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Brief an Dr. Kurt Tucholsky

K. K. Bajun

Lieber Vater im Himmel!

„... nein, um Gottes Willen, nicht der große Herr mit dem weißen Bart dort hinten!“
Fühlt sich immer angesprochen, seit er sich in Gestalt seines eigenen Sohnes am Kreuze für die sündige Menschheit geopfert hat. Und alles umsonst! Nun hofft er, daß er doch noch mal gerufen wird, daß man ihn braucht. Aber er hätte wissen müssen, was für einen Tinnef er da am sechsten Tage aus seinen Restbeständen Lehm und Dreck und Hauch des Unendlichen zusammengeknetet hat. Hätt’ er man bloß am Freitag um eins den Hammer fallen lassen, wie jeder gute Maurer und wär’ ins Wochenende gefahren…
Aber nun gut. Doch auf der Wolke dahinten, der etwas rundliche Herr mit der Schreibmaschine, dem Glas französischen Rotwein, der Pfeife und dem „Quotidien“ unter dem Arm, der da, gleich neben S. J.(1), ja – na endlich – jetzt schaut er rüber.
Also, lieber Vater Tucholsky im Himmel, es wird Dir nicht entgangen sein, daß unser Pontifex Maximus Johannes Paul, der Zweite seines Namens, nun ebenfalls den Weg alles Irdischen gegangen ist. Er muß ja quasi an Dir vorbeigekommen sein.
Nun hat noch nicht einmal das Konklave begonnen, und schon bringen die Eminenzen, die Kardinäle, auf Druck des gläubigen Volkes eine Petition ein, die vom zukünftigen Bischof von Rom erbittet, seinen Vorgänger zu kanonisieren – und zwar im ungebührlichen Eilverfahren!
Da hast Du es wieder mal – das Volk, was Du ob seiner Tumbheit schon immer gerne bespöttelt hast: Was wollen sie ihn denn heiligsprechen, die Narren!? Schon sein Titel „Heiliger Vater“ besagt doch unmißverständlich, daß er mit seinem Amtsantritt in den Reigen der Heiligen aufgenommen wurde, auch wenn unter seinen Prädecessoren so mancher war, der eher den Titel „Unheiliger Vater“ verdient hätte. Allen voran Alexander VI. Borgia. Was ist also noch ein umständliches und teures Verfahren vonnöten?
Aber das Volk braucht halt ein wenig Budenzauber und Brimborium.
Warum haben sie Dich, ja Dich!!! eigentlich nie zum Heiligen vorgeschlagen? Blöde Frage, was?
Nein, ich finde sie gar nicht mal so blöd. Nur weil Du Jude warst und noch dazu ein Atheist, pfui Teufel!? Mein Gott, wie pingelig. Kommt es nicht auf die Werke an?
Warum der Karol Woytila? Warum nicht Du?
Zugegeben, er war ein frommer Mann, der vielen zum Vorbild dienen konnte.
Aber ich sehe da noch was anderes: Der Karol Woytila verkörperte eine Illusion – die perfekte Illusion vom gütigen, lupenreinen (und daher weißgewandeten Opa), weise und segnend, beschützend und verständnisvoll, der ein Ohr hatte für die Not von jedermann und der den Frieden im Herzen und auf den Lippen trug.
Er konnte den Leuten wie kein anderer das verkaufen, was unser Heinrich Heine – auch so ein frecher atheistischer Jude – so unnachahmlich das Eiapopeia vom Himmel nannte.
Da warst Du anders, Vater Kurt. Du hast ihnen ja gerade das genommen. Du hast ihnen ihre Illusionen zerstört, hast auf ihre Wahnvorstellung eingedroschen, wie seinerzeit Thor mit dem Hammer Mjøllnr auf die Riesen, Thursen und Jöten.
Du hast ihnen ein anderes Lied gesungen, eines, das so ganz verdächtig nach der Internationale klang. Erst das klassische Gnothi seauton(2), dann dieses suspekte „… uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun…“
Das riecht nach Arbeit. Nach verdammt viel Arbeit. So was will das Volk nicht. Das will gesegnet werden. Das will den Himmel geschenkt bekommen. Das will faul in der Karibik am Pool liegen.
Zum Teufel mit einem, der der Masse Arbeit und Anstrengung aufbürden will! Oder am Besten – weil für alle sichtbar – ans Kreuz mit ihm!
Ja, ja, ans Kreuz mit ihm! Die Kardinäle werden es bestätigen: Der arme Wanderrabbi Joshua (auf griechisch: Jesus) aus Galiläa, der hat seinen Jüngern harte Arbeit abverlangt. Nichts von wegen: umsonst ist meines Vaters Reich. Den steinigen Weg eines wahren Christen zu beschreiten, darauf zu verzichten, seine Mitmenschen übers Ohr zu hauen, auszunutzen, sich auf deren Knochen ein faules Leben zu machen, zu lügen, zu heucheln und zu betrügen in einem fort, statt dessen ein Leben in frommer Demut und Einfalt zu führen, „ora et labora!“(3)– das alles ist härteste Arbeit, tägliche Anstrengung. Warum? Weil es dem innersten Wesen und Charakter des gewöhnlichen Nackten Raubaffen zutiefst zuwider läuft. Und das will doch kein normaler Mensch, nicht wahr.
Die wollen einen lieben, verständnisvollen Opa, der sie vor dem strengen Übervater im Himmel in Schutz nimmt. Der ihre planvoll und alltäglich begangenen Sünden durch sein sündenfreies Leben austilgt, rechtfertigt, annulliert. Dafür darf er auch ein bißchen mahnend den Zeigefinger heben: „Du, du!“ darf er machen. Und wir schauen ein wenig verschämt zu Boden. Für einen kleinen Augenblick tun wir demütig, lammfromm, als könnten wir kein Wässerchen trüben…
Vor so einem nehmen die Leute dann, wenn sie das Privileg erhalten, ihm mal persönlich vor die Augen treten zu dürfen, auch eine devote Haltung an, klemmen den Schwanz zwischen die Beine, legen die Ohren nach hinten und bekommen große, treue Hundeaugen. Bloß nicht den lieben Opi aufregen! Und hinterher wird so eine kleine Mulattin in einer Besenkammer geschwängert… Aber der Opi wird’s schon richten, beim lieben Herrgott da droben.
Das alles hast Du, Vater Kurt, den Leuten mit Deiner Schreibmaschine ins Stammbuch geschrieben. Nein, Du hast es ihnen um die Ohren gehauen. Mit gewaltigen Schlägen hast Du ihre verlogenen Masken zerdroschen, auf daß der Blick hinter die Kulissen schweife – ins Allerheiligste ihrer verkommenen Seelen.
Wie sie auseinanderstieben, die Schaben, wenn einer in der Besenkammer das Licht anmacht…!
Dafür sprechen sie Dich nicht heilig. Sie rächen sich dafür! Sie gründen eine Kurt-Tucholsky-Gesellschaft und verwalten Dich. Sie analysieren Dich in Diplom- und Doktorarbeiten, sie geben Dich als Gesamtausgabe heraus, bis kein Fetzen von Dir übrig bleibt. Sie bearbeiten Dich so lange, so gründlich und so wissenschaftlich, stellen vor Deine Person einen Palisadenzaun von hochkarätigen Persönlichkeiten mit vielen Dr.s und Prof.s, (von denen einige Dich zu Deinen Lebzeiten sicherlich ignoriert hätten, wenn nicht Schlimmeres…), daß kein Normalsterblicher es mehr wagt, Deine allem Irdischen enthobenen Texte zu lesen. Und wenn doch jemand kommt, der Deine Gedanken auch nur auszugsweise zitieren will, dann wollen sie Geld haben. Geld!!! Etwas, was Du selten hattest. Warum? Weil sie arm wären? Weil sie Miete zahlen müssen? Weil sie Deine Manuskripte teuer konservieren lassen? Alles Nonsens! Darum geht es nicht. Es geht darum, abzuschrecken. Je weniger Dich im Munde führen – um so besser!
Denn diese Texte sind brandgefählich. Du zeigst nämlich den Weg zu wahrer Befreiung – der viel mehr im harten Kampf gegen die Mikrobe der menschlichen Dummheit besteht, als im passiven Falten der Hände und dem Herunterleiern vorgegebener, liturgischer Texte.
Du zündest Licht in den Seelen derer an, die suchen und verstehen wollen, statt eine Wachskerze in einer dunklen Kirchenhalle.
Daher wird Dir das Tor unserer alleinseligmachenden Kirche auf ewig verschlossen bleiben – aus der Traum von Sankt Kurt.
Aber ich glaube Dich lachen zu hören. Herzhaft und laut und ausgiebig.
Und ich glaube, der weißgewandete Opa, der jüngst in das Haus seines Herrn heimging, wird an Dir nicht achtlos vorübergegangen sein. Ich glaube, er wird Dich mögen.

1) Siegfried Jacobsohn, Begründer und Herausgeber der Weltbühne
2) "Erkenne dich selbst
3) "Bete und arbeite!"

5. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005