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Vom Walzwerk in die Politik
Die Wende veränderte Walter Paaschens Lebensweg


von Michael L. Hübner

An der legendären „Baade 152“ wollte der junge Walter Paaschen nach dem Abitur als Flugzeugbauer mitarbeiten, dem ersten deutschen Passagierstrahlflugzeug, das in Dresden in zwei Prototypen hergestellt wurde und dann merkwürdigerweise abstürzte. Sollte die DDR etwa keine eigenständige Flugzeugproduktion entwickeln? So traf man in Schönefeld nur noch russische Maschinen und den vor 64 Jahren in Sieversdorf geborenen Paaschen im Brandenburger Walzwerk an. In einer Klasse nur für Schüler, die bereits das Abitur hatten, wurde er in einem Jahr zum Walzwerker ausgebildet. Das war 1963. Kurz vor der Wende war er dann Chef dieses Walzwerkes, führte es durch die Wendezeit, leitete die Entwicklung von 50 neuen Sortimenten um den Betrieb marktfähig zu erhalten. Paaschen schrieb für Thyssen Marktanalysen, über welche die Düsseldorfer, die aus heutiger Sicht bezüglich des um sein Überleben kämpfenden Walzwerkes zu keiner Zeit ernsthaft ambitioniert waren, nur grinsten. „Man hatte uns in der DDR schlichtweg das Wissen vorenthalten, wie es in der freien Welt zugeht“, sagt Paaschen. „Nein, zurück haben möchte ich diesen Staat nie – wenngleich ich natürlich, wie viele andere auch, meine glücklichsten Jahre in ihm verbracht habe.“ Erst 1987 trat der damalige Abteilungsleiter der 1120er Walzstraße, einer der strategisch wichtigsten Produktionslinien des bedeutendsten DDR-Stahlproduzenten, in die SED ein. Überall mischte die Partei mit und wenn sie bei Produktionsbesprechungen das Wort nahm, musste der parteilose Paaschen jedesmal den Raum verlassen. Ihm ging es um aber um den Betrieb, der ihm, wie seinen 10.000 Kollegen auch, eine zweite Heimat war. Mit dem Parteibuch in der Tasche durfte er bleiben, durfte mitreden. Musste er dann aber das Parteideutsch und die postrevolutionäre Phrasiologie verdauen, wurde Paaschen schlecht. Mit dem Gefasel lockte man keinen Hund hinter dem Ofen vor. Die knallharten Produktionsziffern verlangten nach Klartext, nicht nach Ideologie. Und so maßregelte er einst eine hochdekorierte Genossin Kranfahrerin, die unangemeldet zum Chef Paaschen kam und einen anderen Arbeitsplatz einforderte. Es lag keine objektive Notwendigkeit für einen solchen Wechsel vor, und so hatte die unerlaubte Entfernung vom Arbeitsplatz Nacharbeit für die Supplikantin und eine Abmahnung für den verantwortlichen Meister zur Folge. Die Retourkutsche kam auf der nächsten Parteiversammlung. Die Vertreterin der Arbeiterklasse lief politisch Sturm gegen einen solchen Chef. Paaschen reagierte: „Dann übernimm doch meine Arbeit, jetzt gleich!“ Paaschen blieb, und er blieb auch, als die Mauer fiel. Die Generalreparatur der „1120er“ war gerade beendet, der Chef fuhr ins Werk um die Walzstraße abzunehmen, damit sie wieder anlaufen könne. Das Interview von Schabowski hatte er gesehen, aber den Inhalt nicht für voll genommen. Als er nach Hause kam, wartete seine Frau schon mit einer Flasche Sekt auf ihn: „Die Grenzen sind offen!“ Zur Arbeit am nächsten Morgen ging Paaschen dennoch, genau wie der überwältigende Teil der Belegschaft. Man war neugierig, ja, aber das Stahl- und Walzwerk, das war doch ihre zweite Familie. Undenkbar, die zu verlassen. Am 17. November erst fuhr er mit dem Trabi nach Kiel – zum Geburtstag eines Freundes. Man hatte es im Scherz vor Jahresfrist versprochen. Und nun ging das plötzlich. Die andere Seite der Medaille sah weniger rosig aus. Wie die Walzwerker auch kämpften, das neue System ließ ihnen keine Chance. Der Abschied war tragisch. Gestandene Männer weinten, als der letzte Stahl durch die Walzen schoss. Nun hatte sich jeder selbst zu behaupten. Paaschen zog es in die Kommunalpolitik, vier Mal wurde er bisher Stadtverordneter für seine Stadt, die er auch heute noch mit seinem Herzblut vertritt. So wie damals sein Walzwerk. Der verheiratete Vater zweier Töchter ist eben für seine Leute da – damals wie heute.

14. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
01.07.2009