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Herr
Wittwer und die Weihnachtsbotschaft
S. M. Druckepennig
Gutgelaunt klopfte mir gestern abend
der Herr Hauptschriftleiter des Preußischen Landboten auf die Schultern,
als ich schon meinen Paletot übergeworfen hatte und schon halb aus
der Tür auf dem Wege zum Bahnhof war: „Wie Sie wissen, lieber
Herr Druckepennig, feiert das abendländische Christentum am 24. Dezember
die Geburt ihres Heilands. Sie erinnern sich doch des armen, etwas sozialrevolutionär
angehauchten Wanderrabbis und Zimmermanns Joshua aus Nazareth, den die
Römer so grausam zu Ostern bei Jerusalem ans Kreuz genagelt hatten!
Nun diese Lichtgestalt, deren Kult in die Mithras-, Dionysos- und Osiris-Tradition
eingearbeitet wurde, verlangt nach einer alljährlichen Weihnachtspredigt.
Einzige Anforderung: Umsonst muß sie sein! Hören Sie? Völlig
umsonst. So wie der alljährliche Pflichtgottesdienst. Das muß
weihevoll zur Weihnachtsgans abgestimmt werden. Und da der Gottessohn
gewissermaßen Ihr Verwandter ist, haben Sie in diesem Jahre die
ehrenvolle Aufgabe, unsere Leser mit einer entsprechenden Grußbotschaft
zu beglücken! Und nun, gute Fahrt und grüßen Sie mir des
Reiches Hauptstadt.“
Bumms, die Tür war zu und ich stand da. Was schreiben? Es gibt schon
so unendlich viel Schmonzes auf diesem Gebiete. Angefangen vom kleinen
Wurstblatt bis hin zu den Sprechblasen der Herrn Bundespräsidenten.
Herr, was tun? Doch siehe: nicht fern ist der Herr denen, so nach ihm
rufen aus der Tiefe des Abgrunds! Da ließ doch irgendein Manager
im Coupe der Reichsbahn eine Ausgabe des Handelsblattes vom Dezember 2005
liegen, die eine Beilage beinhaltete. „Why not!“, „Warum
nicht?“, so ist sie getitelt. Ja also, warum nicht? „Lifestyle
im Handelsblatt“ prangt mir als erklärender Untertitel entgegen.
Das macht neugierig, klingt vielversprechend. Schon bei Seite 6 werde
ich fündig. „Lebensstil heißt auch, man soll nicht versuchen,
jemand zu sein, der man nicht ist.“, verkündet ein gewisser
Reto Wittwer den Lesern des Magazins. Wenn das nicht ein Aufhänger
ist! Danke Herr, ich bin gerettet!
Reto Wittwer also… Wer ist der Mann und was will er. Vorgestellt
wird er als Präsident der Kempinski-Hotelkette. Aha. Ein ziemlich
mächtiger Gastwirt also. Und worum geht’s? Gleich in der nächsten,
fettgedruckten Zwischenzeile erklärt Herr Wittwer: „Die Uhr
kann sehr teuer sein, aber trotzdem die falsche Aussage machen.“
Klingt überzeugend. Welche Aussage kann sie denn machen, die sehr
teure Uhr? Ich hoffe, sie kann eine zutreffende Aussage über die
Zeit machen. Das ist schließlich ihr Beruf. Doch Herr Wittwer sieht
das differenzierter. Für ihn zählt darüber hinaus, ob es
sich um eine Patek Philippe handelt, oder um eine diamantbestückte
Rolex. Eine Nobeluhr soll man sich umbinden, wenn man mit arabischen Geschäftsleuten
zu tun hat, eine andere, wenn einem ein deutscher Bankier gegenüber
sitzt. Die Patek-Philippe läßt sich im Zusammenspiel mit einem
T-Shirt tragen, erfahren wir aus dem Munde des stylishen Wirtes. Das würde
Akzente setzen. Muß ja nicht immer ein Anzug von ZEGNA sein, von
denen Herr Wittwer vierhundert (in Zahlen 400) besitzt. Mein Nachbar ist
so freundlich, ein Auge auf meine Sachen zu werfen, dieweil ich das Klo
des Zuges mit meinem Mageninhalt bedenke. Irgend etwas wird wohl heute
nicht ganz koscher gewesen sein…
Also, dreißig Uhren besitzt der Herr Wittwer. Wir freuen uns für
ihn. Vielleicht ist es ihm auf diese Weise gelungen, die Zeit zu dehnen.
Bei dreißig Uhren…
Kurz bevor sich die Buchstabenreihen vor meinen Augen zu verquirlen beginnen,
erfasse ich noch, daß für Herrn Wittwer die Automarke im Prinzip
keine Rolle spielt. Es darf auch mal ein SMART sein, oder ein Fiat 600,
solange man das Gaspedal mit Schuhen von Moreschi tritt, spielt das gar
keine Geige! Welch ein spartanischer Pragmatismus. Recht hat er. Der Zug
saust gerade an der AVUS vorbei durch den Berliner Grunewald. Wir fahren
– auf der Autobahn ist Stau. Es spielt wirklich kaum eine Rolle,
in welchem Auto man keinen Meter vorwärts kommt. Hauptsache Schuhe
von Moreschi. Damit man die verbleibenden zehn Kilometer zum Wirtshaus
auch laufen kann.
Eine Aussage macht er uns sogar noch zwischen den Zeilen, der Herr Nobelgastwirt
Wittwer: Wie gut er es versteht, seine Gäste zu melken und seine
Angestellten auszubeuten. Mein christlich angehauchter Herr Chefredakteur
fährt einen dreizehn Jahre alten Galant, den er abgöttisch liebt
und ansonsten mit der Eisenbahn – grad’ so wie ich. Die Zeit
wird ihm von einer Bergmann 1962 angezeigt, für die er 14 Euro incl.
Versandkosten bezahlt hat und die sehr schlicht und formschön ist.
Für Fest- und Feiertage besitzt er noch eine Uhr mit dem Bild und
einem eingearbeiteten Steinchen der Dresdner Frauenkirche, mit deren Erwerb
er seinerzeit den Wiederaufbau des geschundenen Gotteshauses seinen bescheidnen
Mitteln entsprechend unterstützen wollte. Dresden und sein Juwel
liegen ihm sehr am Herzen. Soviel zu seinem Stil.
Ich indessen bin mittlerweile eingeschlafen und habe meinen Zielbahnhof
Friedrichstraße verpaßt. Zu öde, zu hohl, zu ermüdend
war dieser ganz sinnfreie Stumpfsinn, den das Handelsblatt seiner Klientel
vermittelte. Erschreckend dabei ist nicht einmal, daß sich ein sicherlich
gut ausgebildeter Mann wie Herr Wittwer zum Sprachrohr dieses unsäglichen
Bockmistes macht, während mehr und mehr Menschen auf der Welt an
Unterernährung verrecken und mehr und mehr Deutsche nicht mehr wissen,
wie sie den nächsten Mietzins entrichten sollen. Wir neiden ihm seinen
Wohlstand nicht. Aber muß man mit einer solchen holzhackerischen
Unsensibilität über diese schwachsinnige Verschwendungssucht
schwadronieren? Muß man das? Zumal Herr Wittwer seine Ausführungen
noch mit der schier unerträglichen Selbsteinschätzung beschließt,
er empfinde sich als eher unmaterialistisch und eine pseudophilosophische
Sentenz als Sahnehäubchen obenauf kleckert. Weitaus erschreckender
ist jedoch das mit Sicherheit existierende Publikum, das dem Handelsblatt
diesen blasphemischen Schwund begeistert aus der Hand frißt. Ohne
dessen Präsenz käme kein Chefredakteur auf die Idee, eine solche
geistig-kulturelle Wüste zu publizieren.
Würden wir Vater Johann Sebastian Bach den Artikel zeigen, er würde
es nicht begreifen, wovon hier überhaupt die Rede ist. Er, der Unsterbliches
schuf, hatte keinen Sinn für gottverhöhnenden Luxus. Legten
wir das Geschreibsel unseren Landesvätern vor, dem Großen Kurfürsten,
dem Soldatenkönig oder unserem Großen Friedrich, sie würden
ganz sicher den Gehstock Friedrich Wilhelms I. auf dem Rücken Herrn
Wittwers, seines Interviewers und ihrer Leserschar tanzen lassen –
ganz stylish – in deutscher Buche gefertigt.
Nein, man bekommt Albträume. Sicher kein Artikel für den Tannenbaum,
das gebe ich zu.
Kurz vor dem Ostbahnhof weckt mich mein Mobiltelephon. Herr Bajun bittet
mich, ihm aus der Staatsbibliothek etwas Material über den sogenannten
Roten Terror im Kontext der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution
in Rußland mitzubringen.
Er ist baß erstaunt, als ich ihm verkünde, ich hätte da
schon etwas für ihn bei der Hand. Dieser Auszug aus einer Handelsblatt-Beilage
würde zwar keinen direkten Bezug auf die Ereignisse von damals herstellen,
wohl aber erklären helfen, warum die hungerleidenden bolschewistischen
Habenichtse in dem Augenblick völlig ausgetickt sind, als ihnen die
Geschichte die Gelegenheit dazu bot. „Die Herren aber machen das
selber, daß ihnen der arme Mann feind wird“, wußte schon
der Dr. Thomas Müntzer den arroganten, ignoranten und blasierten
Verschwendern ins Stammbuch zu schreiben.
Wenn sich zur Ausbeutung noch die offene Verhöhnung der Ausgebeuteten
gesellt, dann ergibt das eine ähnlich explosive Mischung wie Wasserstoff
und Feuer.
Wir wünschen unseren Lesern und vor allem Herrn Wittwer, und seinesgleichen
ein vor allem besinnliches Weihnachtsfest. Und das sie sich dessen erinnern
mögen, wofür mein Landsmann Joshua aus Nazareth den Kreuzestod
erlitten hat.
Übrigens, aus gut informierten Kreisen erreichte uns die Nachricht,
daß es sich bei der Wortmarke SNOB um eine Abbreviatur handele:
Sine Nobilitas.
Amen
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