An der Wiege des Neuen Forums
          Pfarrer Friedrich Teubner begleitete seine 
          Gemeinde durch die Wendezeit
        
        Michael L. Hübner
          Ziemlich weit vorn marschierte Pfarrer Friedrich Teubner in jenem Demonstrationszug 
          des November 1989, der seinerzeit am Neustädtischen Markt endete. 
          Dort ging ja bekanntlich die Rede des SED-Kreisparteisekretärs 
          im Gejohle der Massen unter, die dem unglücklichen Mitzlaff entgegenriefen, 
          der Fisch fange vom Kopfe zu stinken an. Kühn war das Volk geworden. 
          Die Opposition hatte auch schon eine Stimme gefunden – das Neue 
          Forum. Und das hatte sich in Pfarrer Teubners Kirche in Kirchmöser-West 
          gegründet. Teubner selbst hatte es auf Umwegen in die Havelstadt 
          verschlagen. 1946 im sächsischen Glauchau geboren, wollte der junge 
          Friedrich von Anfang an Pfarrer werden. Dabei kannte er Licht- und Schattenseiten 
          des geistlichen Standes. Zu letzteren gehörte der Geldmangel, der 
          dem Pfarrer im atheistischen Arbeiter- und Bauernstaat ein treuer Begleiter 
          war. Nach Studium, Vikariat und einer ersten Pfarrstelle in Zschoppach, 
          einem reichen sächsischen Dorf, entdeckte er in der Kirchenzeitung 
          die Anzeige, welche die vakante Pfarre in Kirchmöser offerierte. 
          Da griff er zu. 1979 war das. Seitdem steht der evangelische Pfarrer 
          seiner Gemeinde vor, besorgte die geistlichen Geschäfte des Alltags, 
          Gottesdienste, Taufen, Eheschließungen, Beerdigungen... und nebenbei 
          rang er verzweifelt um den Erhalt des Pfarrhauses und der beiden Kirchen. 
          Zwei der Gebäude gehörten der Reichsbahn, die Stadt hatte 
          ein Wörtchen mitzureden, die Kirche wollte sich bei „fremdem“ 
          Eigentum nicht engagieren – und dem Pfarrer regnete der Himmel 
          durchs Dach. Doch nebenbei hatte er immer einen wachen Sinn für 
          die sich artikulierende Opposition. „Was im Dom stattfand, das 
          wurde in Kirchmöser am Tage zuvor vorbereitet“, lacht Teubner 
          schelmisch. Der Gefahr, in der man schwebte, war man sich durchaus bewußt. 
          Superintendent Koopmann warnte seine Amtsbrüder davor, sich allzuweit 
          aus dem Fenster zu lehnen. Das war die Generation, die noch das Jahr 
          1953 erlebt hatte, jene Tage im Juni, die ebenfalls erfüllt waren 
          von den Rufen der Demonstranten nach Freiheit und Demokratie und dann 
          übertönt wurden durch das Kettengerassel der sowjetischen 
          Panzer. Teubner, der glücklich ist einer Generation anzugehören, 
          die erstmals seit 64 Jahren – ein Menschenalter – vom Krieg 
          verschont blieb, berichtete, dass man es auch deshalb vorzog, das regionale 
          Neue Forum am 20.10.89 in Kirchmöser zu gründen: Viel hatte 
          die Gotthardt-Gemeinde an oppositioneller Vorarbeit geleistet, man wollte 
          sie nun etwas aus dem Fokus nehmen, das Geschehen an den Rand der Stadt 
          verlagern, der so weit weg war, dass sich bisher nur ganz wenige Oberbürgermeister 
          bis dort hin verirrten. „Frau Tiemann kommt zu uns“, sagt 
          der Pfarrer, „aber ihre Amtsvorgänger...? Die haben uns selten 
          genug überhaupt nur wahrgenommen.“ Registriert wurde er dafür 
          umso aufmerksamer von der Staatsicherheit. Als er seine Stasi-Akte zur 
          Hand nahm, musste Teubner schallend lachen. Reihenweise waren dort Kennzeichen 
          von Autos aufgelistet worden, die vor seinem Hause parkten. Zur selben 
          Zeit hatte sich ein Kreis von Totalverweigerern in der „West-Kirche“ 
          von Kirchmöser getroffen. „Die waren aber alle ohne Auto 
          angereist, zu Fuß, mit Fahrrädern oder mit dem Zug – 
          wozu also die Autonummern, die, wie es sich später herausstellte, 
          ganz unauffälligen Bürgern zugeordnet werden mussten?“ 
          Den hellen Köpfen des Geheimdienstes war völlig entgangen, 
          dass im Nachbareingang der ehemaligen Reichswehr-Offiziersvilla, in 
          der auch das Pfarrhaus untergebracht war, Foto-Mayer sein Geschäft 
          betrieb. Die Dutzende Automobilisten hatten ihre Filme zum Entwickeln 
          gegeben, Fotos abgeholt, Passfotos anfertigen lassen. „Eine Gesellschaft 
          ist ein lebendiger Organismus“, philosophiert der Gottesmann, 
          „und hat seine Lebensspanne.“ Die DDR und ihre Staatsicherheit 
          waren fällig. „Allerdings“, sagt Teubner nachdenklich, 
          ausgehend von der gegenwärtigen Situation, „die Wende vor 
          zwanzig Jahren ist gewiss nicht die letzte, die ich erlebt habe. Was 
          aber die Wende von damals betrifft, da hat nicht jeder gesiegt, der 
          gekämpft hat und nicht jeder hat gekämpft, der schlussendlich 
          siegte.“