Zur Bundestagswahl 2005
Don Miquele Barbagrigia
Michel, Michel – das hätte
Dir nun wirklich keiner zugetraut! Du kannst ja richtig sublim abwatschen!
Donnerwetter!
Die diesjährige vorgezogene Bundestagswahl hatte etwas von einem
Kamikazeeinsatz, sowohl von Seiten des Herrn Bundeskanzlers als auch
von Seiten des deutschen Wahlvolkes.
Es ist erstaunlich: Unter so reger Anteilnahme sind die deutschen
Wähler schon lange nicht mehr zu den Urnen geeilt. Und was kam
heraus? Ein klassisches Patt zwischen den beiden Großen, ein
Kopf-an-Kopf-Zieleinlauf der drei "Kleinen", von denen die
neue Linkspartei den Etablierten die meisten Kopfschmerzen bereiten
dürfte.
Das Gejammer über diesen hausgemachten Umstand, die betonte Ignoranz
von bundesweit über acht Prozent des Wählerwillens ist ein
Trauerspiel politischer Unkultur. Man hat es hier nicht mit Nationalsozialisten
zu tun! Es zeugt von abgrundtiefem Verlust von Demokratieverständnis,
einen Teil des mündigen Wahlvolkes auszuklammern, weil er der
eigenen politischen Ausrichtung scharf entgegensteht. Das hat etwas
zutiefst Diktatorisches. Aber was soll's. Weit wird man mit diesem
infantilen Affentheater nicht kommen.
Apropos Affentheater: Wie das heillose Gekreisch einer sich um eine
Banane streitende Affenhorde mutet das kindische Gezänk im Anschluß
der Wahlen um die Vakanz des Bundeskanzlersessels an. Frau Merkel
tut sich dabei besonders hervor. Muß sie doch nun ernsthaft
um ihre Basis aufgrund der vergeigten Wahl und der völlig verpaßten
Chance zur Machtübernahme fürchten. Sie war immer die ungeliebte
Ostfrau für die schwarzen Patriarchen. Nun wird ihr deren Wind
eiskalt ins Gesicht blasen. Das zu übertönen muß man
schon kräftig gegen den Sturm anbrüllen – solange
man noch darf.
Wer aber immer nun das Ruder übernehmen wird: Er oder sie wird
sich ihrer Macht kaum erfreuen können. Zu stark steht die jeweilige
Opposition gegenüber. Und dieser Opposition braucht man gewiß
keine Konstruktivität zu unterstellen.
Darin liegt das Harakiri-Moment dieses Wahlgangs begründet. Eine
schöne Selbstentleibung des Michels – weiß Gott!
Das hatte Stil. Das Blöde an einem Selbstmord ist nur, daß
man hinterher im Allgemeinen wie ein Käfer auf dem Rücken
liegt, bar jeder Handlungsfähigkeit. Herzlichen Glückwunsch!
Solche Faxen könnte sich das Reich vielleicht erlauben, wenn
es noch feist und wohlgenährt wäre. Doch von der einstigen
Bundesrepublik existiert nur noch eine runzlige Hülle. Sie ist
banquerott und bis zum Offenbarungseid verschuldet. Dessen sie dringend
bedürfte, wäre eine radikale Reform, die sich durch die
ganze Gesellschaft zöge. Das zum Beispiel betrifft die konsequente
Entmachtung des allmächtigen Beamtenkörpers oder die Entflechtung
des völlig verwuselten Steuer- und Subventionsrechtes. Entsinnt
man sich des auszumistenden Stalls des Augias...? Herakles, wo bist
Du?
Der Ruf verhallt vergebens. Hier ist kein Plan zu erkennen und kein
Mut, keine Kraft, kein Rückhalt und kein Charisma, dieses Titanenwerk
umzusetzen. Auf dem vermoderten Industrieboden Deutschlands gedeihen
bestenfalls Sprechblasen. Unselige Sprechblasen. Solche, die von einer
den Binnenmarkt mordenden Mehrwertsteuererhöhung schwadronieren
und die Leute bestenfalls dazu bewegen, ihre Ersparnisse im Garten
zu vergraben. Nirgends ein Signal zur Ankurbelung des Binnenkonsums!
Nur kurzsichtige Flickschusterei allerwegen! Und die oben erwähnten
Sprechblasen in Hülle und Fülle.
Die aber wuchern am meisten dort, wo früher der Filz prächtig
gedieh. Angebaut wurde dieser Filz von Leuten, die jahrzehntelang
nichts taten, um das Land zum Prosperieren zu bringen, sondern sich
nur von Legislaturperiode zu Legislaturperiode hangelten, dabei die
Wählergunst mit gewaltigen Hypotheken auf die Zukunft erschleichend.
Michel, der sonst zu jeder Dummheit fähig ist, bewies diesmal
feinen Instinkt. Gut, diese Abwatschung wird nichts bewegen, außer
daß das Land noch mehr ins Chaos trudelt. Aber überfällig
war diese Wählerantwort – und sie kam, wie man an der Wahlbeteiligung
unschwer ablesen konnte, sehr deliberiert, sehr deutlich.
Das gegenwärtige Politbarometer weist momentan nach Weimar, oder,
wenn wir näher an der jüngeren Vergangenheit bleiben wollen
– ins Italien der Siebziger und Achtziger: Destabilisierung
der politischen Verhältnisse zieht immer eine Destruierung der
wirtschaftlichen Verhältnisse nach sich. Wenn aber die existentiellen
Verteilungskämpfe zunehmen, dann beißt sich die Katze in
den Schwanz: eine Polarisierung der politischen Landschaft mit einer
Verlagerung des Machtzentrums in die Richtung der extremen Ränder.
An dieser Stelle wird es heiß. Und das nicht nur innenpolitisch.
Das Ausland beobachtet die Entwicklung in Deutschland genau und reagiert
sehr sensibel. Eine Instabilität in der politischen Landschaft
führt zu einem neuerlichen Investitionsrückgang in Zeiten
ohnehin schon grassierender industrieller Abwanderung. Das ist nun
wirklich das Letzte, dessen Deutschland gegenwärtig bedarf.
Was wäre nun zu schlußfolgern? Zunächst einmal geht
es nicht primär um eine politische Willensbildung an der Spitze
der Gesellschaft. Es geht darum, daß Michel nicht nur einmal
alle Jubeljahre an einem Wahlsonntag kurzfristig aufwacht, sondern
während der Legislaturperiode behende bleibt. Der Verfilzung
der Gesellschaft, diesem unseligen Myzel, das dem Nackten Affen immanent
zu sein scheint, muß brutal entgegengewirkt werden. Denn Filz
bedeutet Stagnation, Unflexibilität, Depression. Michel muß
erzwingen, daß Politik transparenter wird. Der Mandatsträger
muß gezwungen werden, Klartext zu reden, für den er später
haftbar gemacht werden kann. Überhaupt – Versagen an so
exponierten Stellen muß eine entsprechende Ahndung und Ächtung
erfahren – auf daß sich Politiker ihrer Verantwortung
nicht nur mit dem Maule bewußt seien. Keine Ehrenposten und
Abfindungen mehr für hochrangige Nieten, während jeder Subalterne
bei entsprechenden Fehlleistungen an den Fingernägeln knabbern
muß!
Was dem Lande am meisten fehlt, ist eine Aufbruchstimmung, die mit
einem seit den Achtundsechzigern verknöcherten Establishment
nicht mehr zu machen ist. Wer nach erfolgreicher Umsetzung solch fundamentaler
Maßnahmen dann mit der Legislatur beauftragt wird, bliebe sich
innerhalb des demokratischen Spektrums beinahe gleich. Zu ähnlich
sind sich die Volksparteien in ihrem Auftreten schon geworden, als
daß sich eine ernsthafte inhaltliche Abgrenzung noch ausmachen
ließe.
Wir wollen nicht zurück in die nationalistische Kleinstaaterei.
Aber einem hemmungslos global operierenden Manchester-Kapitalismus
sei die Stirn geboten! Wer sich diesem widerlichen Ungeheuer als Türöffner
verschreibt, der möge fern gehalten werden von jeder Machtausübung.
Das aber sei dann die einzige Ausschlußprämisse für
eine Folgewahl, die wir jedoch hoffen, nicht vor Ablauf von vier Jahren
erleben zu müssen.