Der Thron des Präsidenten wackelt
Christian Wulffs Kreditaffäre bedroht die Herrschaft
der Kanzlerin
Don M. Barbagrigia
Es ist noch nicht ganz zwanzig Jahre her, Herr Hübner war noch junger
Student an der Freien Universität Berlin und besserte sein schmales
studentisches Einkommen bei einer weltweit operierenden Braune-Brause-Firma
auf, da empfahl er seinen Vorgesetzten eines Tages, einen Kumpel von
ihm ebenfalls dienstlich zu verpflichten. Die Chefin sagte damals dem
im Westen noch nicht angekommenen Hübner mit ernstem Gesicht: "Gut,
wir nehmen ihn. Aber seien Sie dessen eingedenk, dass Sie ihn empfohlen
haben!" Hübner nickte stolz wie Bolle: Ja, er hatte einen anderen
Mann empfohlen. Auf seinen Rat hörte man und man nahm andere Menschen
in Lohn und Brot, weil er, Hübner..." Mitten aus diesen erhabenen
Gedanken riss ihn die schroffe und nüchterne Stimme der jungen Frau,
die sich schon mit Anfang 30 in die Firmenspitze emporgearbeitet hatte.
"...das heißt, Sie bürgen für ihn!" "Wie meinen?",
klang jetzt des verdutzten Hübners Stimme etwas verunsichert. "Herr
Hübner, Sie haben uns zu dieser Personalie geraten. Erweist sich ihr
Rat als für uns nachteilig, werden auch Sie die daraus resultierenden
Konsequenzen zu tragen haben." Es mochte an dem einsetzenden Rauschen
in seinen Ohren liegen oder Hübners Verstand weigerte sich einfach,
das Gehörte zu akzeptieren und folgerichtig zu verarbeiten: "Ja,
äh, das hieße dann für mich...?" "Entspricht die Leistung
des von Ihnen soeben empfohlenen Kollegen nicht unseren Erwartungen,
nehmen wir Sie für Ihren Rat vollständig in Haftung. Das heißt, Sie
verlassen uns gemeinsam mit diesem Herren!“
Wenn es Momente gab, in denen man ruckartig im Westen aufschlug – dieser
gehörte zweifelsohne dazu. Hübner wurde bleich, der Mann war eine Sackpfeife.
Hätte er auch sonst eine Empfehlung nötig gehabt? Nun hatte die junge
Karrierefrau das Schicksal Hübners, der sich durch diesen Job in die
Lage gesetzt sah, trotz Studium die kranke Frau, die kleine Tochter
und den Kater, seine Familie also, zu versorgen, an die Haltungsnoten
eines von ihm Empfohlenen geknüpft. Aus dem edlen Manne mitsamt seiner
noch edleren, selbstlosen und vor allem ihn selbst keinen Heller kostenden,
menschenfreundlichen Tat entwich die Luft wie aus einem bunten Luftballon.
Er sackte in sich zusammen. Spätestens an diesem Tage aber begriff er
den Sinn des Sprichwortes, was östlich der Elbe weitgehend unbekannt
war: Den Bürgen soll man würgen!
Die deutsche Bundeskanzlerin steht nun vor einem ähnlichen Problem.
Es ist noch nicht vergessen zwischen Rhein und Oder, dass ein gewisser
Baron den Hut nehmen musste, weil sich seine Dissertation als nur zu
geringen Teilen selbstverfasst herausgestellt hatte. Kurz vorher hatte
sich Frau Dr. Merkel noch schützend vor das edle und smarte CSU-Idol
gestellt, das sowohl als Hoffnungs- wie auch als Sympathieträger einer
durch eine unselige Koalition mit den Liberalen schwer angeschlagenen
CDU galt. Dann war noch der Prädecessor des gegenwärtigen Präsidenten.
Der schmiss hin, was noch nie ein Präsident vor ihm getan hatte, weil
ihn die Journaille bös geärgert hatte. Nun muss sich die Regierungschefin
ein drittes Mal zugunsten einer angeschlagenen Personalie erklären,
einer Personalie, die maßgeblich von ihr lanciert worden war: Die des
deutschen Bundespräsidenten. Das ist besonders dramatisch. Hat der ehemalige
niedersächsische Ministerpräsident Wulff nun auch keine besonderen Machtbefugnisse
mehr, so wird er doch in seinem Amte als an der gesellschaftlichen Spitze
stehend begriffen. Mochte also Frau Dr. Merkel den tiefen Fall ihres
Verteidigungsministers wenn auch angeschlagen überstehen – wer als Königsmacher
auf das falsche Pferd gesetzt hat, mag er dessen Straucheln mit zu verantworten
haben oder nicht, fällt der öffentlichen Damnatio unweigerlich anheim.
Mit dem Fall Köhlers hatte die Kanzlerin zwar nichts zu tun. Es wird
ihrem Konto aber mies geschrieben. Das ist die abstrakte und irrationale
Dynamik des politischen Parketts.
Wenn der Baum jedoch erst faule Früchte trägt, dann beginnt man sich
dafür zu interessieren, wie stabil noch das Kernholz des Stammes beschaffen
ist.
An Gegnern mangelt es der Kanzlerin weiß Gott nicht. Das ist umso tragischer,
als diese Frau in den letzten Jahren alternativlos war. Es gab wohl
niemanden, der mit solcher Kraft, Zähigkeit und Durchsetzungsfähigkeit
die schweren Krisen so verträglich für das deutsche Volk bewältigt hat,
wie sie. Doch das Volk hält ihr keine gute Bank. Es ist nicht dankbar.
Es verleiht ihr kein Boni, die sie schrittweise mit Entschlüssen aufzehren
könnte, welche sich hinterher als Fehlentscheidungen erweisen.
Es ist fraglich ob Herr Wulff noch lange im höchsten Staatsamt zu halten
sein wird. Die Hunde sind von der Leine. Und jagt man zu Albion die
Füchse, so ist hier die Jagd auf die von Tag zu Tag verhasster werdende
Politikerkaste Volkssport geworden. Wenn aber der Präsident kippt, dann
werden sich die Finger wieder in ihre Richtung drehen. Irgendwann steht
dann ihr Kopf zur Disposition. Es ist ein schwieriger Balanceakt zwischen
der Loyalität zu dem einst protegierten Herrn Wulff und der Einsicht
in die politische Tatsache, dass der Präsident – um mit William von
Baskerville zu sprechen – bereits „verbranntes Fleisch“ ist, das man
besser nicht mehr anrühren sollte.
Die Frau Bundeskanzlerin ist weiß Gott nicht zu beneiden. Das erbärmliche
Possenspiel auf der politischen Bühne Berlins aber ist geeignet, das
vernunftbegabte Publikum zu witzigen. All die menschlichen Kleinigkeiten
und Fehltritte, die in dieses Geschäft mit hineinspielen und die zu
solchen katastrophalen Auswüchsen führen, das hat schon etwas von einer
altgriechischen Tragödie und wenn's nicht so dramatisch wäre, man wäre
versucht, lauthals zu lachen. Nun muss also die deutsche Bundeskanzlerin
eine bittere Pille schlucken und es ist die nämliche Lektion, die auch
ein armer Student zwei Jahrzehnte früher zu verdauen hatte: Den Bürgen
soll man würgen! Tue einem anderen Gutes, selbst unter der fraglichen
Option, dass dir aus deiner Hilfe und Fürsprache selbst eines Tages
Profit erwachsen könnte, und sei dessen gewärtig, dass dir der ganze
Kram früher oder später ganz mächtig und bitter auf die Füße fällt.
Vielleicht ist das sogar der barbarischste Aspekt eines kalten, kapitalistischen
Systems, getragen von der Mentalität eines gierigen, selbstsüchtigen,
nackten Raubaffen.