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Der Vize
Vizegenaraldirektor Menzel und die Wendezeit

Michael L. Hübner
1970 stand das Stahl- und Walzwerk (SWB) aufgrund von Fehlentscheidungen auf der Leitungsebene vor seinem wirtschaftlichen Aus. Der zuständige Minister musste handeln. Direktorenposten wurden neu besetzt. Einer unter den neuen und praxisbewährten Direktoren war der erst 41jähirge Diplomingenieur-Ökonom Horst Menzel, der zu diesem Zeitpunkt das Eisenhüttenwerk Thale erfolgreich leitete. Menzel wollte nicht so recht. Er liebte seine Arbeit und er liebte den Harz. Hier hatte er seinen Weg vom Hilfsformer bis zum Direktor gemacht , Aber Günter Mittag, Wirtschaftsboss im Politbüro des ZK der SED, beharrte auf der vom Minister getroffenen Personalentscheidung. Nicht gerade begeistert folgte der 1929 in Gleiwitz geborene und in der Kriegsfolge nach dem Harz gezogene Menzel dem neuen Auftrag. Doch nun zählte er zu der Gruppe hervorragender und hochengagierter Fachleute und Direktoren, die antraten, den Betrieb gemeinsam mit den Werktätigen zu sanieren. „Das waren wir auch den Arbeitern schuldig, die schwer schufteten und dann auf ihre Jahresendprämie verzichten mussten. Das Vertrauen der Arbeiter und ihren Glauben an die eigene Kraft und Leistungsfähigkeit zurückzugewinnen, das war zunächst die wichtigste Aufgabe“, sagt er. Über die Jahre hinweg schafften sie es und machten aus dem Stahlwerk nicht nur den Leitbetrieb des Kombinates, sondern einen wirtschaftlich gut aufgestellten und international operierenden Großbetrieb, der vor allem auch Devisen einfuhr. Die Beschäftigten waren wieder stolz, im SWB zu arbeiten. Die Aufwendungen für den sozialen Bereich waren gewaltig: ein Kinderdorf, Betriebspoliklinik, eigene Berufsschule, Ferienlager und -heime, werkseigene Wohnungen zu sehr moderaten Monatsmieten und Löhne, die sich bei Ersten Schmelzern oder Ersten Gießern kaum noch von den Direktorengehältern unterschieden. Und dann gab es da noch eine Betriebssportgemeinschaft, eine BSG. Fußball, Kanurennsport, Handball, Boxen, Billard... das Spektrum war groß. Menzel leitete diese BSG von 1976 an. Unter seiner Regie entwickelte sich die leistungssportlich größte und stärkste BSG im Bezirk Potsdam mit den meisten Mitgliedern. Stahl Brandenburg schaffte es in verschiedenen Sektionen sogar in die DDR-Oberliga. Während aber das SWB mehr und mehr zu einer Insel der Seligen wurde, in welche die DDR noch Anfang der Achtziger Jahre Milliardeninvestitionen hineinpumpte, begann „draußen“ die Wirtschaft im freien Fall zu kollabieren. "All diese Sozialleistungen, die billigen Mieten, der Sport, das war ja nicht mehr zu bezahlen. Natürlich haben wir weit über unsere Verhältnisse gelebt. Ab 1985 war es klar, dass es so nicht mehr weiter gehen konnte“, urteilt der Ökonom Menzel. Aber 1983 war das Jahr, als er – seit 1979 Produktionsdirektor und 1. Stellvertreter des Generaldirektor des gesamten Qualitäts- und Edelstahlkombinates mit mehr als 34.000 Beschäftigten – aus gesundheitlichen Gründen seinen Posten aufgeben musste. Menzel erlebte, wie das SWB, das er gemeinsam mit seinen vielen Kollegen zu einem schwarze Zahlen schreibenden Betrieb aufgebaut hatten, im Zuge der Wende gezielt abgewickelt wurde. Wendestimmung im Stahlwerk? Fehlanzeige. Die Kollegen wussten genau, worum es ging. Der Mann an der Walze, die Frau auf dem Kran, der Schmelzer und der Schlosser ahnten, dass ihre Arbeitsplätze keinen unter einer westlichen Wirtschaftsordnung keinen Bestand haben würden. Die Skeptiker behielten Recht: Die Schlote der Siemens-Martin-Öfen verschwanden aus der Silhouette der Stadt und mit ihnen viele Arbeitsplätze. Wenn er heute den Industriepark betrachtet, überkommt ihn Wehmut. Dennoch, vor den Aktivisten des Runden Tisches hatte und hat Menzel großen Respekt: „Das waren Leute, die etwas verändern, die sich einbringen wollten.“ Denen ging es nicht ums Zerstören, die wollten retten, was zu retten war. Die waren konstruktiv gestimmt, anders als der Wirtschaftspotentat Günter Mittag und dessen Genossen im Politbüro. Die Massenflucht von DDR-Bürgern bedauerte er. Denn: "Jedem musste doch klar sein, dass sich hier zwangsläufig etwas verändert. Verändern muss! Diese Menschen fehlten uns jetzt." Sich selbst noch aktiv zu beteiligen, das war Menzels Sache nicht mehr. Er hatte bereits viel, sehr viel gegeben. Die angegriffene Gesundheit hätte auch den Sturm auf die Barrikaden verboten. Aber er beobachtete interessiert, wie sich die Dinge entwickelten. Allerdings: Das Konzept der letzten DDR-Wirtschaftsministerin Christa Luft, welche eine behutsame Annäherung beider deutscher Staaten unter konföderalen Bedingungen postulierte, wäre ihm angenehmer gewesen. Die Dinge hatten jedoch bereits eine Eigendynamik gewonnen, die sich nicht mehr steuern oder gar aufhalten ließ. Die Kollateralschäden jedoch stimmen ihn traurig. „Seine“ BSG musste sich in viele Einzelsektionen auflösen. Kein Spitzensport mehr – man orientierte sich um auf Kinder-, Jugend-, Freizeit- und Behindertensport. Trotzdem konnte er 1998 die Leitung der jetzigen SG Stahl finanziell, sportlich und organisatorisch gesund an seinen Nachfolger übergeben. Die Sportler dankten es ihm, verliehen ihm den Ehrenvorsitz, den er bis heute innehat. Mit Brandenburg an der Havel hat er sich mittlerweile arrangiert – Enkel und Urenkel sind alles echte Brandenburger geworden. Die beiden Söhne und die Tochter des mittlerweile verwitweten Menzel haben sich ihre Existenzen ebenfalls in der Havelstadt aufgebaut. Dennoch - er würde am liebsten noch immer alle Seen der Havel gegen seine Berge eintauschen, gegen seine Heimat, den Harz.

14. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
10.03.2009