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Neue Grenzen bis ans Limit

Brandenburg droht zur Unzeit eine Verwaltungsstrukturreform

Michael L. Hübner
Wenn Sie denken, der Bau eines Großflughafens wäre schon eine komplizierte Angelegenheit, dann befassen Sie sich mal mit einer Verwaltungsstrukturreform (VSR)! Das erst ein Vierteljahrhundert alte, bundesrepublikanische Land Brandenburg nimmt nun seine dritte Umgestaltung dieser Art in Angriff. Die erste, 1993, nannte sich Kreisreform und ging trotz großen Veränderungsumfangs relativ reibungsarm über die Bühne. Eisenhüttenstatt und Schwedt/Oder verloren damals ihre Kreisfreiheit. 38 Landkreise wurden zu vierzehn verschmolzen, Frankfurt/Oder, Cottbus, Potsdam und Brandenburg an der Havel blieben kreisfrei. Der Grund für die damalige relative Geräuscharmut lag wohl darin, dass die Landesregierung ihr Reformpaket ohne größere öffentliche Diskussion und Beteiligung durchzog. Zehn Jahre später erfolgte die Brandenburger Gemeindereform, in deren Vorfeld es bereits zur Gründung völlig neuer Gemeinden oder gar Städte kam, wie das Beispiel Rosenaus oder Havelsees zeigt.

Verwaltungseffizienz gefordert

Nun sind solche administrativen Neugestaltungen beileibe kein Zeitvertreib sich langweilender oder gar profilsüchtiger Regierungsbeamter. Regelmäßig von hohen Kosten und einem immensen Umstellungsaufwand begleitet – das beginnt bei Stempelneuanfertigungen und endet bei Zuständigkeitsübertragungen und möglichen betriebsbedingten Kündigungen – stehen solche massiven Eingriffe in den gelebten Bürgeralltag nur allzuoft unter einem hohen Rechtfertigungsdruck. Insofern stößt die vom Kabinett Woidke II massiv vorangetriebene Verwaltungsstrukturreform 2019 vielerorts, zumeist an der Basis, auf erbitterte Gegenwehr. Die Landesregierung in Potsdam, die erklärtermaßen auf die anstehenden Veränderungen reagieren will, ehe sie, wie 2010 in Nordrhein-Westfalen geschehen, vom Bundesverwaltungsgericht dazu aufgefordert wird, erläuterte ihr Vorhaben in einem Positionspapier mit dem Titel „Entwurf des Leitbildes für die Verwaltungsstrukturreform 2019“. „Nicht wir verändern Brandenburg“, so Minister Schröter, „Brandenburg verändert sich – und wir haben die Pflicht, darauf angemessen zu reagieren!“

Veränderte Bevölkerungsstruktur

In diesem Papier reklamieren das federführende Innen- und das Finanzministerium für sich, das Land und seine Verwaltungsaufgaben zukunftsfähig gestalten zu wollen ... und zwar, bevor die Dinge absehbar in Schieflage geraten. Was damit gemeint ist? Die Bevölkerungsstruktur wird sich, noch dazu vor dem Hintergrund eines zwar sachten, dafür aber stetigen negativen Wanderungssaldos nicht verjüngen. Gerade die immer weiter auf dem Kopf stehende „Alterspyramide“ stellt Organe der Administration in der Zukunft vor erhebliche Probleme, da die öffentlichen und kommunalen Arbeitgeber in eine direkte Konkurrenz zur freien Wirtschaft um die Besetzung von Fachstellen treten.

Die anhaltende Ausdünnung der Siedlungsdichte in strukturschwachen, also vorwiegend berlinfernen Gebieten führt dazu, dass die Kosten für eine Verwaltung von immer weniger Bewohnern getragen werden müssen. So weit die Argumentation des amtierenden Innenministers. So wurde nach empirischen Erhebungen – eine wissenschaftliche Kalkulation, so Minister Schröter, wäre nicht verfügbar – eine Mindestbevölkerungszahl für einen Kreis oder eine kreisfreie Stadt von 175.000 Bewohnern angesetzt, bei einer amtsfreien Gemeinde seien es 10.000. Mittlerweile könne man sich aber auch regierungsseitig vorstellen, die Zahlen auf 150.000 bzw. 8.000 abzusenken. Im Übrigen beinhalte die VSR, Landesaufgaben im Zuge der geplanten Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung auf die Kreisebene zu übertragen. Bedenken, dies sei von den Kreisverwaltungen nicht mehr zu stemmen, wischte Minister Schröter in seiner Landtagsrede in einer von der CDU anberaumten Aktuellen Stunde vom 19. November 2015 vom Tisch: „Bei der geforderten Umsetzung der Aufgaben von SGB II und SGB VIII haben die Kreisverwaltungen auch gestöhnt: ‚In den angesetzten drei Wochen ist das nicht zu schaffen.‘ Und dann haben sie es doch geschafft! Also werden sie auch damit fertig!“ Diesbezüglich wurde sogar der Vorschlag laut, der zweistufigen Verwaltung Brandenburgs noch eine sogenannte Mittelebene hinzuzufügen.

Andere Gegner der VSR, so zum Beispiel ein Werderaner Abgeordneter, werfen der Regierung vor, die Wege der Bevölkerung zu ihren Ämtern würden sich gerade in den strukturschwachen Gebieten mit ihrem unterrepräsentierten Öffentlichen Personennahverkehr unzumutbar erschweren. Das als Ausgleichsmaßnahme angedachte E-Government – das ist die englische Bezeichnung für eine digitale Kommunikation zwischen Ämtern und Bürgern – würde im Land Brandenburg die unzureichende Infrastruktur nicht kompensieren können. Zu sehr habe man die Versorgung der Flächen außerhalb der Metropolen mit leistungsstarken Kommunikationsnetzen versäumt. Sein Smartphone sei in weiten Teilen Brandenburgs nicht zu gebrauchen und, wie er sich drastisch ausdrückte, „wertloser Elektronikschrott“.

Etliche Bürgermeister, wie zum Beispiel Carl Ahlgrimm von Großbeeren, wenden sich gegen die Reform zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Zwar sei es richtig, Reformen anzugehen, bevor der Bedarf akut wird. Dennoch sei es fatal, im Zuge des angedachten Umbaus eingespielte Verwaltungsstrukturen gerade jetzt zu schwächen, während ihnen, den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen geschuldet, höchste Effizienz abgefordert wird. Zudem sei es unredlich, dass sich das Land mit der Delegation defizitärer Aufgaben an die Kreise offenkundig zu sanieren plane, und diese Maßnahme gleichzeitig propagandistisch als geplante Stärkung der Autonomie der Kreisebene verkaufe. Sinnvoller als eine Veränderung der Kreisgrenzen und Einkreisungen von Städten sei die ernsthafte Verbesserung funktionaler Strukturen mit nachfolgender Zusammenlegung von Gebieten mit ähnlichen Problemstellungen bei dann zu überlegendem gerechten Lastenausgleich.

Wer soll das bezahlen?

Ein wesentlicher Aspekt, der gerade im leistungsstarken Landkreis Potsdam-Mittelmark (PM) für Unruhe sorgt, betrifft den strittigen Finanzausgleich. Mit dezidierten Aussagen zu der Problematik geht das Landratsamt derzeit sehr zurückhaltend um, da nach Auskunft von Landkreis-Sprecherin Andrea Metzler „die Überarbeitung der Leitlinien nach den Gesprächsrunden mit den Kommunen uns noch nicht erreicht haben“. Dennoch wurden die Sorgen des Landkreises in der Vergangenheit mehrmals deutlich artikuliert. Das Oberzentrum am westlichen Rand des Landkreises und von diesem umschlossen ist Brandenburg an der Havel. Nach der mit elf Millionen Euro hochdefizitären Bundesgartenschau des Jahres 2015 steht die Chur- und Hauptstadt mit satten 200 Millionen Euro in der Kreide. Das entspricht mit etwa 2.400 Euro pro Einwohner der zweithöchsten Gemeinde-pro-Kopf-Verschuldung in der gesamten Mark. Sollte also die Havelmetropole ihre Kreisfreiheit verlieren und von PM „eingekreist“ werden, dann ist die Wahl der künftigen Kreishauptstadt noch das geringste Problem. Natürlich verspricht die Landesregierung Ausgleichszahlungen für die teilweise Übernahme der chur- und hauptstädtischen Verbindlichkeiten. Fünfzig Prozent Entschuldung will das Land übernehmen. Schön! Aber außerhalb von Potsdam glaubt niemand so recht daran. Die andere Hälfte bliebe am Kreise hängen. Woher soll PM diese Gelder nehmen? Dass der Landkreis so gut wie schuldenfrei ist, heißt noch lange nicht, dass er im Gelde schwimmt. Von den peripheren Gemeinden, im Klartext Flämingdörfern, ist nichts zu holen. Auch PM ist keine wirtschaftshomogene Verwaltungseinheit ohne Wohlstandsgefälle.

Folgen für die Region

Die betuchten, saturierten Gemeinden, wie beispielsweise die Region Teltow-Kleinmachnow-Stahnsdorf (TKS), winken ab. So erklärt Bürgermeister Michael Grubert (SPD) von Kleinmachnow: „Wir sehen der Entwicklung gelassen entgegen. Mit 43 Prozent Kreisumlage plus 4,71 Prozent differenzierter Kreisumlage ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Höhere Forderungen kann Bad Belzig an uns nicht richten. Mit Kreisumlagen derselben Höhe warten auch Teltow und Stahnsdorf auf. So überweist die Gemeinde Kleinmachnow 2016 bei 22,5 Millionen Euro Einnahmen jetzt schon beinahe 11,5 Millionen Euro an den Kreis, Stahnsdorf 6 Millionen Euro und Teltow 11,9 Millonen Euro. Das sei die Schmerzgrenze, so die drei TKS-Bürgermeister. Wie also sollte der Landkreis 87 bis 100 Millionen Euro mobilisieren, wenn das Land, wie es verspricht, die kreisfreie Stadt nur zur Hälfte entschuldet? Von den armen Fläminggemeinden ist nichts zu holen. Und die strukturellen Schulden blieben ja in jedem Falle erhalten und würden sich erneut auftürmen. In Brandenburg an der Havel steht man der Kreisgebietsreform ähnlich feindlich gegenüber. Oberbürgermeisterin Dr. Dietlind Tiemann (CDU) fährt bei jeder sich bietenden Gelegenheit schwere Geschütze gegen den Verlust der Kreisfreiheit auf. Und das ist sicher nicht nur dem spannungsgeladenen Verhältnis zwischen dem Sozialdemokraten und der Christdemokratin geschuldet. In der Domstadt fürchtet man vor allem um den Verlust von Verwaltungs-Souveränität sowie ein Minus bezüglich der kommunalen Zuweisungen und Einnahmen.

Hier allerdings schlagen die Versäumnisse zu Buche, die sich die Nachwenderegierung Brandenburgs an der Havel hat zuschulden kommen lassen. Sie verpasste in den Neunzigern des letzten Jahrhunderts die Möglichkeiten eines auch von der Europäischen Union großzügig geförderten Strukturwandels, verschenkte das immense Potential der Hansestadt in Größenordnungen. Die dadurch verursachten Wettbewerbsnachteile sind trotz der sehr erfolgreichen kommunalen Konsolidierungspolitik seit 2003 nicht mehr wettzumachen.

Flüchtlingsansiedlungen werden Bevölkerungsverluste kaum ausgleichen können

Einwände, die massiven Flüchtlingsbewegungen, die erwarten ließen, dass sich ein Großteil dieser Menschen auch im Lande dauerhaft niederlässt und damit alle Analysen der letzten Jahre konterkariert, will Minister Schröter nicht gelten lassen. So sei es keineswegs gesichert, dass man diese Neubürger dazu bewegen könne, durch gezielte Ansiedlung in den ausgebluteten Gebieten der Mark die dortigen Bevölkerungsverluste auszugleichen. Nachzutragen wäre in diesem Sinne auch, dass es, selbst wenn unter diesen Neubürgern Fachkräfte zu finden wären, die qualifizierte Berufe in ihren Heimatländern ausgeübt hätten, langer Zeiträume bedürfe, sie in den deutschen Arbeitsmarkt mit seinen spezifischen Anforderungen zu integrieren. Ein hochrangiger Vertreter der deutschen Industrie verkündete jüngst lakonisch: „Leider passt sich der deutsche Arbeitsmarkt keineswegs dynamisch den Fähigkeiten und Qualifikationen der Zuwanderer an, sondern entwickelt durchaus eigene Vorstellungen über seinen Bedarf.“

Doch noch befindet sich das langfristig notwendige Reformprogramm in der Diskussions- und Entwicklungsphase, wenn auch von der Landtagsopposition beklagt wurde, dass die Regierungsvertreter auf den 18 bisher stattgefundenen Leitbildkonferenzen nur richtungsweisend monologisiert hätten, statt in einen echten, lösungsorientierten Dialog zu treten. Mittlerweile ist die Notwendigkeit zur Reform allgemeiner Konsens. Nur über Art und Umfang wird noch vehement gestritten. Erst im Sommer 2016 soll das Leitbild in die endgültige Form gegossen und dann zur parlamentarischen Beschlussfassung vorbereitet werden. Bis dahin kann noch viel passieren.

24. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
26.01.2015