|
Vom
Reichsaffenstall zur Bundesnebelkerze
B. St. Fjoellfross
Der Sejm wollte zum Schluss der Gierek-Ära keine Ja-Sager-Bude mehr sein. Auch die Volkskammer träumte in ihren letzten Tagen davon, keine homogene Abstimmungsmasse für die herrschende Senioren-Clique mehr zu sein. Der Bundestag war da doch ein leuchtendes Vorbild! Hier wurde im Plenum debattiert, hier flogen die Fetzen, hier fanden coram publicum heroische Schlachten auf dem Gebiet der Rhetorik statt. Zwischenrufe und Gebrüll begleiteten das Palaver. Und dann wurde abgestimmt. O du selige ... !
Was die dummen, gutgläubigen, ostdeutschen Bewunderer dieser parlamentarischen Praxis nicht sahen und auch nicht sehen konnten, war das, was die transparenzbeflissenen Parlamentarier der Gegenwart "Dem Deutschen Volke" heute nicht gerne zeigen. Man redet nicht drüber ... Es ist die Seuche des Lobbyismus. Es ist das Myzel der potenten Interessenartikulation, das aus der Wirtschaft bis in die letzten Winkel des Reichstages hineinkraucht und es überwuchert, wie ein gieriger Schleimpilz. Die Abgeordneten wären frei in ihren Entscheidungen und nur ihrem Gewissen verpflichtet? Das ist des Witzes zweiter Teil! Wer je die Aufführungen der Augsburger Puppenkiste genoss, der weiß wohl, dass sie von denen der Berliner Puppenkiste um ein Vielfaches übertroffen werden. Überhaupt wäre die Vorführung der Augsbuger Puppenkiste an den Schulen der Deutschen Bundesrepublik der denkbar anschaulichste Politik- und Gesellschaftskundeunterricht. Alles andere fällt unter die Kategorie "frühzeitige Volksverblödung"!
Gähnten die Plenarsitzungen der Volkskammer schon vor tödlicher Langeweile – diejenigen des Bundestages werden dieser zweifelhaften Qualität – in anderer Form – ebenso gerecht. Man wohne ihnen bei, beobachte, höre! Das ist kein auf Überzeugung des politischen Widersachers gerichteter Diskurs. Das ist ein Monologisieren, bestenfalls gerichtet an das Publikum an den Fernseh- und Rundfunkgeräten in der Republik, um das Wahlverhalten zu beeinflussen. Nicht einmal die Große Vorstellung rhetorisch geschulter Demagogen oder Tribune wird dem Plebs mehr geboten. Es ist wirklich ein Trauerspiel. Selbst wenn der Abgeordnete der gegnerischen Fraktion etwas Vernünftiges sagt, verbietet sich die Opposition den Applaus. Da sitzen hochbezahlte Marionetten und Erfüllungsgehilfen ihrer mächtigen Auftraggeber aus der Wirtschaft. Sie spielen mit ihren Mobiltelephonen und ihren Tablet-Rechnern. Sie quatschen ungeniert mit dem Nachbarn, anstatt dem Redner zuzuhören. Beinahe alles, was im Plenarsaal abläuft, ist eine deutliche Persiflage auf die Idee einer demokratischen Meinungsfindung. Es ist ein hochbezahltes Kasperletheater.
Womit ja nicht bestritten sein soll, dass im Reichstag und seinen Nebengebäuden keine Hohe Politik betrieben würde. Das passiert in den Ausschüssen, in denen die Intentionen der verschiedenen Lobbyisten durch die Münder ihrer abgeordneten Interessenvertreter aufeinander treffen. Das geschieht in den Hinterzimmern des Plenarsaals, in den Abgeordneten-Büros, in den einschlägigen Restaurants ringsumher. Davon wissen die vielen Broschüren der Reichsnebelkerze nur wenig zu berichten. Mit nur einem einzigen Stichwort ist die "Lobbyliste" im Lexikon der parlamentarischen Begriffe des Deutschen Bundestages vertreten. Aber exakt das ist der politische Dreh- und Angelpunkt. Eine schöne Kulisse für das doof staunende Volk, das mal etwas mehr darüber erfahren möchte, wie über sein Geschick entschieden wird. Haben wir eine Alternative anzubieten? Nein, haben wir nicht. Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient. Der Deutsche Bundestag ist lediglich ein Spiegel seiner Volks-Basis. Der Trost? In jeder offenen Diktatur geht es noch schlimmer zu. Denn hier lässt man uns wenigstens die Illusion von Freiheit und Selbstbestimmung.
|
24.
Volumen |
©
B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009 21.12.2015 |