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Aschenputtel erwacht
Kotofeij K. Bajun "Sechshundert Jahre trägt dieser Dachstuhl seine Ziegel – und nicht der geringste Schädlingsbefall!" Niemand, der Westphal nicht vertrauensvoll auf die uralten Spitzboden-Bohlen gefolgt wäre. Das atmet alles Solidität, Standfestigkeit, präzise Arbeit von handwerklichen Spitzenkönnern und – es ist einfach nur schön! Westphal zeigt den grandiosen Südostgiebel mit den drei großen Rundblenden und erklärt: "Stellen Sie sich die Situation zur Entstehungszeit vor! Die Häuser bis zur Langen Brücke gab es noch nicht und ein prächtiger gotischer Giebel grüßte 600 Meter bis zum Neustädtischen Rathaus hinüber mit der unmissverständlichen Botschaft: Hier wohnt Geld!" Die ganze Sorgfalt und Kunst, die bei der Aufführung dieses Baukörpers verwendet wurde, verweist auf urbane Macht, Einfluss und Selbstbewusstsein des unbekannten Bauherren. "Ein Saal zehn mal zehn Meter!", schwärmt Westphal, "Einzigartig – und wir wissen nicht, wofür der gedient haben könnte!" Der Boden jedenfalls kann kein Speicher gewesen sein – es fehlen die Ladeluken. Der Architekt ruft jeden Besucher auf, sich gedanklich an der Erschließung eines der wertvollsten Häuser der Havelmetropole und der ganzen Mark zu beteiligen. Wer eine Idee hat, soll sie nicht für sich behalten. Doch vorerst überwiegen die Fragen. Was man mit dem Hause vorhabe, will eine Dame wissen. Verwaltung im Obergeschoss und eine museale Nutzung im Untergeschoss seien angedacht und vielleicht, wenn es optimal läuft, dann könnte man das originale Raumerlebnis wieder weitestgehend herstellen. Die neoklassizistische Fassade zur Ritterstraße hin soll jedoch in jedem Falle erhalten bleiben. Ebenso wird der Deckeneinzug des zweiten großen Umbaus in den 1750ern in seiner Höhe belassen, auch wenn er etwas niedriger als der ursprüngliche ausfällt.
Wenn dieses architektonische Aschenputtel für gerechnete 1,5 Millionen Euro bis 2015 wieder in altem, neuem Glanz erstrahlt, wird sich so mancher Brandenburger über das bisher nur von Kennern beachtete und geliebte Kleinod der Stadtgeschichte verwundert die Augen reiben. Die Nutzungskonzeption sieht vor, dem Gebäude wieder eine Öffentlichkeit zu geben, wenn es diese nicht schon in der Zeit seiner Entstehung besaß. Ein Hinweis darauf könnte laut Marcus Cante die überaus sorgfältige Aufführung sein. Hat sich dieser Glücksfall erst dem letzten Brandenburger erschlossen, besteht wohl künftig keine Gefahr mehr, dass das Gotische Haus jemals wieder in diesen jammervollen Zustand gerät. Der Tag des Offenen Denkmals taugt also zu weitaus mehr, als nur einen alten Brandenburger Zeitungsschreiber und Parteigänger Catos des Älteren glücklich zu machen.
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© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012
12.09.2012