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Piraten Ahoi!
Der orange Jolly Roger entert nun auch den Kieler Landtag

B. St. Fjøllfross
Braucht Deutschland die Piraten? Das ist wohl die schwierigste Frage im Kontext der überfälligen Neuorientierung der gegenwärtigen Parteienlandschaft. Obgleich der Preußische Landbote dieser jungen Kraft im demokratischen Spektrum skeptisch gegenübersteht, wollen wir sie nüchtern betrachten. Als erstes irritiert uns, die wir es gewohnt sind, dem oftmals sehr oberflächlichen Wortgebrauch der Menschen sehr genau nachzuspüren, die Namensgebung selbst. Denn sie verrät uns viel über den Geist, welcher die neue Bewegung umtreibt: Piraten... Was sind denn Piraten? Es sind Freibeuter, die sich aus dem Raum anerkannter Gesetze hinaus begeben, um denen, die noch darinnen weilen, mit Gewalt das Eigentum nehmen. Sie wenden ausschließlich das Recht des Stärkeren an und begehen augenscheinlich Unrecht. Was also will man plakatieren, was zum Ausdruck bringen, wenn man sich mit einem solchen Namen versieht?
Piraten sind in aller Regel keine Robin Hoods. Sie nehmen nicht den Reichen, um den Armen zu geben. Sie geben sich selbst. Und damit berauben sie sich einer letzten Legitimation ihres gesetzwidrigen Vorgehens: der gesellschaftlichen Umverteilung von Eigentum zugunsten der bislang Zukurzgekommenen und zu Lasten der Privilegierten. Und ergo hat die Konnotation des Begriffs „Pirat“ bei uns nicht den positiven Beigeschmack von verwegenen, „freiheitsliebenden“ Abenteurern sondern den negativen Besatz von egozentrischen Gesetzesverächtern.
Nun kann man einwenden, die Gesetze, von denen sich die Piraten aller Epochen verabschiedeten, seien von eben jenen Privilegierten formuliert worden, welche Schwächere bewusst nur zur Ausbeutung benutzten oder sie aber, wenn aus irgendeinem Grunde aus ihnen nichts mehr herauszuholen war, aus der Reichweite des Gesetzes verdrängten. Die Piraten hätten sich also nur das zurückgeholt, was ihnen unrechtmäßig vorenthalten worden sei. Darüber kann man diskutieren. Dieser kleine historische Exkurs aber soll sich an dieser Stelle des aktuellen Piratenphänomens zuwenden.
Wie verhält es sich nun mit einer politischen Partei, die sich genau mit diesem Gesetzlosen-Etikett schmückt? Aus einer kleinen Anarchistengruppe hat sie sich zu einer respektablen und ernstzunehmenden Kraft in bereits mehreren deutschen Länderparlamenten entwickelt. Dabei kam ihren Mitgliedern zugute, dass die deutsche Nachkriegspolitik zwar eine numerische Zugangsklausel für Volksvertretungen, die sogenannte 5%-Hürde, einführte, um dem unregierbaren Wahnwitz der Weimarer Republik vorzubeugen. Auf eine programmatische Schwelle wurde jedoch leider verzichtet. Das meint, dass eine Partei zu den drängenden Fragen der Zeit sinniger Weise erst einmal dezidiert Stellung beziehen und ihre Kader einen Sachkundenachweis erbringen müssten. Es darf nicht ausreichen, lediglich mit dem uralten Rezept genügend Leute um sich zu scharen, indem man ihnen verspricht, Eigentum zu ihren Gunsten umzuschichten. Denn, was tun die Piraten denn anderes, wenn sie das Urheberrecht abschaffen oder aufweichen wollen? Gehen sie gegen das Abmahnunwesen gieriger Rechtsanwälte direkt an? Nein, sie erklären, sie wollten den Sumpf sukzessive austrocknen, indem sie den Gegenstand der Abmahnungen entfernen. Dass sie damit aber das Kind mit dem Bade ausschütten und tausende Künstler und Geistesarbeiter brotlos machen, das scheint sie nicht zu scheren. Das nennen wir Populismus der billigsten und gefährlichsten Art!
Weiter:Sie müssen schnell lernen, wenn sie sich etablieren wollen. Es ist einfacher, einen Parlamentssitz zu erobern, als ihn eine Legislaturperiode lang zu behaupten. Es mag anders scheinen – die Erfahrungen aber sprechen eine deutliche Sprache. Da kamen 1987 die Republikaner mit martialischen Parolen in einige Berliner Stadtteilparlamente, indem sie die Angst der Bevölkerung vor der Überfremdung aufgriffen und instrumentalisierten. Als sie dann aber echte politische Arbeit leisten sollten, glänzten sie durch Abwesenheit und Inkompetenz. Schneller konnten sie sich nicht selbst in der Versenkung verschwinden lassen. Heute spricht kein Mensch mehr von den „REP“s. Auch diese traten einmal als Alternative an.
Die Piraten, die wohl zunächst selbst nicht an ihren fulminanten Aufstieg glaubten, wittern die Gefahr. Sie ahnen, dass sie jetzt, da sie in parlamentarische Volksvertretungen gewählt wurden, nicht nur Ross und Reiter benennen und Farbe bekennen müssen, sondern auch zu begründen haben, warum sie dies tun. Wie reagieren sie? Sie machen flugs aus der Not eine Tugend und trompeten in die Welt hinaus, dass sie von vielem keine Ahnung und erst noch zu lernen hätten. Sie nehmen den Gegnern nach dem Wilhelm-Busch-Prinzip den Wind aus den Segeln: „Die Selbstkritik hat viel für sich, vorausgesetzt ich tadle mich, so hat das erstens den Gewinn, dass ich so hübsch bescheiden bin...“ usw. usw. Das ist gut. Das ist schlau! Das ist in der verkrusteten und von hohlem Gewäsch und Dummsprech überfluteten politischen Parteienlandschaft Deutschlands ein neuer, wohltuender Farbtupfer. Offensive Ehrlichkeit - das kommt an! ...aber nicht ewig! Irgendwann einmal muss man zwingend über die entsprechenden Kompetenzen verfügen! Und wer schaut einem an diesem Tage aus dem Spiegel entgegen? Noch immer der aufbrechende Politrevolutionär mit dem ehrlichen Gesicht? Oder hat die Metamorphose zum aalglatten, auf den eigenen materiellen Vorteil bedachten Lügenbaron und Halbwahrheiten-Marketender schon stattgefunden? Wenn die wahre Macht im Staate realisiert, dass dort neue „Entscheidungsträger“ auf dem Plan erschienen sind, wird sie nicht zögern, diese nach alt bewährten Prinzipien erst zu ködern und im Anschluss ungeniert zu kaufen. Nur wenige widerstanden bisher diesen Versuchungen.
Ist denen Piraten eine Zukunft beschieden? Wir sind da skeptisch. Dass sich die alten Parteien in einer Welt des elektronischen Umbruchs überlebt haben und nach einem neuen Auftritt suchen müssen, liegt auf der Hand. Ihre Programme haben sich mittlerweile verwaschen. Sie sind zu einem verschwommenen Einheitsbrei verkommen, von dem die SED unseligen Angedenkens nur hätte träumen können. Eine Vielzahl der Protagonisten dieser Gruppierungen hampeln in aller Regel bereits selbst für den obligatorischen Dorftrottel erkennbar an den Fäden der Lobbyisten wie König Urmel aus dem Eis. Dass die Piraten (noch!) in eine entgegengesetzte Richtung Impulse setzen, soll ihnen niemand absprechen.
Die gesellschaftliche Aufgabe der Piraten aber scheint momentan eher in einer Art Weckerfunktion begründet zu liegen. Ein Eisbrecher, der die verkrusteten, festgefahrenen Strukturen der etablierten Parteienlandschaft aufbrechen soll, um sowohl die Wähler als auch die Politiker zu alarmieren. Die Parteien haben sich samt und sonders bis zur Bewegungslosigkeit in internen Grabenkämpfen und Schlagabtausch-Aktionen verschlissen. Vertretung von Bürgerinteressen steht kaum noch auf der Agenda. Während die Konservativen als Interessenverein des Großkapitals, die Liberalen als Mittelstandsklub und die Spitzen der gegenwärtigen deutschen Sozialdemokratie bis auf wenige Ausnahmen wie unter anderem Steinbrück und Steinmeier als gekauft gelten, sucht der demokratiemüde Wähler nach einem Ausweg. Die Grünen waren mal wer. Aber das ist lange her. Nun schwafeln auch ihre Oberen den allgemeinen, nichtssagenden, ausweichenden, doppeldeutigen nicht greifbaren Politiker-Duktus. Die Basis debattiert aber ändert nichts. Doch deren politisches Überleben basiert bis heute auf zwei Pfeilern – dem bedrohlichen Klimawandel und der daraus resultierenden angstvoll erlebten Veränderung des persönlichen Lebensumfelds einerseits und einem raschen eigenen Lernprozess bezüglich einer nahtlosen Integration in das politische Getriebe der deutschen Nachkriegsrepublik andererseits. Das Erste steht den Piraten als Profilierungsthema nicht zur Verfügung, mit dem Letzteren tun sie sich erkennbar schwer. Das gestattet beim besten Willen keine allzu günstigen Prognosen für eine auf Dauer angelegte Präsenz in den Länderparlamenten. Dennoch ist das mit den Piraten verbundene Phänomen von einem hohen Wert für jeden geschulten Beobachter der demokratischen Willensbildung: Hier wird weniger eine Alternative aufgezeigt, als bestehende Defizite detailliert benannt werden – allein vermittelt durch die Existenz und den Zuspruch dieser Partei. Desungeachtet: Wohl spricht man noch von einigen legendären wie auch realen Piraten der Geschichte: Sei es Störtebeker, Kidd, Flint, Blackbeard, L'Olonnais, Henry Morgan oder die Witwe Cheng – Namen, mit denen man kleinen Kindern Schauer über den Rücke jagen kann. Die Gemeinwesen aber, deren Gesetze von jenen Freibeutern eine gewisse Zeit lang verhöhnt wurden, England, Spanien, die Niederlande, Frankreich, China, Malaysia – diese Gemeinwesen existieren noch heute. Und sie sind es, die das alltägliche Leben der Menschen bestimmen. Sie haben sich über die Jahrhunderte hinweg behauptet, und nicht jene, die am heimischen Herd von kurzsichtigen Leuten in einer Art romantischen Opposition gegen einen als drückend empfundenen Staat als Rebellen gefeiert wurden und werden. Denn gesellschaftliche Tragfähigkeit basiert auf einem fein abgestimmten Gleichgewicht, einer sensiblen Ausbalancierung der verschiedensten Interessen innerhalb einer Gemeinschaft und nicht auf sporadischen und spektakulären Enterkommandos. Warum? Weil Letztgenannte nicht schaffen, nicht ersinnen, nicht produzieren, sondern einfach nur das Vorhandene wegnehmen. Aber hinter dieses offene Geheimnis wir der deutsche Michel auch noch kommen. Ganz sicher!

21. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
08.08.2012