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Moskau-Berlin-Potsdam
Das Deutsch-Russische Forum gab einen Empfang in der Bergmann-Villa


Alt-Ministerpräsident Matthias Platzeck auf dem Deutsch-Russischen Forum in der Potsdamer Bergmann-Villa

Michael L. Hübner
Es ist ein exklusiver Versammlungsort, den AGIT – Agentur für integrierte Kommunikation – , sowie Goldenstein und Partner für die Ausrichtung ihrer Potsdam Lounge am 22. Januar 2015 wählte: Die Villa Bergmann in der Potsdamer Berliner Vorstadt ist die Wohnung und Praxis des berühmten Chirurgen Ernst von Bergmann gewesen, des Namensgebers des Potsdamer Ernst-von-Bergmann-Klinikums.

An diesem Ort fand also das Deutsch-Russische Forum statt, dessen Vorsitzender Matthias Platzeck ist. In der aktuellen massiven Spannungslage zwischen Berlin und Moskau unter dem Eindruck der Ukraine-Krise tat es gut, etwa 130 geladene Gäste anzutreffen, denen der vorherrschende, durch die Bundesregierung gestützte, antirussische Kurs völlig abging. Das Ereignis wurde so massiv frequentiert, dass noch einmal so viele Interessenten ausgeladen werden mussten, weil die Kapazität des noblen Hauses dem Ansturm doch nicht gewachsen war. Viel märkischer Mittelstand war vertreten. Aus gutem Grunde. Leidet doch der Mittelstand des Landes Brandenburg und der deutschen Hauptstadt besonders unter der Embargo-Politik gegen Russland. Die Exporte brachen ein, wenngleich Wirtschaftsminister Albrecht Gerber in einem Gespräch mit dem Teltower Stadt-Blatt Verlag betonte, es sei bisher zu keinen signifikanten Einbrüchen gekommen. Nach Gerbers Deutung lagen die Gründe für diesen begrüßenswerten Umstand in der Flexibilität der märkischen Exporteure und Dienstleister, die rechtzeitig auf andere Märkte ausgewichen sei. Überhaupt wären die wichtigsten Abnehmer seit je Polen, Frankreich, die Benelux-Staaten, die USA und Kanada. Vor Ort jedoch wurden die Klagen lauter.

So wurde Alt-Ministerpräsident Matthias Platzeck begeistert empfangen und seine Rede ebenso empathish aufgenommen. Brandenburgs Deichgraf war an diesem Tage um halb Vier Uhr in Moskau aufgestanden, hatte eine Unterredung mit dem Duma-Präsidenten und musste während dieses Gespräch über die Television mit ansehen, wie das schaurige Attentat in Donezk dreizehn zivile Busreisende tötete. „Seht her, das waren eure Freunde!“, wurde er von den Russen entsetzt unter Anspielung auf die Liaison Europas, und speziell Deutschlands, mit der Ukraine hingewiesen.

Platzeck war sichtlich erschüttert. Dennoch verteidigte er vehement seine Linie, die Gespräche nicht abreißen zu lassen. Der Moderator des Abends, Professor Wirsch brachte es auf den Punkt. Wenn jemand meine, die gegenwärtige Lage sei zum Zerreißen gespannt, so irrt er sich: Es sei weitaus gefährlicher, als man sich das überhaupt vorstellen könne. Platzeck warb erneut um das Verständnis für die historische Entwicklung und das daraus resultierende Selbstverständnis Russlands. Hinter vorgehaltener Hand lautete die Zustimmung aus dem Auditorium dahingehend, dass der Westen endlich aufhören möge, Russland nach Kolonialherrenart mit seinen Demokratievorstellungen beglücken zu wollen. Russland hätte sich in seinem eigenen System eingerichtet, mit dem es ganz gut auskommt. Und Platzeck warnte eindrücklich davor, den möglicherweise im Kreml nicht mehr über seine gesamte Machtbasis verfügende Zar Wladimir noch weiter zu destabilisieren. Wenn Wladimir ginge, dann wäre da weit und breit kein gleichwertiger, sprich europa- und vor allem deutschfreundlicher Zar in Sicht. Das könne man sich in Deutschland nicht wünschen, wenn man noch einen Funken Verstand hat. Ein instabiler oder europaphober Kreml bläst den Klerikalnationalisten ins Horn und bringt Mütterchen Russland aus dem Gleichgewicht. Dazu zitierte Platzeck Egon Bahr, der einst meinte, die USA wären unverzichtbar – Russland aber sei unverrückbar. Der Entzug der Rolle Russlands als Hegemonial- und Supermacht hätte das Riesenreich schwer verwundet. Aus diesem Trauma könnten Strömungen erwachsen, die dem Abendlande weitaus gefährlicher werden könnten, als der jetzige Ukraine-Konflikt. Auf Amerika angesprochen, versicherte Platzeck der „Schutzmacht“ Europas seine kritische Loyalität, gab aber auch die Anekdote zum Besten, die ihm in Washington gesteckt wurde: Dass nämlich, während die europäischen Exporte nach Russland massiv einknickten, das Handelssaldo der Vereinigten Staaten von Amerika im selben Zeitraum um 17 Prozent stieg. Bezeichnender für die Attitüde der Amerikaner geht es kaum noch! Die USA hatten bei den Anwesenden dieses Abends sowieso einen schweren Stand, was auf einen überprozentualen Anteil an Ostelbiern schließen ließ, deren Moskau-affine Haltung sich in den den letzten 25 Jahren nicht geändert zu haben scheint.


In Bezug auf den Tenor des Abends sei noch einmal Wirtschaftsminister Albrecht Gerber zitiert: Handelsnationen sind friedliche Nationen, denn sie realisieren als erste, dass der andere auch leben muss – man hätte denn niemanden mehr, mit dem sich Handel treiben können. Wirtschaftliche Kontakte sind in der Regel politische Türöffner.

Für einen Punkt war das Auditorium seinem Referenten besonders dankbar: Während die Bundesregierung sich medial sehr aufopfernd um die Flüchtlinge aus allen Gebieten der Welt bekümmert, deren Krisen durch die deutschen Rüstungsexporte erst richtig angeheizt werden, fallen die 800.000 Flüchtlinge aus dem Donbass und der gesamten Ostukraine einfach hinten runter. Platzeck berichtete von seinem Treffen mit dem Gouverneur von Twer. Dieser musste er die Tagung kurzfristig unterbrechen, weil gerade eine Flüchtlingswelle von 2.000 Vertriebenen seine 400.000-Einwohner-Metropole überrollte. Turnhallen und Notunterkünfte, Versorgungsmittel und eine entsprechende Infrastruktur mussten zügig zur Verfügung gestellt werden. Wo hilft Deutschland? Wo, zum Teufel? Wo ist der mediale Aufschrei!

Das russische Bärchen, dass momentan von einer Meute reißender Jagdhunde umgeben ist, die einen desolaten und unsinnigen Kampf bis aufs Messer wollen, hat im Okzident jeden einzelnen Sympathisanten nötig. Der Abend in der Bergmann-Villa hat gezeigt, dass Moskau noch Freunde hat, die es nicht nötig haben, sich in einem undifferenzierten Kotau vor dem Weißen Haus im Staub der amerikanischen Hauptstadt zu wälzen. Es bleibt dabei – zumindest für Preußen: Der russische Rock wird uns immer näher sein, als die amerikanische Hose!

24. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
25.01.2015