Der grüne Pfarrer
Schon in der DDR setzte Gerke Pachali für
die Erhaltung der Umwelt ein
von Michael L. Hübner
„Alles was recht ist“, freut sich Gerke Pachali, „korrekt
waren sie!“ Belustigt blickt er auf seine Notizen, die er sich
bei der Durchsicht seiner Stasiakte gemacht hatte. „Wir Pfarrer
standen alle unter Beobachtung.“ Das Zeugnis einer feindlich-negativen
Haltung der DDR gegenüber, das ihm ein „IM“ ausstellte,
hielt ihn nie davon ab, seinen christlichen und ökologisch orientierten
Kurs zu fahren. Dem am Freitag 70 Jahre alt gewordenen Pfarrer i. R.
konnten die Welterneuerer nicht allzuviel weismachen. Er hatte sein
Abitur noch in Westberlin gemacht, und unter anderem in Göttingen
studiert – immer seinen DDR-Personalausweis in der Tasche. Er
wusste, wie es hüben und drüben zuging. Später ließen
ihn die Kommunisten dann regelmäßig in den Westen zu seinen
Eltern fahren, wohl in der Hoffnung, der Pfarrer von Krahne, der seine
Jugendlichen so gar nicht auf den kommunistischen Kurs einschwören
wollte, würde gleich drüben bleiben. Ein Renitenter weniger
– aber nein: Pachali kam immer wieder zurück – selbstgeknipste
Dias im Gepäck. Die zeigte er dann bei Vorträgen und wies
schon vor der Wendezeit darauf hin: Wenn wir den Westen kriegen, dann
werden wir von drei Dingen eine Menge abbekommen: Autos, Bettler und
Arbeitslose. Über die Autos freuten sich alle – Bettler,
das war utopisch (...in so einem reichen Land?) und Arbeitslose? Blödsinn,
meinten die Leute, Arbeit gibt’s bei dem, was hier in den letzten
40 Jahren liegengeblieben ist, für die nächsten Jahrzehnte
genug! Niemand aber fragte, wer diese Arbeit bezahlen würde. Die
Wende... „Ja, in der Stahlhalle war ich dabei und auf dem Neustadt
Markt! Auch hier im Dorf bildete sich ein Runder Tisch, wie es über
Nacht allerorten Mode wurde. Aber da wurde hauptsächlich viel geredet.
Passiert ist da nicht viel. Zum Beispiel gab es bei uns so ein „fernmeldetechnisches
Objekt“, von dem gemunkelt wurde, das wäre eine geheime Einrichtung,
mit der man den europäischen Telefonverkehr anzapfen könne.
Als sich nach langem Palaver endlich eine Kommission gefunden hatte,
welche die mysteriöse „Waldpost“ in Augenschein nehmen
wollte, da hatten die Betreiber das ganze Gelände schon besenrein
zur Übergabe vorbereitet. Zu sehen gab es nichts mehr!“ Auf
die Präsenz der Partei auf den Dörfern vor den Toren Brandenburgs
angesprochen, sagt Pachali: „Die üblichen 10%. Als es zur
Wendezeit mit der Partei den Bach runter ging, da waren über Nacht
alle bis auf einen Mann ausgetreten“ bemerkt der Geistliche fast
mitleidig. „Die DDR ist nicht in erster Linie an dem Wirtschaftskollaps
kaputtgegangen“, resümiert der Hobbyhistoriker und Rochow-Experte,
„das waren die „Inneren Widersprüche“, welche
die Kommunisten selbst so gebetsmühlenhaft beschworen. Das war
der unnatürliche Riss, der durch Deutschland ging – die marode
Wirtschaft hätte noch ewig vor sich hingekrautet. Aber die Leute
wollte einfach nicht mehr!“ Natürlich hatte er sich gefreut,
als er wieder in den 28 Jahre lang abgeriegelten Teil Berlins hinein
konnte. Wie es dort aussah, das kannte er zwar von früher. Dass
man aber in der Zwischenzeit die Stadt mit den Bausünden der Aufbaujahre
überzogen hatte, das gefiel ihm gar nicht. Mittlerweile engagiert
sich der nimmermüde pensionierte Pfarrer im Historischen Verein
Brandenburgs, im regionalen Landesvorstand des ökologisch orientierten
Verkehrsclub Deutschlands, in der IG „Brandenburgische Städtebahn“
e. V. und und und. Pachali erklärt interessierten Besuchern die
Reckahner Dorfkirche und alles, was er vom Schulreformer Rochow weiß,
und genießt im Übrigen seinen Ruhestand. Dass sich nach der
Wende kaum noch jemand für den Inhalt einer Predigt interessiert,
das könne man so oder so sehen, sagt er nachdenklich. Früher
haben sich die Leute gefreut und gefeixt, wenn der Pfarrer von der Kanzel
mal wieder eine spitze Zunge gegen die Staatsmacht führte. Und
andere haben's für die Akten aufgeschrieben. Heute hört kaum
noch jemand zu – aber es schreibt auch keiner mehr mit. Hat alles
seine Vor- und Nachteile.