|
Ein Professor als Schulmeister
Jules-Francois S. Lemarcou Dass bei den gegenwärtig bestehenden Rahmenbedingungen, wozu sowohl die personelle als auch die bauliche Ausstattung der Schulen zählt, das Projekt Inklusion als gelinde gesagt ergebnisoffen eingestuft wurde, verwunderte lediglich den Gast aus Berlin. Auf kritische Fragestellungen und Lagebeschreibungen der Kollegen an der pädagogischen Front reagierte der emeritierte Erziehungswissenschaftler aus dem Elfenbeinturm gereizt und kanzelte gestandene Brandenburger Schulleiter und Rektoren ab wie ungezogene Schulbuben. Dabei kam in einem Diskussionsbeitrag zum Ausdruck, dass die an sich begrüßenswerte Idee der Inklusion teils als von „oben“ aufoktroyierte Kopfgeburt empfunden werde, die nur dann eine reelle Aussicht auf Erfolg hat, wenn sie von den Pädagogen mehrheitlich gewollt und von den Eltern in ihrer ganzen Komplexität verstanden wird. Die Frage nach einem Scheitern aber ließ Preuss-Lausitz, genau wie seinerzeit Bildungsministerin Münch, gar nicht erst zu: „Was sind denn Kriterien des Scheiterns?“ fragte der streitbare Professor herausfordernd in die Runde. „Was kann uns denn passieren, was wir nicht schon aus dem bisherigen Schulsystem her kennen?“ Zwischen den Zeilen der vehement vorgetragenen Alternativlosigkeit aber schimmerte immer wieder der ökonomische Handlungszwang. Vor der Kulisse eines sich mehr und mehr verknappenden Landesbudgets mag die Auflösung von Sonder- und Förderschulen sinnvoll erscheinen. Befürchtungen aber wurden laut, dass die gute Ausstattung der Pilotschulen nicht flächendeckend zu halten sein wird, ähnlich wie bei der Eröffnung eines Supermarktes, der nur am ersten Tage alle Kassen besetzt. Eine überzeugend wirkende Attraktivitätsdemonstration eben. Werden aber die Lehrer durch die Inklusion gezwungen, sich nicht nur einfach, sondern den Förderprofilen der zu beschulenden Kinder entsprechend mehrfach auf ein und dieselbe Unterrichtsstunde vorzubereiten, so würde dies absehbar zu einer Überlastung und nachfolgendem, krankheitsbedingtem Ausfall führen. Schon jetzt sei die Personaldecke dünn und brüchig, der pädagogische Nachwuchs bleibe aus. Insbesondere die Ausbildung von Sonderpädagogen und die Bemühungen, diese im Lande zu halten, seien von der Brandenburgischen Regierung jahrelang sträflich vernachlässigt worden. Das könne man nicht mit Ferienkursen kompensieren, wie in der Diskussion verlautbart wurde. Preuss-Lausitz`s Verweis auf internationale Erfahrungen sind ebenfalls mit Vorsicht zu genießen. Vollkommen unterschiedliche, historisch begründete sozio-kulturelle Mentalitäten lassen sich nicht ohne weiteres gegeneinander evaluieren. Unverdrossen aber beharrte der Professor auf seinem Standpunkt und begegnete einer Frage PreußenSpiegels mit der Feststellung: „Bei der Inklusion handelt es sich nicht um ein Experiment, denn wir bewegen uns hier nicht in der Naturwissenschaft!“ Das zumindest lässt aufhorchen. Testet ein Automobilbauer einen neuen Kraftwagentyp, so schickt er zunächst sogenannte Dummies in den Crash-Test. Hier jedoch stehen echte Kinder unabgefedert für Sieg oder Niederlage eines pädagogischen Großprojekts von Erwachsenen ein, dessen einige Protagonisten sich erklärtermaßen der zu erwartenden Vielzahl von Problemen erst dann stellen wollen, wenn sie akut werden.
|
21.
Volumen |
©
B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009 24.04.2012 |