Recht und Gesetz und unruhige
Zeiten
Karl-Heinz Erler – Jurist und Verwaltungsmann
von Michael L. Hübner
Der Vater, ein Polizist, hat noch nach Moskau müssen, als Soldat
im Krieg. Krieg – das war Kapitalismus – Krieg das war der
Menschen Unglück. Recht und Gesetz aber, das war eine Errungenschaft,
die das Leben in einer Gesellschaft erst ermöglichte. Recht und
Gesetz – das war höchstes Gut und eine neue Gesellschaft,
eine ohne Krieg und Elend, das wollte die Generation des alten Erler
aufbauen. Daran glaubten sie fest und und diesen Glauben gaben sie an
ihre Kinder weiter. Das taten sie noch, als ihnen die Idee schon längst
von Opportunisten und Karrieristen von Bürokraten und verbohrten
und dogmatischen Funktionären aus der Hand genommen war. Den Vater,
den Polizisten, den hat die Arbeiter- und Bauernmacht studieren lassen.
Richter wurde er und ein dankbarer und loyaler Mann dem Staat gegenüber,
der ihm diesen Lebensweg ermöglichte. Also wuchs der kleine Karl-Heinz
Erler im Gerichtsgebäude des erzgebirgischen Aue auf. Archäologe
wollte er eigentlich werden oder Geschichtslehrer. Wie es aber manchmal
so kommt im Leben – er geriet in die vertrauten Fußstapfen
des Vaters - „Junge, denke daran, Recht und Gesetz...!“
Karl-Heinz studierte an der Humboldt-Uni in Berlin Jura und folgte seiner
ersten Frau in deren Heimatstadt Brandenburg. In die Partei der Arbeiterklasse
hat er schon mit 18 Jahren eintreten wollen. Die SED aber sperrte sich:
Ein Intellektuellenspross sei er. Man wolle Arbeiter und Bauern. Dass
die rote Macht erst für diesen gesellschaftlichen Status der Familie
Erler gesorgt hatte, dieser Widersinn schien niemandem aufzufallen.
Als Karl-Heinz aber Panzersoldat war, da wollten sie ihn plötzlich
doch. Jetzt war Erler bockig. Nee, nun brauchten sie auch nicht mehr
ankommen. Der Vater aber sagte: „Junge, da sind so viele schräge
Vögel in dem Verein, da müssen auch anständige Leute
vertreten sein!“ Das sah er ein. 1986 trat der 27 jährige
Jung-Richter, der sich schon während des Studiums ehrenamtlich
als Jungendgerichtsbeistand engagiert hatte, seinen Dienst in der Steinstraße
an. Das war die Zeit, als Gorbatschow begann, den verkrusteten und verfahrenen
Staatskommunismus in der Sowjetunion zu reformieren. Der Genosse Richter
Erler besorgte sich alles, was es von Gorbatschow zu lesen gab. Was
da stand, begeisterte ihn und – machte ihn zutiefst nachdenklich.
Klar, die Familiensachen, die er verhandelte, die waren tägliches
Brot für Richter in aller Welt. Wenn er Vergewaltiger oder besoffene
Rowdys hinter Gitter schickte, die das nächtliche Brandenburg mit
einem markigen „Heil Hitler!“ grüßten, tat er
das ruhigen Gewissens. Recht und Gesetz. Aber Jungens einzubuchten,
die einfach nur von zu Hause weg und in den Westen wollten – was
verlangte dieses Gesetz da von ihm! Das tat ihm oft selber weh und dass
er andere Menschen sehr verletzt hat, als er diesem Gesetz Geltung verschaffte,
dessen ist er sich bewußt. Erler war und ist ein sehr kluger Mann.
Einer, der denkt und reflektiert. Bald wurde klar: Das konnte der Vater
nicht gemeint haben, als er den Sohn auf die Sache der Arbeiterklasse
und deren Rechtswesen einschwor. „Diese Menschen, die in Leipzig
zu skandieren begannen: Wir sind das Volk!, die meinten das so.“
Die brachten es auf den Punkt, die zeigten, wie sehr sich die Partei
und Staatsführung bereits von „ihrem“ Volk entfernt
hatte. „Tapeten-Kutte“ Hagers legendärer Ausspruch,
wenn der Nachbar neu tapeziere, brauche man noch lange nicht dasselbe
tun, die Abstimmung mit den Füßen über Ungarn und die
Prager Botschaft, die verschärfte Alarmbereitschaft von Justiz,
Militär, Volkspolizei und Staatssicherheit in den Tagen der Demonstrationen
– all das riss an den Nerven des 30jahre alten Richters. Hier
ein Gesetz – von wem wofür ersonnen? - und dort Leute, die
für ihre elementaren Rechte auf die Straße gingen. Was hätte
er mit denen machen sollen, wenn es zum Konflikt gekommen wäre?
Wie sich verhalten? Karl-Heinz Erlers Welt begann einzustürzen.
„Mit ging auf, wie wir im Namen dieser Idee manipuliert wurden,
wie wir uns haben manipulieren lassen“, resümiert der heutige
Fachbereichsleiter Bau und Umwelt in der Brandenburger Stadtverwaltung.
Deshalb quittierte er 1990 den juristischen Dienst, obwohl er den jetzigen
Rechtsstaat und dessen Möglichkeiten sehr begrüßt und
verteidigt. Das alte Edikt des Großen Kurfürsten, dass der
Untertan in seiner beschränkten Sicht die Entscheidungen der Obrigkeit
nicht in Frage zu stellen habe, scheint endlich überwunden. Der
Bürger kann nun die Verfügungen der Behörde von unabhängigen
Gerichten überprüfen lassen. Das bedeutet ihm viel, dem Juristen,
der nie aufgehört hat, Recht und Gesetz als höchstes Gut anzusehen.
Und so half er das Rechtsamt der Stadt Brandenburg aufzubauen. Oberbürgermeister
Schliesing holte ihn als Referenten zu sich. Heute kümmert er sich
als primus inter pares um die bauliche und umweltbezogene Stadtentwicklung.
Leiter ist er nur, sagt er, weil er gut führen und managen kann.
Heute kann er verschiedene Leute an einen Tisch holen, wo dann jeder
etwas zur Sache beiträgt, der etwas davon versteht. Die Zeit der
Direktiven von oben sind vorbei. Darüber ist er glücklich,
der Jurist Karl-Heinz Erler.