Frau Bundeskanzlerin
B. St. Fjøllfross
Am 22. November 2005 ereignete
sich in Berlin ein wahrhaft historischer Augenblick. Frau Dr. Merkel
wurde vom deutschen Bundestag zur ersten Regierungschefin der deutschen
Geschichte gewählt.
Nun ist der Preußische Landbote zwar konservativ im Fernau’schen
Sinne, dennoch hat er den deutschen Christdemokraten noch nie eine
Stimme verschafft. Sie vertreten unsere Sache nicht.
Doch das ist an dieser Stelle völlig unwesentlich. Sensationell
ist der endlich geschaffte Durchbruch einer Frau an die Spitze einer
deutschen Regierung – wenngleich die Belegung dieses wie jedes
Amtes für Frauen eine absolute Selbstverständlichkeit sein
sollte. War es aber nicht und es hat wenig Zweck, um den heißen
Brei herumzureden. Nur ganz, ganz langsam beginnen sich die patriarchalen
Strukturen aufzuweichen, die seit dem Ende der Steinzeit die Erde
in Blut ersäuft haben. Ob das Matriarchat unter den Bedingungen
einer engsiedelnden Zivilisation ein gewaltloseres Miteinander hervorbringen
würde, diesen Beweis müßte es erst erbringen. Zwischenmenschliche
Gewalt wird es immer geben, sie hätte unter der Führung
der Frauen eventuell nur eine andere, möglicherweise sublimere
Qualität.
Doch muß es immer eins von zwei Extremen sein?
Ohne ins Gesellschaftsphilosophische abgleiten zu wollen – das
nunmehr eine Frau die Richtlinien der Politik in deutschen Landen
bestimmt – diesen Umstand bejubeln wir aus ganzem Herzen. Und
– wir sind nicht die „Emma“!
Wir können nachlegen, und das freut uns noch mehr: Frau Dr. Merkel
wird voraussichtlich Herrn Schäuble in ihr Kabinett berufen,
einen Mann, den wir seiner Klugheit und seiner Aufrichtigkeit, seines
ruhigen und überlegten Wesens wegen sehr schätzen. Es ist
bekannt, daß Herr Schäuble infolge eines Attentates an
den Rollstuhl gefesselt ist. Noch vor zwei, drei Jahrzehnten hätte
allein dieser unglückliche Umstand ausgereicht, die politische
Karriere des Herrn Schäuble trotz seiner hervorragenden Qualitäten
zu beenden. Denn die landläufige Meinung verlangte nach einem
Spitzenpolitiker, der im Vollbesitz seiner psychischen und physischen
Kräfte sein müsse. Für Behinderte gab es keinen Platz
in der Führungsriege. Auch hier können wir jetzt ein signifikantes
Umdenken registrieren! Daß bei den uns politisch eine Nuance
näher stehenden Gralshütern des etablierten Fortschritts
dieser historische Schritt verpaßt wurde und ausgerechnet die
Konservativen die Zeichen einer neuen Zeit erkannten, läßt
uns schmunzeln. Die Eiserne Lady hätte der deutschen Sozialdemokratie
ein warnendes und anspornendes Zeichen an der Wand sein müssen.
Wir wissen, daß Frau Dr. Merkel das Ruder in einer äußerst
angespannten Zeit übernommen hat. Im Hintergrund lauert natürlich
beständig die Gefahr, von den Ewiggestrigen im Falle eines Mißerfolges,
wie ihn die Regierung Schröder zu verzeichnen hatte, noch zusätzlich
mit dem völlig verfehlten Schuldzuweisungsattribut der femininen
Kanzlerschaft bedacht zu werden. Das könnte die Türe für
eine Nachfolgerin auf Jahre hinaus wieder zuschlagen! Das aber wäre
ein unverzeihlicher Rückschritt in der deutschen politischen
Landschaft. Wir haben Frau Dr. Merkel und ihr Kabinett nicht gewählt.
Dennoch drücken wir ihr und ihren Mitstreitern für ihre
Amtszeit fest die Daumen und wünschen ihr, daß sie mit
all der Tatkraft und Intelligenz, mit der sie bisher ihren persönlichen
Weg gestaltet hat, das lecke deutsche Staatsschiff wieder flott machen
und auf Kurs bringen möge.