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Einst und Jetzt
Michael L. Hübner Pünktlich zum Weihnachtsfest liegt es aus und es macht den Eindruck, als würde es unter denen Brandenburgern weggehen wie warme Semmeln. Zu Recht im Übrigen, denn was Autor Thomas Messerschmidt da präsentiert, kommt weitaus professioneller daher, als das oben beschriebene Werk des damaligen Jung-Brandenburgers. Messerschmidt beerbte den großen Köllinger als Chefredakteur des Brandenburger Anzeigenblattes BRAWO und bekam somit die Gelegenheit, sein Faible, das Sammeln alter Postkarten und Stadtansichten, lokalpatriotisch und öffentlichkeitswirksam auf der Seite 2 der Sonntagsausgabe seines Blattes auszuleben. Er tat genau das, worum es nun in dem vorgelegten Büchlein ging und stellte historische Aufnahmen den gegenwärtigen Prospekten gegenüber, begleitet von kurzen, aber außerordentlich sachkundigen Erläuterungen. Mit Erfolg übrigens! Horcht man sich unter den Brandenburgern um, so scheint sich die Attraktivität des Wochenblattes lediglich noch aus jener Sonntagsseite 2, bereichert durch die historischen Streifzüge Manfred Lutzens', und den Sterbeannoncen zu speisen. Der Rest dazwischen wird, mit Ausnahme der Sportseiten, kaum noch wahrgenommen. Und so lag es nahe, dass Messerschmidt irgendwann einmal die Masse der Beiträge sammelte und publizierte. Herausgekommen ist ein im quadratischen Format gehaltener, sehr ansprechender und gekonnt umgesetzter Streifzug durch Vergangenheit und Gegenwart einer Stadt, die von den beiden schrecklichen „K“s, Krieg und Kommunismus, hart getroffen wurde. 42 Vergleiche, deren historische Vorlagen zwischen 1903 und 1940 entstanden, geben in ihrer bildlichen Fortschreibung ein teils erschütterndes Zeugnis von den Wunden, die einem einst starken und progressiven Gemeinwesen geschlagen wurden. Sie künden aber auch von dem Willen und den großen Anstrengungen, diese Wunden zu heilen oder wenigstens, wo das nicht möglich ist, zu kaschieren. Messerschmidts Büchlein ist daher nicht nur für den Lokalpatrioten ein unterhaltsames Muss, es ist ein Zeitdokument. Es dient dem tiefsinnigeren Benutzer als Lehrbuch, das über Faustens „Was du ererbt von Deinen Vätern hast...“ fragend philosophiert und die Antworten gleich mitliefert. Hier werden sowohl Wertewandel und Paradigmenwechsel als auch die Schwankungen ökonomischer Leistungskraft und Kräfteverteilung frappant anschaulich. Man betrachte nur die Fassade eines einzelnen Hauses, welche vor einigen Jahrzehnten noch die Straßenflucht angenehm mit auflockerndem Art déco oder Jugendstil verzierte – jetzt aber als dröge, glatte, graue Wand den Passanten zu erschlagen droht! Dieses „Einst und Jetzt“ ist gewiss keine Aufforderung, in nostalgischer Melancholie zu versinken, gleichwohl bei so manchem Foto das Herz zusammenkrampft – sei es die verlorene Bismarckwarte, die der rote Bilderstürmer Pannhausen in die Luft jagte; sei es das unersetzliche Zentralensemble des stolzen Hauptes der Mark: das Kurfürsten-, das Riedelsche- und das Neustädtische Rathaus, welches auf Einladung des braunen Oberbürgermeisters Sievers von der Roten Armee platt getrümmert wurde. Da wurde dem Marien- oder Harlunger Berge einst die Krone genommen, erst die viertürmige per ordre du roi, dann das Kriegerdenkmal per Beschuss durch die Rote Armee – und was grüßt heute von ganz oben? Richtig, ein seelenloser Hügel als Wasserhochbehälter der Stadtwerke – pragmatisch, kegelig, unansehnlich. Vor dem Hügel reckt sich Pannhausens Aluminum-Phallus in den Brandenburger Himmel... es sind die Bilder hinter den Bildern, die Messerschmidt's Potpourri den eigentlichen Wert verleihen. Des Journalisten präzise Arbeit, die gewiss alles andere als leicht war, seine Standortbestimmung, die Wahl des Bildbereiches, vielleicht auch des Objektives – das alles dokumentiert mit unbestechlicher Schärfe nicht weg zu diskutierende, kaum zu beschönigende Fakten. Aber es fordert auch auf, den Fehlern der Vergangenheit die Stirn zu bieten und die Stadt als lebendigen Organismus wieder auferstehen zu lassen. Viel ist in den Nachwendejahren zur Geschichte Brandenburgs an der Havel veröffentlicht worden. Das Werk Messerschmidt's, das gemessen an den bisher veröffentlichten BRAWO-Beiträgen mit Leichtigkeit auch als Foliant hätte herausgegeben werden können, gehört zweifelsohne zu den wichtigsten Neuerscheinungen auf diesem Gebiet. Möglicherweise wird sich bei dieser Behauptung aus der Ecke des Stadtmuseums Widerstand regen: Hatten doch Katharina Kreschel und Heike Köhler 1995, 2005 und 2008 in zwei Büchlein bereits den historischen Bilderfundus ihres Hauses in ähnlicher Weise unters Volk gebracht. Mit einem signifikanten Unterschied: Die Damen verzichteten auf die Konfrontation mit der aktuellen Situation und damit konnte Messerschmidt den Joker aus dem Ärmel ziehen. Schaut man in die Kreschel/Köhler-Publikationen, so blickt man in die Vitrine eines Museums. Fern und unwirklich erscheint die Welt der Ahnen. Messerschmidt aber schlägt die Brücke in unsere Alltagswahrnehmung von der eigenen Gemeinde, hilft dem Geist auf die Sprünge, schafft Aha-Erlebnisse und überrascht mitunter sogar den ein oder anderen versierten Kenner der Stadt. Nicht zuletzt jenen, der einst mit einer Smena SL an einem ähnlichen Projekt arbeitete und nun die Ehre hat, Messerschmidt's Büchlein zu besprechen. Wem es also nicht egal ist, wo er wohnt; wer sich noch mit seiner Heimat verbunden fühlt, der sollte das Angebot nicht ausschlagen, was ihm der Wahl-Schenkenberger Messerschmidt als Alternative für das obligate Paar Socken und den geschmacklosen Binder unterm Tannenbaum bietet. Zumindest in den Kreisen des Bildungsbürgertums dürfte man mit „Einst und Jetzt - Brandenburg an der Havel“ nichts verkehrt machen können. Einst und Jetzt – Brandenburg
an der Havel |
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012
07.12.2012