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Pädagoge aus Leidenschaft
Fritz Gerlach erinnert sich an die Wendezeit in Brandenburg

Michael L. Hübner
Der Anfang von Fritz Gerlachs Laufbahn glich dessen Ende: Beide Male versuchte der Lehrer jungen Menschen in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche ein Rüstzeug an Wissen und Fertigkeiten zu vermitteln, damit sie Fuß fassen konnten, dort, wo eigentlich nichts mehr war wie ehedem. Der Beginn – das war in den Fünfzigern, als er Kriegsheimkehrern den Einstieg ins Berufsleben ermöglichte. Beinahe ein halbes Jahrhundert später brach die DDR zusammen, seine DDR, sein Traum von einem Leben ohne Ausbeutung. Und wieder sollte nichts mehr gelten, was vordem gut gewesen war und probat und bewährt. Ganze Erwerbszweige brachen über Nacht weg – die Lehrer mussten wie damals in der Nachkriegsjahren mit ihren Schülern lernen, diesen oft nur ein kleines Stück voraus. Da blieb keine Zeit für ein Engagement vor und hinter den Barrikaden. Gerlach wurde von der Wende erfasst wie von einer großer Welle, welche die Leute mit sich riss, ob sie nun wollten oder nicht. Zeit seines Lebens jedoch war er ein kluger Kopf gewesen. Im Stahlwerk hatter er es bis zum Direktor für Berufsbildung und Sozialpolitik gebracht. Aber dann wurde kollektiv die ganze Leitung ausgetauscht. Genosse Gerlach hatte jetzt Aufgaben im Tiefbau-Kombinat wahrzunehmen. So lautete der Parteibeschluss. Fritz Gerlach ging,wurde Leiter der Bauschule am Gallberg. Auch dort gab es Knatsch mit der Obrigkeit. Kurz bevor man ihm einen Schippenstiel in die Hand gedrückt hätte, nahm ihn der Direktor der Handelsschule zu sich. Dort erwischte ihn die Wende. Eine turbulente Zeit war das: Plötzlich galt eine neue Schulordnung. In der stand drin, dass die Schüler keine Waffen mit in die Schule zu bringen hatten. Allein die Erwähnung dieses Punktes schockierte den alten Pädagogen. Doch fasste er sich schnell und nun kam ihm seine eigene Ausbildung zugute, die alte Wirtschaftslehre, die er noch nach dem Kriege lernte. Gerlach war einer der ganz wenigen Ost-Lehrer, die gleich nach der Wende junge Banker ausbilden durften. Doch mit der Ruhe war es vorbei: In zehn Jahren zog sein Wirkungsbereich fünf Mal um. Im Gepäck lagen neue Lehrpläne, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können. Ein Lehrplan aus München forderte sogar die Schüler in der Berufsausbildung zu fester Gottesfurcht zu erziehen. Die Lehrer wurden mit dem aufkommenden gesellschaftlichen Problemen konfrontiert, die sich im Fokus der Schule abbildeten. Doch die Schule war der falsche Ort sie zu lösen. Gerlach bildete aus und sah mit traurigem Herzen, wie seine Schüler kämpften, um hinterher auf einem leergefegten Arbeitsmarkt umherzuirren. Es war bedrückend, wenn seine Besten oftmals zum Teil fünfzig erfolglose Bewerbungen schrieben. „Wenn die Jugend keine Chance hat“, sagt er, „dann haben wir alle kein!“ Und er sah, wie sich die Stadt Brandenburg leerte, wie die Jungen wegzogen, dorthin, wo es Arbeit gab. Er schrieb, führte Statistiken an. Doch dem Fachblatt, in dem er publizieren wollte, war sein Artikel zu gewagt. Das Inhaltsverzeichnis verweist zwar auf seinen Beitrag. Die Seiten aber blieben weiß, leer, unbedruckt. Das also war sie, die neue Freiheit der Gedanken und der Rede. Nein, am runden Tisch hatte sich Gerlach nicht getummelt. Er sah nur in der Wendezeit, sie die Schüler, die am Abend zuvor noch mit einer Kerze vor dem Gebäude der Staatssicherheit Mahnwache gestanden hatten, am nächsten Tage in seinem Unterricht einschliefen. Aber draußen fegte ein kalter Wind durch die Straßen, der Wind des Umbruchs. Die alte, erstarrte, festgefahrene DDR gab es nicht mehr und das neue System verlangte von den Menschen ein ungeheures Maß an Flexibilität, Leistungsfähigkeit und Umdenken. Gerlach bildete wieder Bauarbeiter aus – merkwürdigerweise dieselben, die er schon einmal zum Facharbeiter geführt hatte. Die konnten alle mauern. Aber das neue System wollte es so. Facharbeiter war ja nicht gleich Facharbeiter. „Es war eine Ausbildung, um die Leute künstlich zu altern“, sagt Gerlach. „Wind um die Ecke schaufeln“, nannte man das in der DDR. Und so warteten die Kursteilnehmer eigentlich nur auf den Feierabend. Da gingen sie dann mauern... Gerlach spricht den Lehrern der Wendezeit seine Anerkennung aus, fordert Respekt für sie ein. „Eine Gesellschaft, die ihre Lehrer nicht ehrt, schwächt sich selbst“, meint er. Was für ihn das Schönste an der Wendezeit gewesen sei? Gerlach überlegt nicht lange. „Na, dass die Kasernen in der Magdeburger Straße jetzt eine Fachhochschule beherbergen“, strahlt er über das ganze Gesicht. „Wohnungen, Altersheim, ja, sogar mit dem Finanzamt kann ich mich anfreunden. Wichtig ist, es sind keine Soldaten mehr drin. Die alte Militär- und Rüstungsstadt besinnt sich jetzt auf andere Werte!“ Das freut ihn. Das steht auf der Habenseite der Wende von 1989.

14. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
20.02.2009