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Kaum Sicht und doch präzise
Michael L. Hübner
Obwohl der Sportler eine Taucherbrille trägt, ist sein Sichtfeld sehr begrenzt. Autobahnsee und das Gewässer bei Sandersdorf in der Nähe von Bitterfeld sind nicht das Rote Meer und auch nicht der Stechlin. Wenn man einen halben Meter vorausschauen kann, dann ist man gut bedient. Weiter entfernt aber ist der wichtigste Ausrüstungsgegenstand der Taucher auch nicht: Das OT-Gerät. Es besteht aus einer Druckluftflasche, die mit einem Kreiselkompass, meist der Segelfliegerei entnommen, und einem Streckenzähler kombiniert ist. Wie der unter Wasser funktioniert? Das kleine Getriebe des Zählers ist mit einer frei drehenden Flügelschraube verbunden, die von der Anströmung beim Tauchen angetrieben wird. Aus diesem Grunde sind stehende Gewässer für das Abstecken des Kurses sinnvoll. Und natürlich gehört zur OT-Einheit noch ein kleines, vor dem Start aufgeklebtes Plättchen, auf welches der Taucher seine Kursdaten vermerkt hat. Denn bevor es ins Wasser geht, wird erst einmal am Messtisch gepeilt, gerechnet, eingemessen, abgeglichen, die Gerätedaten entsprechend den Fehlerbereichen von Kompass und Streckenzähler angepasst. Hier ist Präzision gefragt. Die Kurse der insgesamt sechs Disziplinen erstrecken sich im Allgemeinen über eine Strecke zwischen 550 und 650 Metern. Die Toleranz der Zielpunkte ist dabei eng gefasst. Egal, ob ein 5-Punkte-Kurs, ein Stern-Kurs oder ein M-Kurs abgetaucht wird, ob Wendepunkte umrundet oder Kurspunkte sichtbar angeschlagen werden müssen, „liegt man um nur um einen Grad, das heißt wenige Meter mit seiner Berechnung daneben, hat man keine Chance, das unter Wasser fixierte Etappenziel zu finden“, erklärt René Carben. Erreicht man es nicht in einem festgesetzten Zeitlimit, dann wird man von der Mannschaft im Begleitboot aus dem Wasser gefischt. Denn die Sportler starten in Intervallen zwischen drei und zehn Minuten, der nächste ist schon unterwegs und eine Karamboulage unter Wasser kann unangenehm werden.
Durch ihre gewaltigen Monoflossen, die den Finnen von Delphinen nachempfunden sind, erreichen die Taucher eine Geschwindigkeit von bis zu 10km/h. Diese Sportgeräte meist russischer Produktion verleihen ihrem geübten Träger eine bis zu 15mal größere Vortriebsfläche als gewöhnliche Flossen. Das verlangt im Gegenzug ein hohes Maß an Körperbeherrschung. Erst wenn die Eleven des Orientierungstauchens bewiesen haben, dass sie dem Umgang mit den wuchtigen Finnen gewachsen sind, und auch sonst das Metier beherrschen, dürfen sie Seen betauchen. Um die ihnen abverlangten Fähigkeiten gefahrlos trainieren zu können, stellt das Marienbad den Brandenburger Orientierungstauchern einen Stützpunkt zur Verfügung und die Stadt sponsert die Trainingsbahnen im klaren Wasser des Schwimmbads. Das eröffnet den Athleten der SG Stahl, die es nicht so mit dem Orientierungslauf unter Wasser haben, sondern gern zügig unterwegs sind, eigene Möglichkeiten. Ob Sprint oder Strecke – die Leistungen der Flossenschwimmer, englisch „Finnswimmer“, lassen aufhorchen: Ohne Druckluft, quasi mit angehaltenem Atem, absolvieren die mit der mächtigen, bis zu 70 cm breiten Flosse bewehrten Taucher die 50 Meter in knapp 15 Sekunden. Weltklasseschwimmer brauchen da schon mal geschlagene 8 Sekunden mehr. Das machte den DDR-Sicherheitsorganen sehr zu schaffen, weswegen sie alle Flossen peinlich genau markierten und sicher bei der GST verwahren ließen, um die Fluchtmöglichkeiten unter Wasser einzuschränken, wie Axel Berger schmunzelnd erklärt. Die Sorgen der Staatssicherheit waren berechtigt – denn auch heute tauchen die Langstreckler 20 km in dreieinhalb bis vier Stunden. Wenn man dann als Orientierungstaucher noch über entsprechende geometrische Kenntnisse verfügt, dann sind einem solchen Unterwasserspezialisten kaum noch Fesseln anzulegen. Das macht neugierig, ob ihre Dienste denn schon mal außerhalb ihrer Sportart nachgefragt worden seien. „Selten,“ sagt Axel Berger, „aber es ist schon vorgekommen.“ Nein, im Handwerk der professionellen Industrietaucher wildern sie nicht, aber wenn mal was ins Wasser fällt oder ein Boot absäuft und sie sind gerade in der Nähe, dann helfen sie. Leider sind solche Ereignisse zu selten, um die Orientierungs-Taucher und die Finnswimmer aus der stillen Nische ihrer Sportart heraus mehr in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit zu rücken. Zu wünschen wäre es ihnen. Auch, dass es endlich klappt, als olympische Sportart anerkannt zu werden, was ihnen mehr Aufmerksamkeit sichern würde. Wer sich aber zu den Brandenburger Tauchern gesellen möchte, den begrüßen sie mit offenen Armen. Man erreicht sie unter den Telefonnummern 03381 22 83 27 sowie 0172 39 06 971 sowie über ihre Internetpräsenz www.flossenschwimmer.de.
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B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009 09.12.2011 |