Mit der Wende durchgestartet
Klinikchefin Gabi Wolter nutzte die Wende
Michael L. Hübner
Mahlenzien, kleiner lauschiger Weiler an der Buckau, zwischen dunklen
Wäldern und der weiten, offenen Wiesenlandschaft im Süden.
Hier wird 1961 Gabriele Wolter geboren, es ist das Jahr, als die Kommunisten
das Brandenburger Tor abriegeln, weil ihnen das Volk wegläuft.
Hier wächst sie auf, an der als ziemlich rot verrufenen EOS auf
der Bischofsburg Ziesar legt sie ein glänzendes Abi hin. „Wir
Landeier mussten halt nach Ziesar...“. Dort oben auf der Burg
rekrutierten seltsame Herren die männlichen Mitschüler für
das Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ und die Mädels,
verschreckt von diesen konspirativen Heimsuchungen, leuchteten mit ihren
Taschenlampen erst einmal gründlichst ihre Stuben aus auf der Suche
nach Wanzen und anderen Abhöranlagen. Sie fanden zwar nichts, aber
unheimlich war es ihnen doch. Mit dem Super-Abitur in der Tasche war
ein Medizinstudium an der Humboldt-Uni kein Problem. Vorneweg aber war
ein praktisches Jahr für die angehenden Studiosi gefordert. Gabriele
Wolter absolvierte es an der Medizinischen Klinik der Charité
und lernte gleich die Härten des medizinischen Alltags kennen.
14 Tage Einarbeitung – dann musste sie auf der Station selbständig
arbeiten. Das prägte. Sie lernte sich durchzubeissen – auch
als ein missgünstiger Professor, der nichts von Medizinstudentinnen
ohne ärztedynastischen Hintergrund hielt, die Fortsetzung des Studiums
verleidete. Wolter fing wieder im Krankenhaus Hochstraße an, auf
der C4, bretterharte Arbeit, schwierige Fälle, keine Kuschelstation
– aber dankbare Patienten – dankbar für jedes Lächeln,
jede Handreichung. „Vollschwester“ im Fernstudium, neben
der Arbeit, mit kleinem Sohn am Rocksaum. Dann kam der Kaderleiter auf
sie zu: „Sie haben doch Abitur. Ich hätte sie gerne in der
Verwaltung!“ Der Personalchef musste sie mit der Aussicht auf
ein BWL-Studium ködern. Da erst biss Gabriele Wolter an. Und wieder
Fernstudium – von 1986 bis 1990. In ihrer Diplomarbeit, die schon
in die letzten Tage der DDR hineinfiel, verglich sie Kostenpläne
von westdeutschen und ostdeutschen Krankenhäusern. Und siehe da
– so unterschiedlich waren die gar nicht. Die Gesetze von Algebra
und Statistik waren hüben wie drüben dieselben und wollten
keine ideologische Bevormundung dulden. Gabriele Wolter aber bewährte
sich in der Personalabteilung, wurde stellvertretende Personalchefin.
Draußen, auf der Straße begann die Stimmung im Volk zu brodeln
und auch die Personalabteilung musste sich mehr und mehr mit Ausreiseanträgen
der Krankenhausmitarbeiter befassen. Und wieder kamen diese ominösen
Herren in ihren Parkas, die auffällig Unauffälligen. Diesmal
nahmen sie Personalakten mit – und man musste sie ihnen aushändigen.
Auf den Laufzetteln stand nicht etwa „MfS“, sondern nur
der Name des „ausleihenden“ Stasibeamten. Dann kam niemand
mehr aus der Neuendorfer Straße. Die Geheimdienstler hatten festgestellt,
dass sie viel zu viele Akten besaßen, die vernichtet werden wollten,
bevor die Bürgerrechtler das Lesen anfangen. Man gab sich Mühe
mit der Aktenvernichtung, so dass das Stasigebäude kaum viel mehr
als das Mobiliar bot, als die Verwaltung des Krankenhauses mit ihrer
neuen kommissarischen Vizechefin Wolter dort einzog. Um diese Zeit im
Jahre 1990 kam eine Delegation aus der Partnerstadt Kaiserslautern,
besetzt mit Spezialisten aus allen Fachbereichen. Gabriele Wolter, die
zu dieser Zeit ein sogenanntes Brückenstudium an der Brandenburger
FH absolvierte, mit welchem sie sich für die westdeutsche Wirtschaftsordnung
fit machte, empfahl sich den Damen und Herren als kompetente, agile
und dynamische Gesprächspartnerin. Sie sprach deren Sprache. Das
überzeugte. Das sprach sich herum. Und so konnte sie sich gegen
viele Mitbewerber erfolgreich durchsetzen, als es galt den Posten der
Verwaltungschefin neu zu besetzen, der durch die Auswertung von unversehrt
gebliebenen Stasiakten über Nacht vakant geworden war. Das mit
den Überprüfungen, das war so eine Sache. Die Stirne der attraktiven
Mitvierzigerin legt sich in Falten. Da haben einige die Gunst der Stunde
genutzt, um den eigenen Karrieremotor ein wenig auf Trab zu bringen.
Sicher, junge und aufstrebende Kräfte wie sie bekamen eine Chance,
wie sie unter normalen Umständen undenkbar gewesen wären.
Aber manch anderer fiel hinten runter, der es weiß Gott nicht
verdient hatte, wie jener anerkannte und beliebte Chefarzt der Frauenklinik,
der schon über seine Dienststellung nicht an Kontakten mit der
„Firma“ vorbeikam. Diese aber handhabte er oft in wahrhaft
Schwejk'scher Manier, so dass die „Geheimen“ keine rechte
Freude an ihm hatten. Das aber zählte in der Wendezeit alles nichts.
Die Emotionen kochten, jahrelang hatte man sich vor Mielkes Truppe gefürchtet,
jetzt ging jeder über die Planke, der „denen“ je Guten
Tag gesagt hatte. Gabriele Wolter aber konnte jeder dieser Überprüfungen
gelassen entgegensehen. Heute leitet die amtierende Geschäftsführerin
dieses großen Krankenhauses eine der größten baulichen
und strukturellen Umgestaltungen seit Bestehen dieser Institution. Wie
man sieht, mit großem Erfolg. Wenn das der alte Professor aus
der Charité wüsste, Augen würde der machen...!