Sturm über der Karibik
Jules-Francois S. Lemarcou
Dem Landboten bläst momentan
ein ziemlich heftiger Wind durch die Seiten seines Blätterwaldes.
Das hat mit der Umstrukturierung zu tun, die der Gazette zu einem
neuen Formate verhelfen soll, mit seiner bevorstehenden Notierung
bei der Deutschen Bücherei zu Leipzig – kurz, mit seiner
Entwicklung zum hoffentlich Positiven.
Stürmisch geht es derzeit auch in der Karibik zu: Catrina und
Rita heißen die wirbelnden Damen, die die Menschen der U.S.A.-Südstaaten
zu einem brutalen Tanze auffordern. Es sind temperamentvolle Fräuleins,
fürwahr. Ist die Damenwahl vorüber, heißt es für
weite Landstriche der amerikanischen Golfküste: Land unter!
Ob wir die Opfer verhöhnen wollen? Nein! Mitnichten! Wie wir
sehen, trifft es wie immer die Ärmsten der Armen, die Wehrlosen.
Denen gilt unser tiefstes Mitgefühl. Die anderen aber, das amerikanische
Volk schlechthin, das sich so wonnig in Katastrophenfilmen suhlt und
seit langem jeder menschlichen Intelligenz und Vernunft abgeschworen
hat, die mögen ihrem Verstand dorthin folgen, wo sie ihn zu Beginn
ihres Größenwahns versenkt hatten: auf den Grund des Meeres!
Denn sie reißen uns alle mit 'rein! Sie ziehen uns mit hinab
in den Malstrøm ihrer Dummheit und Ignoranz. Die explodierenden
Spritpreise an den deutschen Tankstellen sind nur ein erster, beinahe
harmloser Anfang.
Wer von der unterbelichteten Fraktion der westdeutschen Landsleute
noch immer meint, der Anschluß der Größten DDR der
ganzen Welt hätte die westdeutsche Ökonomie ruiniert, der
darf nunmehr seinen stumpfsinnigen amerikanischen Befreiern danken,
die er über Jahrzehnte hinweg kritiklos angehimmelt hat.
Haben die Russen in punkto Umweltverschmutzung und -vernichtung mit
der erfolgreichen Bekämpfung des Aralsees seinerzeit Maßstäbe
gesetzt, so schicken sich die Amerikaner nunmehr an, auch in dieser
Hinsicht im globalen Wettbewerb die Führungsrolle zu übernehmen.
Sie scheinen das Sputniktrauma noch immer nicht überwunden zu
haben.
Und diesmal gewinnen sie. Denn zu ihren weltweiten Erfolgen bei der
Vernichtung von intakter Natur und der Auslösung von Umweltkatastrophen
(jahrzehntelange Atomwaffenerprobung) muß man nun zwingend die
Eigentore hinzuzählen, die ihnen mit den verstärkten Heimsuchungen
durch Hurrikans und Tornados ins Netz gehen. Erbarmungslose Ausbeutung
fossiler, kohlenstoffgestützter Energiereserven bedeutet nun
mal eine Aufheizung der Atmosphäre und der Ozeane. Die daraus
resultierenden klimatischen Veränderungen sind seit langem bekannt
und prognostiziert.
Die realen Szenarien aber übertreffen die vorhergesagten –
wie's nun aussieht – um Dimensionen. Der Stein rollt und ist
nimmer aufzuhalten. Denn, was da über New Orleans hinwegfegte,
das war hausgemacht. Und das war erst der Anfang!
Man sollte sich das Geld sparen, New Orleans wieder bewohnbar zu rekonstruieren.
Es lohnt nicht. In der nächsten Tornadosaison säuft es eh
wieder ab. Einem Meeresspiegel, der binnen der nächsten einhundert
Jahre um ca. 30cm ansteigt, ist kein Deich mehr gewachsen. Und wie
lang soll er werden, der Deich? Soll er die gesamten kontinentalen
Küsten umspannen, mit Ausnahme des irischen Moher?
Nein, es wäre besser, das Geld bereits jetzt für die Umsiedlung
der Welt-Küsten-Metropolen bereitstellen.
Doch wozu auch diese Mühen? Parallel erwärmt sich der Globus
um etwa 4°C. Das soll er dem Vernehmen nach schon im 20. Jahrhundert
getan haben. Nun ist es eine Binsenweisheit, daß eine Globalerwärmung
um 10°C einen ähnlichen Effekt auf die Flora und Fauna des
Planeten hat, wie der Einschlag eines Meteoriten von mehr als 15km
Durchmesser – es folgt die "Global Dinstinction".
Dieses Massensterben begegnete dem irdischen Leben beispielsweise
zum Ende des Perms, vor 251Millionen Jahren, schon einmal mit aberwitziger
Wucht. Wir entsinnen uns der Formung der gigantischen sibirischen
Platte durch einen Supervulkanismus zu ebenjener Zeit, der seinerseits
zu einer Klimaerwärmung um 4°C führte. Dieser Prozeß
heizte nun wiederum die alten Ozeane auf, die daraufhin ihre gefrorenen
Methanblasen an die Atmosphäre freigaben. Der darin begründete
Treibhauseffekt – Methan ist eines der potentesten Treibhausgase
überhaupt, legte noch ein paar Kohlen nach: Es wurde noch einmal
um 5°C wärmer. Das größte bekannte Massensterben
begann. Etwa 75 % der an Land lebenden Arten, sowie etwa 95 % der
marinen Invertebraten starben aus. Das Ganze zog sich über etwa
80.000 Jahre hin. Diesmal wird's etwa 1.000 mal schneller gehen.
Die Amerikaner sorgen dafür. Und wenn dann das Gestöhne
aufkommt, daß die aufstrebenden Chinesen und Inder doch nun
mittlerweile ihren erklecklichen Teil zur globalen Umweltverschmutzung
beitragen – ja, wer hat's ihnen denn vorgemacht? Wer hat denn
genau diesen selbstmörderischen und rücksichtslosen Umgang
mit der Natur zum erstrebenswerten Standard definiert, an dem nun
endlich auch die teilhaben wollen, die ihn so lange erwirtschafteten
und doch nichts davon abbekamen?
In Europa hat es seit Jüngstem den Anschein, als setzte sich
zunehmend ein gesunder Amerika-Skeptizismus durch. Man wird kritischer.
Und das ist gut. Wer das Kyoto-Protokoll aus kurzsichtigen und habgierigen
Erwägungen heraus boykottiert, der muß in Acht und Bann
geschlagen werden, ob er sich nun als das Vierte Rom fühlt oder
nicht. Auch Barbaren, als die wir offensichtlich seit dem letzten
Weltkriege von Washington aus begriffen werden, haben Möglichkeiten
der Einflußnahme. Ein gutes Zeichen ist schon die Beendigung
einer mentalen Hörigkeit. Sie schafft den Rückhalt bei weitergehenden
Maßnahmen, die genau auf den wunden Punkt zielen – den
Einzigen, an dem man die Vereinigten Staaten wirklich packen kann:
an der Wirtschaft! Da werden sie wach. Da beginnen sich selbst die
Irren zu besinnen und nachzudenken, die gerade mit Hilfe ihres Marionettenpräsidenten
die Natur Alaskas schänden und die Eisschmelze des Nordpols bejubeln
– der kürzer werdenden Schiffahrtsrouten wegen...
Es darf sich nicht mehr für sie lohnen. Versteht ihr?! Sie müssen
draufzahlen! Nur das bringt sie zur Raison.
Aber vielleicht tun's ja schon die stürmischen Atlantikgeborenen
Damen mit den schönen Namen Catrina und Rita. Noch ein paar von
dieser Sorte und das regelmäßig mindestens viermal pro
Jahr – und selbst der hirnschelligste Hillie-Billi müßte
eigentlich wach werden.
Warten wir's ab. Und in der Zwischenzeit tun wir etwas gegen diese
unselige Entwicklung! Denn wir kriegen es unvermeidlich ab. Und das
wird auf Dauer nicht angenehmer, als die armen Neger von New Orleans
es heute schon erfahren müssen. Der existentielle Todeskampf
der Menschheit wird so brutal auch und gerade für den Einzelnen,
wie ihn die alten Griechen nicht mal in ihren kühnsten Albträumen
vom Eisernen Zeitalter zu beschwören vermochten.
Da Gnade uns der Herre Gott und nehme uns von hinnen, ehe es soweit
ist!