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Bundesschatzbriefe in Not

Michael L. Hübner
Nun ist es soweit. Stehen wir noch am Abgrund oder fallen wir schon? Die Bundeswertpapiere gingen am Mittwochs-Markt vom 23. November 2011 wie fauler Fisch und ranzige Butter. Erstmalig in der Geschichte will sie kaum noch jemand haben. Die letzte Bastion europäischer Wirtschaftsstabilität bricht zusammen. Von insgesamt etwas mehr als 6 Milliarden Euro Volumen für zehnjährige Staatsanleihen konnten nur 3,9 Milliarden verhandelt werden. Die angebotene Zinsmarke für Erstausgaben rutschte unter die psychologisch wichtige 2-Prozent-Marke. Auch das eine Premiere. Nun steh uns bei, Du lieber Herre Gott! Die restlichen 2,3 Milliarden werden jetzt wohl im Sommerschlussverkauf auf dem Sekundärmarkt verramscht.
Das mag sich angesichts des Schuldenberges von 2 Billionen Euro nach nicht eben viel anhören. Doch tatsächlich ist das der sichere Anfang vom Ende.
Die Politik mag dem Wählervolk in schwulstigen und hohlen Phrasen erzählen, im Himmel sei Jahrmarkt. Die Wirtschaft interessiert sich für schöne, ebenso gedrechselte wie substanzlose Worthülsen überhaupt nicht. Die Börse orientiert sich nach den Realitäten – und die sehen so aus: Die europäischen Schuldenmacher, die in all ihrer okzidentalen Dekadenz jahrzehntelang auf Kosten zukünftiger Generationen das verprassten, was sie zu Zeiten europäischer Vormachtstellung den Negern und Indios gestohlen hatten, fallen reihenweise um. „Keller und Küche sind leer, regt auch kein Mäuschen sich mehr...“, wie es in dem alten Kinderliede heißt.
Ein Kartenhaus bricht von unten her zusammen. Selbst die vielbeschworene Solidarität von Verdun hält dem Druck auf den Euro nicht mehr stand. Denen Franzosen ist ihr griechischer Rock näher als die verhasste deutsche Hose. Denn für den Hellenen-Rock stehen die Gallier in der Kreide, und das so bedrohlich, dass sie selbst die nächsten Wackelkandidaten sein dürften. Die Rating-Agenturen stichelten schon mal mit ein paar Sondierungs-Torpedos, wie faulig das französische Holz schon ist.
Zwangsläufig folgt als nächstes der Blick über den Rhein: Wer einen Rucksack voller Steine auf dem Buckel hat und gleichzeitig noch ein paar Absaufende aus dem Sumpf zu ziehen sucht, dem traut man offensichtlich auch nicht mehr zu, mit beiden Händen die eigene Zukunft anpacken zu können. Just diese Beurteilung seitens der Anleger scheint also der Bundesrepublik auf die Füße zu fallen. Die Leute kramen nämlich den guten alten Rechenschieber heraus und summieren perspektivisch Schuldenstand und Zinsforderungen aus dem currenten und den daraus folgenden Bundeshaushalten. Nebenbei entsinnen sie sich des unseligen Prinzips des Generals-Spiels. Das besagt: Den letzten beißen immer die Hunde. Wenn sie beide Erkenntnisse miteinander kühlen Kopfes abgleichen, haben viele naturgemäß keine Lust, zu den Gebissenen zu gehören. Die Krise hat Deutschland erreicht und sie wird vor seinen Grenzen so wenig Halt machen, wie seinerzeit die Rote Armee vor der Reichsgrenze. Wozu auch? Die Hilflosigkeit des teutonischen Giganten ist dieselbe. Aber wir wollen nicht so sehr um Deutschland jammern – denn wir Preußen sind Europäer durch und durch. Uns treibt also die Frage um: Was wird nun aus unserem Europa, nachdem wir ein Jahrzehnt die historische Chance verspielt hatten, zu einer echten Union, zu einer europäischen Nation zu reifen? Das ist die Kernfrage. Wir wollen nicht zurück in die Kleinstaaterei. Wir wollen nicht zurück in ein Europa der Grenzen, Pässe, Visa und Zölle. Denn das ist ein schwaches, instabiles, fragiles, konfliktgefährdetes, ein kriegsgefährdetes Europa.
Selbst wenn wir Europa bewahren können und unter dem Druck der Not enger zusammenrücken – eine Koalition, geboren aus dem gemeinsamen Elend, hat noch niemanden dauerhaft gekräftigt. Eine Vereinigung von Bettlern bringt keinen Topf Milch zum Säuern. In Neu Delhi und in Peking wird man diese Entwicklung mit größter Aufmerksamkeit verfolgen. Dort vermuten wir die Weltmächte der Zukunft. Sie werden Europa nicht zur Gänze aufgeben. Noch nicht. Wenn es den Indern und Chinesen gelungen ist, sich auch des europäischen Innovationsvermögens bemächtigt zu haben, hängen sie ein Schild an die Tore der EU mit der Aufschrift „Disney-Land, Dpt. Europe“ und machen den alten Kontinent zu einem exotischen Wochenendausflug-Ressort für den asiatischen Mittelstand.
Die letzte Hoffnung für Europa hängt an dem über Jahrzehnte verhöhnten und geschmähten Mütterchen Russland. Berlin und Paris müssen den Schulterschluss mit Moskau suchen, London mag davon halten, was es will. Das bedeutet, wir müssen weitreichende Konzessionen an Russland machen. Das lässt sich nun nicht mehr vermeiden.
Auch für uns ehemals mächtige Europäer gilt, was Gorbatschow schon zu Berlin orakelte: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. In diesem Falle kommt das Leben im Gewand des internationalen Marktes einher, der an den Kramtischen nunmehr schon Bundesschatzbriefe ungerührt liegen lässt. Das Signal, das von dieser Kaufeinschätzung ausgeht, ist so verheerend wie ein Atombombe. Das führt alle Verlautbarungen vom Wirtschafts- und Finanzminister ad absurdum. Jetzt geht’s uns an den Kragen. Glashart. Zurück in die Steinzeit. Der Untergang des Abendlandes ist in vollem Gange!
Retten kann uns jetzt nur noch ein starkes Brüssel und ein Zusammenrücken mit Russland, so eng, dass kein Blatt Papier mehr zwischen Paris, Moskau und Berlin passt.
Und – ach ja – was die anderen betrifft, deren nach dem Zweiten Weltkrieg zusammengeraubter materieller, geistiger und innovativer Reichtum nun ebenfalls aufgefressen ist... Da kommt uns jedesmal der Titel des exzellenten Films von Vanessa Jopp aus dem Jahre 2000 in Erinnerung: Vergiss Amerika!

21. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
24.11.2011