Revolten in Frankreich –
der Jaquerie zweiter Teil?
Jules-Francois Savinien
Lemarcou
Spät meldet sich der Landbote
zu den Krawallen in Paris und der französischen Provinz zu Wort.
Das hat seinen Grund. Wir sind kein tagespolitisches Blatt. Zunächst
schauen wir uns die Dinge an und versuchen dann hinter die Gründe
der Ereignisse zu kommen.
Was uns momentan an ungezügelter Gewalt in Frankreich begegnet,
erinnert uns an die These der marxistischen Gesellschaftskritik: Gewalt
bricht in Gesellschaften immer dann aus, wenn sich ihre inneren Widersprüche
zu einem unüberwindbaren Kulminationspunkt verschärft haben.
Herr Sarkozy macht es sich auf seinem Wege nach ganz oben unverantwortlich
einfach: Er spricht die Krawallmacher völlig unkritisch und verallgemeinernd
als "Gesindel" an. Das mag hier und da schon stimmen –
aber es ist doch etwas zu populistisch formuliert.
Vor allem aber sagt die Schimpfkanonade des Herrn Innenministers nichts
über die Ursachen aus.
Weit entfernt davon, unkommentiert den leidigen Allgemeinposten „Globalisierung“
zu bemühen, müssen wir diese Tendenz jedoch zweifelsohne
den Hauptursachen der gesellschaftsinternen Spannungszunahme in den
westlichen Gesellschaften zurechnen. Das höchst flexible Kapital
verfügt längst über die Möglichkeit, sich auf
dem Globus in Windeseile die Plätze zu selektieren, die für
den Augenblick die günstigsten Produktions- und Absatzmöglichkeiten
offerieren. Kein noch so gut gemeintes Regulativ eines noch so hoch
entwickelten Sozialstaates vermag dieses entfesselte Raubtier fürderhin
zu bändigen. Die Folge: Es kommt zu einer Aufweichung sämtlicher
nationaler Gesellschaftsstrukturen mit einer Geschwindigkeit, deren
stetes Anwachsen sich nach dem Eulerschen Logarithmus berechnen läßt.
Nun ist es von intellektuell eher simpel strukturierten Zeitgenossen
– und diese Fraktion dürfte mindestens zwei Drittel der
Weltbevölkerung ausmachen – unbillig zu verlangen, daß
diese Prozesse erfaßt und begriffen werden. Was die Leute verstehen,
weil sie es direkt am eigenen Leibe zu spüren bekommen, ist,
daß sie Tag für Tag ärmer und perspektivloser werden.
Sehen sie keinen Silberstreifen am Horizont, bricht sich die aufgestaute
Gewalt, die dem Nackten Affen eh schon immanent ist, mit aller Macht
ihre Schneise! Das lehrt uns die Geschichte hinreichend. Wenn es hoffnungslos
wird, dann mutiert jeder kleine, in die Ecke getriebene Dackel zu
einer wahren Höllenbestie.
Frankreich ist nun für seine „revolutionären“
Erhebungen berühmt. Nur, wohin sollen die Revolten dieses Mal
zielen? Es gibt keine Bastille mehr, die man symbolisch niedermachen
könnte um damit einen Umsturz oder Umbau gesellschaftlicher Verhältnisse
zu generieren. Eine Guillotine auf den Place de Greve? Was soll’s?
Wen wollte man auch decapitieren? Das Kapital ist gesichtslos, amöboid
und blitzschnell. Es bedient sich ebenso schnell substituierbarer
Handlanger.
Es gibt nur einen Weg, Kapital zu vernichten: Es muß an sich
selbst ersticken! So wie Spanien an seiner eigenen Gier, an seinem
ungeheuerlichen Goldraub im Zuge der Conquista zugrunde ging! Eine
Inflation muß her! Klingt selbstmörderisch. Ist es auch.
Denn diese Inflation müßte eine Krise auslösen, die
den Globus auf ähnliche Art umspannt, wie es das Kapital schon
jetzt tut. Gegen ein solches Wirtschaftsbeben zur gegenwärtigen
Zeit aber wäre jenes von 1929 ein vernachlässigbares Ereignis.
Es ist fatal, aber die Wirtschaftskritik des Kapitalismus erzwingt
geradezu einen Kurs auf ein solches Ereignis hin! Eisberg voraus!
Volle Kraft voraus!
Insofern besteht kein Grund, die Randale der ausgetickten Jugendlichen
von Frankreich überzubewerten. Sie sind lediglich als symptomatisch
einzuordnen. Quasi das erste Gebimmel, mit dem das kommende Chaos
eingeläutet wird. Das Kapital hat sich global isostrukturell
organisiert und damit einen uneinholbaren Vorsprung zu seinen durch
zig Tausende Ethnen divergierte Antagonisten erarbeitet. Diesen Vorteil
wird es gnadenlos ausnutzen – es wäre denn kein echtes
Kapital!
Der Plebs merkt es und tobt. Hilfloses Gekreisch im Affenkäfig!
Man ist mit von der Partie oder man ist sofort draußen. Das
unerbittliche Gesetz des Dschungels! Wer dabei ist, hat trotzdem keinen
Grund, sich sicher zu wähnen. Das Spiel Monopoly zeigt es deutlich:
Selbst als Inhaber der Rathausstraße mit einem Hotel kann man
ganz fix am Ende sein, wenn man dreimal auf die Hotelbewehrte Schloßallee
gestolpert ist, die sich dummerweise in den Händen des Feindes
befindet! Dem Kapital sind Gefühle und menschlich-moralische
Erwägungen fremder als dem All. Seine Temperatur ist eisiger
als drei Kelvin. Aus diesem Grunde kann sich das „Gesindel“
des Herrn Sarkozy die Randale sparen, insofern der Aufruhr kein Selbstzweck
ist. In diesem Lichte betrachtet, können wir dem Herrn französischen
Innenminister nur aus vollem Herzen recht geben. Aber das würde
uns als hundsgemeiner Zynismus ausgelegt. Also lassen wir das!
Ende des Jahrzehnts werden wir mehr wissen. Wenn es uns dann noch
gibt...