Leise rieselt
der Schnee
-zum Dacheinsturz der Bad
Reichenhaller Eissporthalle-
von Herrn B.St.Fjøllfross
Schnee – welch eine Gabe
der Natur. Wenn die Flocken herabrieseln, das wärmt so recht
die Seele. Und nicht nur die Welt der Pflanzen wird vom weißen
Segen schützend vor der klirrenden Winterkälte bewahrt –
nein auch die Hinterlassenschaft so manchen menschlichen Fehltritts
verschwand schon oft fürängere Zeit unter der Winterdecke.
Fußspuren, Zigarettenkippen, Knöpfe – viel schon
barg der Schnee schon vor Ermittleraugen. In Bad Reichenhall aber
brachte der Schnee die Sünden der Vergangenheit an den Tag, als
seine Tonnenlast gleich zu Beginn des Jahres 2006 das Dach der örtlichen
Eissporthalle einkrachenieß und wenigstens fünfzehn Todesopfer
forderte.
Was der deutsche Michel bislang nur von den ewig besoffenen, korrupten
und schlampigen Russen aus dem Fernsehen kannte, das wurde ihm nun
in die gute Stube beschert.
Das waren nicht nur die Bausünden der Entstehungszeit, nicht
nur die grobe Vernachlässigung der baulichen Strukturen in der
Zeit des Betriebes – das war die Offenlegung des wahren Kerns
der einstigen Wirtschaftsgroßmacht Bundesrepublik Deutschland,
aus deren Blütezeit ja das Gebäude stammt.
Doch dazu kommen wir später. Ein etablierter Kollege meinte im
Rundfunkakonisch, die Eissporthalle hätte ja immerhin 35 Jahreang
treue Dienste geleistet und vielen Menschen Vergnügen bereitet.
Jawoll! So wollen wir das künftig kalkulieren: Ein neues öffentliches
Bauwerk… macht fünfzehneinhalb Millionen plus Mehrwertsteuer
und zehn Menschenleben. Dafür gibt’s in der Zwischenzeit
jede Menge Spaß und Dienstleistungen satt. Großartig!
Die Rundfunkanstalten und Medien Deutschlands müssen schon mindestens
so banquerott sein, wie der Staat, in dem sie ihre Reporter herumächzen
und kritzelnassen, wenn sie schon die dritte Garnitur zur Berichterstattung
heranziehen müssen. Wo arbeiten die wahren Journalisten? Wo sind
die hin? Ich meine die, welche sich ohne „äh“ in
der Rede, aber mit Verstand hinter den Worten zu artikulieren wissen?
Dochassen Sie uns diesen traurigen Umstand nicht weiter thematisieren.
Nicht an dieser Stelle.
Was auf dem Herzen brennt, ist die Feststellung, daß diese Sporthalle
ein Symptom darstellt. Sie zeigt uns klar die Krankheit, an der der
einst so potente Patient Westdeutschland schon seit Jahrzehnteneidet,
die aber erst dieser Tage so richtig zum Ausbruch kommt.
Nach dem Wirtschaftswunder wußten dieeute offenbar schon nicht
mehr, wohin mit dem Geld. Woher es aber kam, das fragte kaum jemand.
„Das haben wir uns erarbeitet!“ „Das haben wir verdient.“
„Wir!“ So dachten sie, die Bermuda-Shorts und Hawaiihemden
tragenden Urlauber, die sich von armen Negern und Thaimädchen
den Cocktail an deniegestuhl bringenießen. Diese Botschafter
des Überflusses und der Arroganz hatten genug und vollauf damit
zu tun, dem Deutschen einen miserablen Ruf in der Welt zu verschaffen,
der sich nur notdürftig mit harten D-Mark kaschierenieß.
Da blieb nicht viel Zeit für kritisch hinterfragende Gedanken.
„Der Reichtum kam von der harten Plackerei der Erhardt’schen
Wirtschaftswunderjahre“, werden Sie jetzt rufen. „Von
der intensiven und extensiven Reproduktion nach der großflächigen,
bombengestützten Planierarbeit während desetzten Krieges.“
Das isteider nur bedingt richtig. Ein Großteil des Reichtums
kam ganz einfach unter anderem vom gnadenlosen Neokolonialismus der
Nachkriegsjahre. Indio, Kuli und Neger mußten malochen und Hungers
krepieren, während zwischen Rhein und Elbe das Schlaraffenland
ausbrach. Und da der Teufel beinahe konsequent auf den großen
Haufen scheißt, wurde Deutschland-West immer reicher und die
anderen immer ärmer. Wenn aber ein Prolet über Nacht vermögend
wird, geht er selten klug um mit dem neuen Reichtum. Das deutsche
Volk – Ost wie West – beherbergt nun einmal eine mächtige
Proletenfraktion, die sich wahrhaft durch alle Bevölkerungsschichten
zieht.
Kurz und gut, das Geld, das da war, wurde nicht nur in vollen Zügen
zum Fenster hinausgeworfen – schließlich muß man
ja den Wirtschaftskreislauf im Schwung halten – es wurden auch
gigantische Schulden auf die Zukunft aufgenommen, die man für
zwangsläufig noch rosiger hielt, als die Gegenwart an sich schon
aussah. Das konnte doch gar nicht anders sein, bei dem Fortschritt
von Wissenschaft und Technik, nicht wahr!
Doch der Markt kehrt sich nicht um blinde Träumer! Seine Gesetze
diktieren ein Auf und Ab. Für großmäulige Hängemattenbewohner
heißt es in aller Regel: Ab!
Das war der Grund, warum man der Bad Reichenhaller Sporthalle die
überfällige Pflege versagte. Oder was glauben Sie, warum
wir uns heute noch vereinzelt an genuinen romanischen Kirchen erfreuen
können? Ganz einfach, die Nutzer dieser Kirchen waren in den
folgenden Jahrhunderten zu arm, um die Gotteshäuser dem modischen
Stil der Zeit entsprechend umzugestalten. Inas Vegas oder anderen
Boomtowns kann ein Gebäude gar nicht an Altersschwäche zusammenfallen.
Wo der Aufschwung aber seine Dynamik eingebüßt hat und
der Wirtschaftsmotor stottert, da ist es bald Essig mit Neubauten.
Da reicht’s dann nicht mal mehr für Notreparaturen. Kennen
wir alles noch aus den Endjahren der Deutschen Demokratischen Republik.
Das traf dann auch auf den Staat Bundesrepublik Deutschland zu, der
spätestens seit den Endsiebzigern für alle Realisten sichtbar
zu rutschen begann.
Genau dafür ist Bad Reichenhall eine symbolische Quittung, ein
sprechendes Bild: Setzt man statt des durchnäßten Schnees
nämlich die horrende Staatsverschuldung ein, deren Zinsen schon
nicht mehr auf das Staatsvolk wie sanfte Flocken herabrieseln, sondern
mittlerweile herabrauschen wie ein sintflutartiger Platzregen, dann
stellt sich die Frage, wieange das Dachgebälk Deutschlands noch
halten wird. Als es am 30. Januar 1933 einbrach, begrub es mehr als
15 Menschen unter sich. Auf jedes der Bad Reichenhaller Opfer kamen
damals Vier Millionen!
Eine kritische Bilanzierung und Rückkehr zu solider Arbeitsweise
tut not – sowohl im Kleinen wie im Großen. Ansonsteniegen
wir bald alle unter Trümmern und keine Rettungsmannschaft dieser
Welt holt uns darunter hervor. Also, rauf aufs Dach und Schnee geschaufelt!
Und nicht gleich wieder nach dem fetten, fauleneben geschrieen, wenn
sich die Situation wieder etwas entspannen sollte. Es währtange,
alte Sünden abzutragen. Weitausänger zumindesgt, als sie
zu begehen!