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Ein Mann und sein Gotteshaus
Für Señor Justo Gallegeo

 

S. M. Druckepennig
„Eines richtigen Mannes Wille kann Berge versetzen!“ Lange Zeit hielt ich das für eine überdroschene Phrase. Der alte Mann von Mejorada del Campo, einem Dorf bei Madrid, aber machte mich schweigen. Eine Kathedrale wollte er bauen zum höheren Lobe Gottes und zum Dank für die Genesung von einer in seiner Jugend durchlittenen, schweren Krankheit. Er allein.
Wir kennen die Geschichte um den Heiligen Franz, der seinem Gotte auf irgendeinem Acker ein Kapellchen baute – aber eine Kathedrale? Der Ausdruck ist sicherlich unglücklich gewählt. Eine Kathedrale ist eine Kirche, an der ex cathedra Theologie gelehrt wird. Dennoch fand das Volk intuitiv zu dieser Bezeichnung. Denn Lehrkirchen sind in aller Regel gewaltige Dome, Bischofssitze, nicht irgendwelche Dorfgotteshäuser.
Die Dimensionen des Gallego’schen Baus aber sind einer Großkirche durchaus würdig. 50m lang, 20m breit und bis zum Kuppelzenit 35m hoch!
Wir wissen, daß selbst schwerreiche, mittelalterliche Kommunen an ihren zentralen Kirchen oft Jahrzehnte bauten. Die Handwerker der Dombauhütten waren hoch spezialisierte Fachkräfte mit Dutzenden Helfershelfern. Erfahrene Architekten planten und organisierten den Bau.
Herr Gallego aber macht alles selbst. Mit beinahe nichts als dem Grundstück seiner Eltern, ohne jegliches Vorwissen – nur beseelt von seiner Frömmigkeit und seinem festen Wunsch, dieses Gotteshaus zu errichten.
Was im Laufe seines Lebens daraus wurde, ist fürwahr gigantisch. Sechs Tage in der Woche malocht der Mann hart und unerbittlich gegen sich selbst. Eine geringe Rente hält ihn am Leben. Er wohnt bescheiden bei seiner Schwester im Dorf.
Wenn Sie nun fragen, woher er seine Baumaterialien bezog… Es sind größtenteils Abfälle von anderen Baustellen, die er sich nehmen durfte. Ein Wellblechdach wurde ihm einmal von einer Baufirma gesponsert. Coca-Cola hat ihm vierzig Tausend Euro für einen Werbespot gezeigt, an dem er partizipierte.
Jahrelang hat man diesen schlichten Menschen verhöhnt, verlacht, für einen Spinner Gottes gehalten. Und auch ich, der ich für alles andere als einen orthodoxen Christen gelte, erschließt sich der Bau eines solchen Gotteshauses erst auf den zweiten Blick.
Dann aber tritt der Sinn dieses Werkes deutlich zu Tage: In den Wänden, Gewölben, Fenstergaden, unter der Kuppel, im Schiff und der Krypta steckt die alte, die fromme Idee, wirklich zum höheren Lobe Gottes zu bauen. Die Selbstdarstellung der mittelalterlichen Bauherren findet keinen Platz in diesem imposanten Gebäude. Entscheidender noch ist der Beweis Herrn Gallegos, wozu selbst ein einzelner, wahrhaft im Bilde Gottes geschaffener Mensch in der Lage ist, wenn er seinem Leben eine Richtung verleiht. Sicher, ein solcher Weg steht nicht jedem offen. Es können nicht alle Menschen plötzlich den Flitz bekommen, und jeder für sich ein Gotteshaus errichten. Zumindest nicht außerhalb des eigenen Herzens. Das ist aber auch nicht der Sinn der Sache. Herrn Gallegos Werk ist eher als ein gewaltiges Symbol aufzufassen. Eines, das in seiner schieren Größe den Spötter und den Zweifler verstummen läßt. Wenn es auch keinem einzigen Obdachlosen ein wärmendes Dach über dem Kopfe gewährt, wenn in ihm auch nicht die Strukturformel eines Universalmittels gegen Krebs oder Diabetes enthalten ist, so zeigt es doch sehr deutlich, welche Dimensionen ein Werk anzunehmen vermag, wenn sich der Mensch nur mit Ausdauer und Beharrlichkeit seiner Umsetzung widmet. Insofern ist Herrn Gallegos Werk als ein Leuchtfeuer anzusehen, das, wenn es denn auch nur einen einzigen Menschen zur inneren Einkehr inspiriert, nicht umsonst geschaffen wurde.
Seinem Umfange nach und in Bezug auf die Geschichte seiner Entstehung, sollte man Herrn Gallegos Gotteshaus den Weltwundern hinzuzählen. Denn die Chinesische Große Mauer oder die Pyramiden sind nichts anderes, als das Werk dieses alten Spaniers zur Potenz vieler Menschen, die nicht anders dachten und handelten als er. Dabei aber sind die zitierten Monumente nur die augenscheinlichsten und bekanntesten Repräsentanten menschlichen Gestaltungswillens. Die vielen überragenden Leistungen auf geistigem und logistischem Gebiet, denen eine ähnlich überragende Anstrengung zugrunde liegt, seien diesem Canon zugeordnet.
Die Kirche Herrn Gallegos ist die Stein gewordene Frage Gottes an die „Krone“ seiner Schöpfung: „Was machst du aus dem einzigen, unwiederbringlichen und nur dir zugemessenen Leben, was ich, der Herr, dir lieh?“
Dies erkennend wirkt es mehr als befremdlich, daß sich die offizielle spanische Kirche in Bezug auf Herrn Gallegos Wunderbau sehr zurück hält. Dem Bischof von Madrid ist keine Stellungnahme zu entlocken. Nota bene! Hier macht ein potentieller Heiliger (sein Leben und sein Werk erfüllen wohl zweifelsohne und bar jeder Diskussion die Anforderung eines christlich zu nennenden Wunders) die reinste, die unverfälschteste, die aufrichtigste Reklame für die Idee, die Ecclesia zugrunde liegt. Hier wird der zunehmenden Profanisierung und Verödung der abendländischen Wertelandschaft ein Fanal entgegengesetzt. Und die alleinseligmachende Mutter Kirche schweigt? Ist sie denn von allen guten Geistern verlassen?
Der Heilige Vater täte ein wahrhaft gottgefälliges Werk, wenn er seinem braven Sohne Justo Gallego den Rücken stärken würde. Dessen einzige Sorge nämlich besteht darin, was aus seiner Kirche wird, wenn sein Gott ihn aus diesem Leben abberuft.
Kapituliert die mächtige und noch immer schwerreiche Institution Kirche vor der Bürokratie Madrids? Der Gedanke allein erscheint lächerlich. Auch die Mittel, den statisch und architektonisch nicht eben lege artis, nichtsdestotrotz grundsoliden Bau den Erfordernissen anzupassen, dürften der Heiligen Mutter Kirche zur Verfügung stehen. Wenn sie dieses Zeichen ungenutzt an sich vorüberziehen läßt, dann ist ihr wahrhaft nicht mehr zu helfen.
Das Bauwerk Herrn Gallegos hat das Zeug zu einer echten Wallfahrtskirche. Keine Erscheinung eines oder mehrerer hysterischen Mädchen, kein Hostienwunder, dem mit einigem Hokus Pokus auf die Sprünge geholfen wurde, war hier vonnöten. Dieses Wunder ist echt – bis in die Grundmauern hinein echt!
Es ist so echt, wie Herr Gallego selbst, wie seine tiefste Demut und Liebe zu seinem Gotte. Er, der weder ausgebildeter Architekt oder gar Priester ist, er baut und predigt mit seinem Werk gleichsam der ganzen Christenheit. Er, der einfache Christ Justo Gallego. Der alte, einsame Mann kündet mit seinen verwitterten und doch so schaffensreichen Händen von der wahren Größe seines Gottes. Ohne seinen Brüdern und Schwestern in Christo einen Ablaßpfennig abzugaunern. Rom, wach auf! Wach auf! Wach auf!
Kein Ritus, kein Sakrament kann ersetzen, was dieser Eine leistet. Denn hier offenbart sich das Evangelium in einer hingebungsvollen und bedingungslosen Nachfolge Christi. Kein Lippen-, sondern ein Herzensbekenntnis.
Ich glaube nicht, daß der Weltenschöpfer eines von Menschenhand erbauten Hauses bedarf, um darin seine Wohnung zu nehmen. Wenn Er es aber tut, dann wird es die Kirche Justo Gallegos sein. Wir müßten Ihn denn schlecht verstanden haben.

7. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005