Armee streicht den Zapfen – der Anstand
die Segel
Christian Wulff ist nicht zu bremsen oder wie
man die Peinlichkeit zum Staatsakt erhebt
B. St. Fjøllfross
Was der Mann da treibt, ist schlicht ungeheuerlich. Hat Christian Wulff
keinen Instinkt, kein gesundes Moralempfinden, keinen ethischen Riecher,
keine Ehre im Leib oder keinen Verstand im Kopf? Während diese Zeilen
geschrieben werden, quält sich in Berlin das unwürdigste, das peinlichste
Staatsspektakel über die Bühne, seit Erich Honecker im Palast der Republik
den 40. Jahrestag der Gründung der DDR masturbierte. Mein Gott, Krischan!
Man glaubt es nicht. Helmut Schmidt donnert ihn an, Politiker aller
Couleur äußern sich bestürzt, Volksumfragen valuieren mit regelmäßig
weit über 80% (!) gegen den Zapfenstreich, jeder Politikstammtisch in
den öffentlich-rechtlichen Sendern ist sprachlos und rät mal vehement,
mal im gütig beratenden Tonfall, vom Großen Zapfenstreich abzusehen.
Es hilft nichts: Der rasende Christian ist nicht aufzuhalten. Er zieht
gnadenlos durch. Alles legal – so wie damals, als er noch Schnäppchen
jagender Ministerpräsident der Hannover-Connection war. Der Mann ist
schmerzfrei und schamlos bis zum Erbrechen. Nun stellt sich heraus,
Christian Wulff war nicht der oberste Repräsentant aller Deutschen,
sonder der Vater aller Raffkes. Alles, alles nimmt er mit: den „Ehrensold“,
dessen Auszahlung an Christian Wulff alleine schon das schöne deutsche
Wort „Ehre“ mitsamt seinen Inhalten desavouiert. Büro, Dienstwagen,
Chauffeur, Sekretärin und Referent werden eingefordert. Altkanzler Schmidt
sagte treffend, Wulff habe nicht nur das Amt des Bundespräsidenten,
sondern gleich die ganze politische Kaste demontiert. Wir tuten in dasselbe
Horn und legen noch ein paar Akkorde nach: Die Nazis können sich abstrampeln
wie sie wollen, um die Demokratie zu Fall zu bringen – was die diesbezügliche
Wirkungsmächtigkeit eines Christian Wulff betrifft, haben sie nicht
den Hauch einer Chance. Nachdem Wulff nun auch noch die wenigen anständig
gebliebenen Politiker im Pauschalurteil des Volkes gleich mit in den
Dreck gezogen hat, wer wollte da noch mit einem Urnensturm bei den nächsten
Wahlen rechnen! Wulff hat Vertrauen vernichtet, den Rest des Vertrauens,
den das Volk noch zu seinen politischen Vertretern hatte. Das ist das
eigentliche Verbrechen. Aber es ist nicht justiziabel. Leider. Es ist
juristisch nicht greifbar. Christian Wulff bleibt stets streng im gesetzlichen
Rahmen... Mene mene tekel... Christian Wulff wurde gewogen, gemessen
und zu leicht befunden. Desungeachtet wird er, solange er noch anstands-
und würdelos lebt, dem deutschen Volke schwer auf der Tasche liegen.
Das Menetekel aber gilt unserer Zukunft, der Zukunft der deutschen Demokratie:
Das Volk diskutiert bereits Sinn und Unsinn des Bundespräsidenten-Amtes.
Was werden die Deutschen als nächstes diskutieren? Sinn und Unsinn des
Parlaments? Wir wissen, was danach kommt. Die einzigen, die nunmehr
zu beneiden sein werden, sind Sekretärin, Referent und Chauffeur des
unseligen Krischans. Heidewitzka – wird das ein faules Leben im Schlaraffenland!
Vielleicht einmal im Monat nur werden sie ihrem Chef einen Vortragstermin
vor Paten der Unterwelt, halbseidenen Gannefs und anderem Gelichter
organisieren, die an der maximalen Abschöpfung der legalen Möglichkeiten
interessiert sind. Wer anders wird sich wohl kaum noch mit dem gescheiterten
Ex-Präsidenten sehen oder gar ablichten lassen. Nun dröhnen in Bellevue
die Pauken und Drommeten. Besser wäre gewesen, Wulff hätte den prägnanten
Rat eines kernigen Bayern nicht verschmäht, der da lautete: Schleich
di! Ja, schleichen, leise, sachte, verschämt von dannen schleichen und
das Maul halten... Aber das können sie nicht, solche Mitnehmer und Alphatierchen
wie Christian Wulff. Das passt nicht in ihren Horizont. Das hätte etwas
mit menschlicher Größe und Demut zu tun, mit Verantwortungsbewusstsein,
Stärke und einem Gefühl für's Amt. In seiner kurzen Zeit in Preußen
hat der Niedersachse Wulff anscheinend nicht mal ein Molekül dieser
preußischen Tugend in die Nüstern bekommen. Alle Rezeptoren waren besetzt
von der Witterung nach dem nächsten persönlichen Vorteil! Christian
Wullf ist als Präsident und Mensch ein Debakel für die Republik. Gerne
riefen wir ihm hinterher: Fort mit Schaden! Wenn der Schaden nur nicht
so immens wäre! König Friedrich der Große von Preußen, dessen 300. Geburtstag
das Jahr dieses Schmierentheaters fällt, und sein Vater hätten gewiss
mit dem Buchenknüppel dreingedroschen. Sie verstanden sich noch als
erste Diener des Staates, den sie immer vor die eigene Person zu setzen
suchten. Insofern führte uns die lichte Präsidialzeit Christian Wulffs
zurück in eine Zeit der feudalen Duodezfürsten, weit, weit vor der Aufklärung.
Merci, Monsieur Le President! Merci, für den gesamtstaatlichen Ausflug
in die Gefilde des finsteren Mittelalters! Die preußischen Könige sind
tot und eine deutsche Armee bläst einem gewesenen deutschen Präsidenten
den Marsch – nur eben nicht den richtigen!