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Zum 70. Todestag unseres geistigen Vaters
Dr. Kurt Tucholsky
B. St. Fjøllfross
Sieben Jahrzehnte sind es nun her,
daß Herr Dr. Kurt Tucholsky, einer der brillantesten, spritzigsten
und intelligentesten Schriftsteller, deren sich das deutsche Volk je hat
rühmen können, der Welt für immer verloren ging. Ein wahrer
Sohn Lichtenbergs, Heines und Jacobsons hatte während des ersten
Drittels des letzten Jahrhunderts die deutsche Kulturlandschaft unendlich
bereichert.
Es ist nun nicht so, daß der Preußische Landbote versessen
auf Anniversarien wäre. Das sind von Menschenhand willkürlich
festgelegte Daten. Man sollte sie nicht überbewerten.
Der diesjährige 21. Dezember 2005 aber unterscheidet sich wesentlich
von gewöhnlichen Jahrestagen dieser Art. Nach siebzig Jahren nämlich
werden die Texte unseres geistigen Vaters Eigentum der Allgemeinheit.
Das bedeutet, man kann ab dem 22. Dezember getrost, ohne weitere Restriktionen
befürchten zu müssen, aus den Werken Herrn Dr. Tucholskys zitieren.
Wir gedenken, von dieser Gelegenheit regen Gebrauch zu machen.
Es kann nach unserem Verständnis nicht recht sein, daß einige
der schärfsten Waffen im Kampf gegen die Mikrobe der Menschlichen
Dummheit, die je geschmiedet wurden, von selbsteingesetzten Gralshütern
unter Verschluß gehalten und nur gegen Bares zur Verfügung
gestellt werden. Nota Bene! Diese Attacke reiten wir ausdrücklich
nicht gegen die sehr ehrenwerten und sowohl äußerst engagierten,
als auch gleichermaßen freundlichen Mitarbeiter des Rowohlt-Verlages,
denen wir schwerlich etwas anderes als stetes Bemühen im Geiste ihres
wohl excellentesten Autors würden nachsagen können.
Die uns das Brot diesbezüglich sauer werden ließen, die saßen
nicht in Reinbeck!
Wir haben es nicht verstanden und die Auskunft, die man uns gab, war banal
und nichtssagend. Man munkelte, der Gralskönig der die uns tangierenden
Rechte verwaltenden Gesellschaft habe eine regelrechte Aversion gegen
die neuen Medien und hätte sich deshalb uns gegenüber spröde
und fordernd bezeigt. Geld, Geld, immer wieder Geld. Geld mußte
geboten werden. Für ein paar Worte nur! Wir haben ausgespuckt und
uns abgewandt!
Es wäre ein ander Ding, wenn unser geistiger Vater noch am Leben
und dieses Geld seinem Unterhalte dienlich wäre. Als er dessen aber
tatsächlich am Dringendsten bedurfte, wo waren da diejenigen, die
sein Erbe nun so kommerziell erfolgreich verwalten? Noch zu jung? Noch
nicht geboren? Mag sein. Dann aber haben sie um so weniger Veranlassung,
sich in unserer Zeit zu hortschützenden Drachen aufzuschwingen.
Ein Entree in den Park Tucholsky’schen Gedankengutes erheben zu
wollen, dürfte dem Andenken des Urhebers nicht gerecht werden. Seine
Schriften sollten in die Köpfe vieler gelangen, um Veränderungen
zu katalysieren. Sie wurden nicht für die Vitrine geschrieben. Sie
waren gedacht für das Leben. Für ein besseres Leben!
Und so sprechen wir, schon ein erstes Mal frech und frei unseren Schutzpatron
zitierend, zu jenen Schrankenwärtern, die uns bislang von dem Erbe
zu verbeißen suchten, das jetzt auch das Unsere ist: „Mach
keinen Zimt, Anton! … und laß mich durch! Sonst rufe ich deine
Frau!... Mach die Barriere auf, Anton…Es ist besser so!“*
Und ob uns die Antons nun für den Gottseibeiuns oder den Auserwählten
halten, ist uns dabei ziemlich wurscht. Trinkgeld konnten wir nicht geben,
haben wir nicht gegeben und werden wir nicht geben. Das haben wir hinter
uns! „Aber nun weiter, weiter…“*
Wir werden auf der Chaussee weitermarschieren, die unser großer
Vater uns gepflastert hat. Wir werden weitermarschieren, wie sich das
für brave preußische Soldaten gehört. Für Soldaten
einer Armee, der er nicht hätte fluchen müssen und die tapfer
gegen die alten Kommisköpfe avanciert. Sei’s drum, daß
diese auch in den eigenen Reihen zu finden wären! Das ist unser Dank
an IHN, das ist unsere eiserne Verpflichtung, das ist der Sinn der Existenz
des Preußischen Landboten!
* zitiert aus: „Kurt Tucholsky , Träumereien
an Preußischen Kaminen“, „Die verzauberte Prinzessin“
, Verlag Volk und Welt Berlin 1969, S. 191
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