Der Präsident verlässt das Schloss
Christian Wulff gibt auf
B. St. Fjøllfross
Ja..., wie soll man das nun bewerten? Hat er dem deutschen Volke nun
ein Beispiel von Standhaftigkeit gegeben oder hat er sich selbst und
sein Amt der Lächerlichkeit preisgegeben? „Die Kunst des wahren Künstlers
besteht darin zu wissen, wann man aufhören muss“, ließ Conan Doyle einst
seinen Sherlock Holmes sagen. In diesem Sinne ist Christian Wulff mit
Sicherheit kein Künstler. Er wartete lange mit seiner Demission, viel
zu lange! Die Festung war schlicht nicht mehr zu halten. Wenn die Staatsanwaltschaft
bereits die Immunität des Staatsoberhauptes ins Fadenkreuz nimmt, dann
ist das Ende der Fahnenstange definitiv erreicht. Allerdings müssen
wir leidvoll konstatieren, dass der Bundespräsident klassisch zur Strecke
gebracht worden ist. Die Springer-Presse und mit ihr alle ins selbe
Horn tutenden Medien wollten es wissen: Wer behält Oberwasser, wer muss
sich beugen? Der waidwund geschossene Hirsch war gestellt, aber noch
senkte er das Gehörn. Nicht, dass er sich gewehrt hätte. Er wollte es
wohl einfach nur aussitzen, so wie der dicke Altbundeskanzler. Doch
dafür fehlte ihm die Dimension des Gesäßes, dazu fehlte ihm die Macht.
Er wollte nicht umfallen und wenn er nicht umgefallen wäre, dann hätte
er die Vierte Gewalt womöglich degradiert. Er hätte die Presse in ihre
Schranken gewiesen. Diesen Braten aber haben die Presseleute gerochen.
Vielleicht hätten die Journalisten sich auch von jemandem in die Schranken
weisen lassen. Aber derjenige hätte von einer tadellosen Integrität
sein müssen. Dieser Jemand hätte einen makellosen politischen Teint
aufweisen müssen – Christian Wulff aber war vernarbt.
Es war nichts Aufregendes, nichts Spektakuläres, womit man zum Schluss
nach ihm schoss. Da haben andere ganz anderes auf dem Konto. Gerade
das aber, gerade diese verbissene Wadenbeißerei spricht dafür, dass
es sich um einen Machtkampf Presse vs. Politik handelte. Das hatte ein
erbärmliches Geschmäckle. Die Presse hat eine Pflicht zur Aufklärung
– unbestritten. Sie muss unlauteren Zeitgenossen in gesellschaftlich
verantwortlichen Positionen auf die Finger sehen. Aber warum Wulff?
Mit dieser unbeschreiblichen Härte, mit dieser Bluthund-Mentalität?
Da gibt’s doch weitaus üblere Karrieristen in der deutschen politischen
Landschaft! Auch wir forderten den Bundespräsidenten auf, rechtzeitig
zu demissionieren. Aber wir taten es – und damit war es gut!
Wer so zuschlägt, wie es die deutschen Medien taten, der ist ein Sadist
oder er hat – Angst. Aber Angst wovor? Doch nicht vor der Bananenrepublik
Deutschland, die seit Jahrzehnten die traurige Realität plakatiert?
Wir denken, es war eine üble Melange von vielem: Machtdemonstration,
Sadismus, Profilierungssucht und Angst! Angst vor Auflagenverlust. Angst
vor Machtverlust. Nie wieder eine Springer-Verhaftung! Wir sind die
Presse, wir sind die Vierte Gewalt, wir reden mit, wir verkörpern die
vox pupuli, also stehen wir Gott näher als der Heilige Vater! Uns bremst
niemand mehr aus! Seit Watergate sind wir allmächtig – nehmt euch in
acht!
Wulff ist nun umgefallen. Es ist besser für ihn, es ist besser für Deutschland.
Man wird ihn nicht zerreißen und die zweihunderttausend Euro jährliche
Ehrenpension wird er wohl auch noch bekommen! Aber es ist ein Trauerspiegel.
Der Vorhang ist am 17. Februar 2011 um 11.02 Uhr gefallen. Wir verlassen
das Parkett traurig und ohne Applaus.
Wenn Christian Wulff der Häme der Rosenmontagsumzüge ausweichen wollte,
so könnte man zumindest in diesem Falle von einer gewissen Rechtzeitigkeit
sprechen. Tausende Büttenreden müssen nun umgeschrieben oder gänzlich
verworfen werden. Ätsch! Das Bundespräsidialamt durch die Bütt zu hecheln,
hätte der Würde dieser Hohen Institution wahrscheinlich den finalen
Tritt verpasst. Danach hätte man es getrost abschaffen können, was ja
nun schon bereits im Gespräch ist.
Aber ging es allein darum? Oder ist es eine zufällige Koinzidenz, dass
die Staatsanwaltschaft nunmehr die Immunität des Präsidenten aufzuheben
beantragt hat, was in der Geschichte der Bundesrepublik ein einmaliger
Vorgang ist?
Es ist der zweite Rücktritt eines Präsidenten im Schloss Bellevue in
Folge – und das innerhalb von zwanzig Monaten. Uns wird bange. Das Amt
des Bundespräsidenten repräsentiert den Staat. Eine solche Instabilität
ist insofern kein begrüßenswertes Omen. Und es ist kein Omen, dass bei
der Bewältigung einer paneuropäischen Wirtschaftskrise gebraucht wird
und – was vielleicht noch wichtiger ist: einer nationalen Stabilisierung
und Selbstfindung im europäischen Hause überhaupt nicht förderlich ist.