Archiv ade
J.-F. S. Lemarcou
März 2008, 13:58 Uhr, seit dem Zweiten Weltkrieg hat man so etwas
in der stolzen Colonia Claudia Ara Agrippinensium, eine der mächtigsten
Städte Deutschlands und Europas, nicht mehr gesehen: Mitten in
der Stadt bricht ein Haus zusammen. Erst dreißig Jahre alt, eines
der berühmtesten und größten Stadtarchive des Kontinents,
eines der Gedächtnisse Europas. Es ist eine Katastrophe, für
Historiker eine apokalytischen Ausmaßes. Man munkelt, der nahe
U-Bahn Bau hätte das Gebäude gekippt. Wassereinbruch, Instabilität
des Bodens, keine gründliche Vorbereitung, munkelt man... Nichts
genaues weiß man nicht. Die Verantwortlichen streiten alles ab
– wie immer in solchen Fällen. Kennen wir nicht anders. Und
wir glauben, wir sehen Bilder aus der Dritten Welt, aus Kuala Lumpur,
oder Mogadishu oder Haiti. Aber doch um Himmels willen nicht aus der
Hauptstadt der reichsten katholischen Erzdiözese der Welt –
aus Köln am Rhein! Was ist passiert in einer der wenigen Millionenstädte
der Welt. Ist das ein Menetekel? Ist es das überfällige Zeichen
an der Wand. Es passiert gar zu auffällig in der Zeit des wirtschaftlichen
Niederganges. Die Bundesrepublik Deutschland – immer noch eines
der mächtigsten Länder der Welt – stand unangefochten
in Flor als das Archiv in den Siebzigern des Zwanzigsten Jahrhunderts
gebaut wurde. Als es zusammenbricht, ist auch die Wirtschaft der einstigen
ökonomischen Großmacht in freiem Fall begriffen. Mit der
geplanten U-Bahn wird es jetzt wohl nicht mehr weitergehen. Und sicher
wird das gescheiterte Kölner Projekt auch einigen anderen Kommunen
Anstoß geben, ihre infrastrukturellen Planungen zu überdenken.
Ein Schritt zurück? Ja, ein gewaltiger. Denn Verkehrswege sind
die Adern eines Organismus. Verstopfen sie, dann geht es mit dem Leib
sehr akzeleriert in Richtung Grube. Nun ja, wir wissen es ja: Jede Nation,
jede Gesellschaft hat eine Vita, gerade so wie die einzelnen Individuen,
aus denen sie sich zusammensetzt. Deutschland verfrißt gerade
seine Rente. Was danach kommt, nun, wir wissen es alle. Es kommt ganz
sicher die Zeit, da kündet nur noch Archivmaterial von einem Land,
das man einst das Land unter den Eichen nannte. Wollen wir hoffen, dass
dieses Material dann in Archiven lagert, welche einsturzsicher gebaut
sind. Es würde sonst das Letzte von uns verschwinden. Das wäre
doch nun wirklich schade, oder?