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zum Landboten
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Die
verheerende Macht der Unsinnigen – zum Unwesen deutschen „Seelenexperten“
S. M. Druckepennig
In den zwölf dunkelsten Jahren
der deutschen Geschichte kamen die nationalsozialistischen Wortschöpfer
auf den nachdenklich stimmenden Begriff vom lebensunwerten Leben. Daß
unter dieser Sprachregelung Juden, Zigeuner, „Bibelforscher“,
Neger, Kommunisten, Sozialdemokraten, Menschen des Ostens – also
alle „Nichtarier“ und Nichtnazis - versammelt wurden, versteht
sich beinahe von selbst. Aber auch eine Gruppe deutscher Staatsangehöriger
wurde in diesen Hexenkessel gestoßen: Sich auf Darwin und die knallharte
Vorgaben der natürlichen Auslese berufend, lehnten es die Nazis ab,
geistesschwache oder geisteskranke „Volksgenossen“ weiterhin
durchzufüttern. Die altgriechische Vokabel „Euthanasie“
auf das Übelste mißbrauchend, begannen sie sich der wehrlosen
Menschen in den Anstalten Hadamar, Pirna-Sonnenstein und Brandenburg-Görden
zu entledigen.
Die Kollegen vom westdeutschen Rundfunk strahlten am 04. Januar 2006 einen
Beitrag* über ein Opfer des nationalsozialistischen Umgangs mit den
seelisch Kranken aus. Herr Paul Brune wurde seinerzeit als asozial psychopathisch
und debil eingestuft, was einem sicheren Todesurteil gleichkam. Seine
Kindheit verlebte er in einer christlich geführten Anstalt, die als
Vorhof zur Hölle zu betrachten ist. Sowohl der anstaltsleitende Pfarrer,
als auch Ärzte und Nonnen waren durch die Bank Schwerverbrecher,
Kindesmißhandler und Kinderschänder. Wenn der Begriff „lebensunwertes
Leben“ keiner Rechtfertigung bedarf, dann im Hinblick auf dieses
kriminelle Gesindel. Wir lehnen jeden respektierlichen Umgang mit diesen
Ganoven ab, die sich im geweihten Mantel edelsten Christentums als willige
Vollstrecker nationalsozialistischen Ungeistes andienten und damit ihren
Messias ein zweites Mal ans Kreuz schlugen. Jammerndes Klagen aber wäre
unangebracht, weil realitätsfremd: Viele Menschen stellen nun mal
nur das Leben ihres Nächsten als unwert in Frage. Das eigene ist
selbstredend immer ein höchst schützenswertes Gut.
Das Drama um Herrn Brune setzte sich nach dem Kriege beinahe nahtlos fort.
Der westdeutsche Staat erwies sich von der Stunde Null an als komplett
unfähig, mit den alten Verhältnissen aufzuräumen. Wie auch?
Das größte Lumpenpack der deutschen Nation hatte es verstanden,
sich um Front und Wehrdienst zu drücken und ließ im Felde die
anderen für sich verrecken. Wen sollte man also nehmen, um die neue
Gesellschaft aufzubauen? Die Alten natürlich, die Nazis, die Mitläufer,
die Kujons! Es waren ja kaum andere da. Die „alten Kämpfer“
aber dachten nicht daran, ihre „Arbeit“, die sie während
der Hitlerdiktatur geleistet hatten, in Zweifel zu ziehen. So blieb zunächst
alles wie gehabt.
Herr Brune jedoch konnte seine Entlassung und die Aufhebung seiner Entmündigung
durchsetzen, sein Recht auf Bildung durchboxen, das Abitur ablegen und
ein Germanistik- und Philosophiestudium beginnen. Auf ganz praktische
Art und Weise führte er die Diagnose der verbrecherischen Mediziner
ad absurdum.
Kurz vor den letzten Examina holte ihn das Pack von damals jedoch wieder
ein. Beim Sozialamt um eine finanzielle Unterstützung für den
Studienabschluß vorsprechend, wurde man auf seine Biographie und
die in ihr enthaltene Diagnose aufmerksam, traute seinen Augen kaum und
warf dem Studenten Betrug und Urkundenfälschung vor, als er seine
Testate und Scheine vorlegte. Da die Diagnose der Verbrecher heilig war,
konnte nicht sein, was nicht sein durfte und so verweigerte man Herrn
B. die Fortsetzung seiner Studien. Erneut mußte er vor Gericht ziehen,
erstritt auf zermürbende Weise Kleinerfolge, schloß ab –
aber Lehrer, das durfte er denn doch nicht werden. Die Nazidiagnose hing
ihm sein Leben lang an. Erst im Jahre 2003, als Herr Brune schon ein alter
Mann war, ließ sich das Land Nordrhein-Westfalen herbei, sich bei
dem Manne zu entschuldigen. Zu spät für ein Menschenleben!
Erschreckend an diesem Fall aber ist auch der deutliche Verweis auf die
Abhängigkeiten, in die sich deutsche Richter und Behörden seit
jeher in Bezug auf psychiatrische Gutachter begeben. Angefangen bei den
unsäglichen Hexenprozessen, in denen sich die deutsche Justiz des
Vieltausendfachen Mordes schuldig gemacht hat, geht das munter fort bis
in unsere Tage. Damals waren es zugegebenermaßen mehrheitlich Theologen,
die ihren obskuren und ominösen Quark in die Verfahren hineinrührten.
Die Kunde von den Seelenerkrankungen besetzte erst später den gleichen
Thron. Wir wollen nicht ungerecht gegen die wenigen – der Terminologie
des Landboten folgend und sich auf Horst Geyer berufend „Bartpsychiater“
genannten – Humanisten sein, deren Anliegen und Sorge ungeheuchelt
der Linderung des Leidens seelisch erkrankter Menschen galt. Diese von
wirklich edlem Geist durchdrungenen Männer sind jedoch seit jeher
in der Minderzahl gewesen. Die Strolche, die sich eine Disziplin aussuchen,
in der sie unter dem Schutz einer nahezu vollständigen Rechtsfreiheit
nach Belieben wüten können, werden die Szene durchseuchen, solange
die Gesellschaft nicht im wahrsten Sinne des Wortes zur Vernunft kommt
und endlich strenge und nachvollziehbare Richtlinien ersinnt, an dem die
seiernde und säuselnde Zunft zu messen ist, wie ein Architekt an
seiner Brücke oder ein Chirurg an seiner Wundversorgung.
Die wahren Monstren sind nicht Frankenstein und seine Adepten. Es sind
die Jekkylls und Hydes der Gegenwart, die oftmals den Beruf eines Psychiaters
ergriffen, weil eigene Persönlichkeitsdefizite ihnen durch ihre gesamte
Vita hindurch zusetzten. Unfähig, sich dieser Problematik am eigenen
Leibe zu stellen, wählen diese Ungeheuer den Umweg über ihnen
ausgelieferte, im fatalsten Falle ihnen von der deutschen Justiz zugetriebene
Patienten, und richten diese zugrunde.
Solche Gutachter, die man nota bene unterscheide von echten, wissenschaftlich
arbeitenden Sachverständigen, sind die Pest der modernen Gesellschaft.
Hätte er um ihre künftige Existenz geahnt, Albrecht Dürer
hätte sie in seine apokalyptischen Reiter mit aufnehmen müssen:
Ein dümmlicher Kerl im langen, weißen Kittel auf einem fahlen
Roß! Das hätte die Menschen wenigstens gewarnt.
Was aus dem tragischen Schicksal des Herrn Brune und seiner Abertausenden
Leidensgenossen geschlußfolgert werden muß, ist die unbedingte
Pflicht der Gesellschaft sich selbst gegenüber, diese entarteten
und freidrehenden Gestalten an die sehr kurze Leine zu legen! Es muß
ganz klar sein, daß sie im vollen Umfang für ihre Gutachten
verantwortlich zu machen sind – mit Hab und Gut und Freiheit! Sie
haben einem Triebtäter eine günstige Prognose gestellt, worauf
dieser – kaum entlassen – das nächste Mädchen vergewaltigt
und getötet hat? Unvermeidliche Anklage und Verurteilung wegen aktiver
Beihilfe zum Mord! Sie haben einem Menschen wie Herrn Braune Leben und
Zukunft gestohlen? Schadensersatzleistung bis zur Pfändung des gesamten
Eigentums – ohne Pardon!
Das Gewäsch von der Unwägbarkeit und der Differenziertheit der
menschlichen Seele ist unakzeptabel! Wer weiß, daß er sich
in einem nicht zu definierenden und vollständig abstrakten Raum befindet,
darf keine determinierenden Feststellungen treffen, die ganz praktische
Auswirkungen auf das Leben der Menschen haben.
Wer unfähig ist, eigene Ambitionen und Emotionen von der professionellen
Arbeit als Psychiater und Gutachter zu trennen, hat in diesem Beruf, in
dem es um höchste Einsätze geht, nichts verloren! Übt der
Betreffende – verlassen von jeder Objektivität und Selbstkritik
– diese Profession weiterhin aus, dann sind ihm ähnlich harte
Sanktionen in Aussicht zu stellen, wie einem betrunkenen Automobilisten!
Richter und Behörden, die diesen Gutachten nicht die nötige
kritische Bewertung angedeihen lassen, sind nach gleichem Maßstab
zu bewerten!
Es mag sein, daß wir in der Radikalität und Härte unserer
Forderung über das Ziel hinausschießen. Aber genau das ist
mitunter notwendig, um eine Diskussion überhaupt erst zu initiieren
und am Ende wenigstens einen Bruchteil der anfänglichen Forderungen
umzusetzen.
Schicksale wie das Herrn Brunes werden sich immer wieder ereignen. Machen
wir uns nichts vor. Es geht aber darum, sie mit aller Macht einzudämmen!
*“Lebensunwert“ Der Weg des
Paul Brune; Ein Film von Monika Nolte & Robert Krieg
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