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Wendezeit - Gründerzeit
Druckereibesitzer Henry Bertz erinnert sich

von Michael L. Hübner
Wenn das System der DDR nicht schon so sehr an sich selbst gekränkelt und den eigenen Ansprüchen noch genügt hätte, in Henry Bertz hätte es einen wahrhaft guten Sozialisten gefunden. Bei den Jungen Pionieren war er eifrig dabei, später bei der FDJ, hatte selbst eine Funktion in der Grundorganisations-Leitung seiner Schule inne, sehr gute Zeugnisse – nur auf die EOS wollte der Arbeitersohn Henry partout nicht. Dabei hatten sich die, welche Großes mit dem kleinen Henry vorhatten, das alles so schön gedacht. Aus ihm hätte man vielleicht einen prima Leitungskader machen können. Aber nein, er wollte ja unbedingt Drucker werden. Bei Bahms auf dem Neustadt Markt lernte er, sehr guter Abschluss, mit 19 in die Partei. Klar, Druckereien waren bis auf wenige Ausnahmen Parteibetriebe. Die SED hatte ein sehr genaues Auge auf die DDR-Drucksachen – denn das Wort war Waffe! Henry lernte von der Pike auf, sah die Zu- und vor allem die Missstände in der Druckerei. Wenn er mal das Sagen hätte... Der Tag kam. 1987 hatte er seine Meisterprüfung mit 'Sehr Gut' bestanden. Er wurde Betriebsteilleiter, Chef über 30 Mann. Als er aber bei seinen Oberen monierte, dass er bedingt durch die Mangelwirtschaft ohne schwarze Farbe nicht drucken könne, beschied man ihn: Mach dir halt Gedanken, Genosse Bertz! Die machte er sich, schrieb eine Eingabe an den Genossen Honecker und wurde umgehend zu seinem Chef Eckart John nach Potsdam bestellt, um von diesem auf Streichholzschachtelformat gefaltet zu werden. Das war 1988, ein Jahr vor der Wende. Das Jahr, in dem Henry Bertz, der Genosse mit dem geradlinigen sozialistischen Lebenslauf, das Parteibuch auf den Tisch knallte, weil er nicht verstand, warum er wegen seines betrieblichen Arrangements dermaßen gemaßregelt wurde. Dem jungen Bertz kochte das Blut in den Adern. „Bin ich freiwillig in die SED eingetreten, dann kann ich auch freiwillig wieder austreten!“ Dachte er sich. Aber ganz so einfach war das nicht. Die Partei machte ihm die Hölle heiß: Die SED verließ man nicht so einfach. Henry Bertz blieb hart. Man eröffnete ein Parteiverfahren gegen ihn mit dem Ziel des Ausschlusses. Bertz lehnte die offensichtliche Farce ab. Letztlich ließen sie ihn gehen. Aber gut bekommen ist es ihm nicht. „1989 zur Wendezeit die Parteibücher abzugeben, das war billig“, sagt der Druckereichef. Ein Jahr vorher, da brauchte man noch Rückgrat. Seinem Antrag auf Selbständigkeit wurde folgerichtig nicht entsprochen. Man habe keinen Bedarf, hieß es mit einer faustdicken Lüge aus dem Rat der Stadt. Der Grund war ein anderer: Erst die Partei „verraten“ und dann in die Reihen der „Ausbeuter“ eintreten wollen! So weit kommt's noch!. So weit kam es dann tatsächlich. Aber erst im Juni 1990, nachdem der zweite Antrag vom Dezember 1989 bewilligt worden war. Innerhalb eines halben Jahres hatte der Meister Henry Bertz sein Geschäft zu eröffnen. Er, der 1989 den Demonstrationszug vom Steintortum zum Neustadt Markt mitgelaufen war, wo es um die Reformierung der Gesellschaft ging, durfte endlich sein eigener Herr sein. Was aber dann kam, war auch nicht die Erfüllung. Zwar hatte ein Westberliner Meister dem jungen Bertz, der sich bei ihm nach Maschinen für seine neue Druckerei umsah, gesagt: „Junge, wer in Deutschland investiert, wird doppelt bestraft!“ Aber das verstand Bertz nicht. Konnte er noch nicht verstehen. Heute, da er als kleiner mittelständischer Unternehmer sogar die Zinsen versteuern muss, die er auf seine Investitionskredite zu bezahlen hat, weiß er, was der alte Meister damals meinte. Trotzdem startete er mit seinem kleinen Unternehmen in einer maroden Zwei-Zimmer-Wohnung in der Mühlentorstraße durch, die er selbst gesucht und nur deshalb als Gewerberaum zur Verfügung gestellt bekommen hatte, weil sie aufgrund ihres jämmerlichen Zustands als unvermietbar galt. Ihm, einem der ersten Arbeitslosen im Noch-DDR-Brandenburg und einem der Letzten, die Ende Dezember 1990 in Westberlin ihre 100 DM abholten, weil er vorher nur in Westberlin unterwegs gewesen war, um sich seinen künftigen Maschinenpark zusammenzusuchen, pfiff von Anfang an der unbarmherzige Wind der Marktwirtschaft um die Ohren. Drei Monate zu früh hatte er seine Firma eröffnet, wegen der Halbjahresfrist. Seine Maschinen hatte er im Westen mit einem Kurs von 1:4 eingekauft, auf Kredit. Nett waren sie ja, die westdeutschen Landsleute. 1:4, ein moderater Kurs. Aber dann kam die Währungsunion, deren Verfahren außer den Banken noch niemand so recht ahnte. Da hieß es dann plötzlich 1:2. Interessierte die Gläubiger aber nicht. Unterschrieben war unterschrieben. Henry Bertz zahlte seine Maschinen quasi doppelt ab. Für einen Existenzgründer ein wahrhaft schwerer Schlag ins Kontor. Auch das ein Stück Wende. Eine harte Lektion. Bertz hat sich aber auch hier als sehr lernfähig erwiesen. Seine Druckerei gehört heute zu den geachteten mittelständischen Arbeitgebern der Havelstadt und steht im ihrem 20. Jahr. Wie die Wende. Ein trotz allen Schwierigkeiten schönes Jubiläum für einen, der sich nicht um 180° umkrempeln ließ und sich selbst und seiner Menschlichkeit treu geblieben ist.

14. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
11.05.2009