Architektin und Parteichefin
Wie die Wende das Leben der Martina Marx veränderte
Photographie: Martina Marx
Michael L. Hübner
In Köthen, der Stadt in der Johann Sebastian Bach seine glücklichsten
Jahre verlebte, kam Martina Marx just in dem Jahr zur Welt, als die
DDR ihre Eigenstaatlichkeit durch die Abriegelung der innerdeutschen
Grenze zu zementieren gedachte. Alle Bemühungen, die junge Martina
zur Kommunistin zu erziehen, blieben jedoch vergebens. Als die SED nachfragte,
ob sie nicht für eine Kandidatur zu begeistern sei, antwortete
Marx trocken, es käme ihr merkwürdig vor, dass die Partei
an sie herantrete. Sollten nicht eher die Menschen von sich aus um die
Aufnahme in eine politische Partei nachsuchen, wenn sie sich für
deren Ziele begeisterten? Derartige Spitzfindigkeiten fielen ihr während
des Architekturstudiums in Weimar beinahe auf die Füße, als
eine „150%ige“ Kommilitonin solche republikzersetzenden
Äußerungen partout zur Anzeige bringen wollte. Glücklicherweise
verlief die Sache im Sande. Der Graben zwischen den Kommunisten und
der angehenden Architektin wuchs, als sie für sich feststellen
musste, dass sie sich mit all den bedeutenden Beispielen der europäischen
Baukunst nur über die Literatur befassen konnte, wenn diese denn
in der westlichen Hemisphäre zu verorten waren. Selber reisen,
selbst anschauen – Fehlanzeige. Statt dessen paramilitärischer
Drill während des Studiums. Für eine, die allem Befehlsgehabe
und jeder repressiven Machtausübung abhold ist, eine Absurdität.
Die Ankunft der ersten Tochter war gleichzeitig der Rettungsring, der
sie vor dem Felddienst in der GST-Uniform bewahrte. Dennoch, der Gedanke
an eine Übersiedlung in den Westen wollte nie recht aus dem Kopf.
Aber wie mit zwei kleinen Kindern? Eine Bekannte hatte den Sprung über
die Prager Botschaft gewagt – das war ein Höllenritt. Undenkbar.
Doch dann begannen sich die Ereignisse der Wende zu überschlagen:
Marx, seit der Beendigung des Studiums beim VEB Stadtbau Brandenburg
an der Havel angestellt, zählte nicht zu den Bürgerbewegten.
Zu sehr nahm sie die Arbeit, die Geburt der zweiten Tochter und der
eben erst erfolgte Kauf eines eigenen Hauses in Anspruch. Nicht einmal
den Mauerfall erlebte sie live mit. Erst am nächsten Tage erfuhr
sie von den unglaublichen Geschehnissen. Dann aber gab es kein Halten
mehr. Rein ins Auto und ab nach Westberlin! Stempel? Hatten sie nicht.
War auch völlig egal. Rüber kamen sie trotzdem. Welch ein
befreiendes Gefühl, als die Mauer, die in ihrem Geburtsjahr errichtet
worden war, sang- und klanglos in sich zusammenfiel. Doch mit ihrem
Einsturz begann eine chaotische Zeit: In vielen Bereichen herrschte
pure Gesetzlosigkeit – keiner wusste recht, auf welcher Grundlage
Entscheidungen zu treffen waren. Mit dem 3.10.1990 war dann die erste,
turbulente Übergangsepoche vorüber. Fortan galten das Grundgesetz
der BRD und die nachfolgende Rechtsprechung. Das Land Brandenburg bekam
im Februar 1990 sein erstes Architektengesetz und Martina Marx sprang
ins kalte Wasser. Schon im Mai eröffnete sie ihr erstes Architekturbüro
– im heimischen Schlafzimmer. Goldgräberstimmung herrschte
im Lande. Gelder lagen zur Verteilung parat – die Auftragsbücher
waren voll. Es gab mehr Arbeit, als man bewältigen konnte. Für
die seit Schulzeiten von den Grünen faszinierte Martina Marx war
der Job aber bei Weitem nicht alles. Sie, die als junge Frau begeistert
zusah, wie Joschka Fischer in Turnschuhen zum Umwelt- und Energieminister
in Hessen vereidigt wurde, fühlte ein grünes Herz in sich
pochen. Das Bewahren der Umwelt, aber auch die Emanzipation der Frau
waren Themen, für die sie sich fortan, ohne staatliche Repressionen
befürchten zu müssen, engagierte. 2005 dann trat Marx den
Grünen der Havelstadt bei, deren Kreisverbandschefin sie heute
ist. Grün sein – das ist für sie Zuhörenkönnen,
Konsensfindung, Sachpolitik, Rotationsprinzip. Diese Werte möchte
sie in der Brandenburger Kommunalpolitik stärken, möchte weg
von persönlichen Querelen, welche die Entwicklung der Chur- und
Hauptstadt hemmen, statt sie zu fördern. Denn die Möglichkeit
zu sachbezogener politischer Arbeit hält die rührige Architektin
für einen der ganz großen Gewinne der Wende vor 20 Jahren,
eine Chance, die man nutzen und nicht leichtfertig vertun sollte.