierten Laien wäre noch ein
Glossar und ein Stichwort- sowie Namensregister ganz proper gewesen.
Das ist der einzige Wermutstropfen – aber man kann eben nicht
alles haben. Dafür ist es ja auch kein Buch im eigentlichen Sinne,
sondern ein Tagungsbericht mit dem Aussehen eines handlichen Folianten.
Und den sollte man sich in den heimischen Bücherschrank stellen
– die vierzig Euro sind sehr vorteilhaft angewendet und uns ist
es eine Freude dieses Buch unseren verehrten Lesern auf das Wärmste
empfehlen zu dürfen!
Kirchen des Mittelalters
Denkmalpflege in Berlin und Brandenburg
Hrsg. Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches
Landesmuseum
Landesdenkmalamt Berlin
in Zusammenarbeit mit der Archäologischen Gesellschaft in Berlin
und Brandenburg e. V.
Michael Imhof Verlag Petersberg 2007
ISBN 978-3-865668-254-3