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Papier und Stempel
Der Untergang einer zertifizierten Republik

B. St. Fjöllfross
Am 15.September 2004 schrieb der Preußische Landbote an Seine Excellenz, den brandenburgischen Ministerpräsidenten Herrn Matthias Platzeck einen offenen Brief, die anstehende Wahl betreffend, deren desaströser Ausgang vom Landboten befürchtet wurde. Die Potsdamer Staatskanzlei hielt die Gazette keiner Antwort wert.
Am 28. September stellte der Journalist und Mitarbeiter des Preußischen Landboten, Herr M. Hübner beim Deutschen Journalistenverband am Berliner Schiffbauerdamm schriftlich den Antrag auf Zuteilung eines Presseausweises.
Der Brief wurde nie beantwortet.
Keine Reaktion.
Am 09. Januar 2005 richtete der Preußische Landbote Auftrags seiner Leser ein Schreiben an Seine Exzellenz, den Herrn Bundeskanzler, Willy-Brandt-Straße 1 zu Berlin, in dem einige Fragen zur Problematik des Hartz- IV- Unwesens aufgeworfen wurden. Der Brief schloß mit einer ausdrücklichen Bitte um eine Stellungnahme.
Sie werden es ahnen: es erfolgte auch hier keine Reaktion.
Doch der Landbote blieb hartnäckig und fragte am 15.Februar 2005 per E-Mail nach.
Frau Kerstin Dickmann vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung beteuerte, daß nie ein Schreiben eingegangen sei und bat uns, eine Durchschrift noch einmal auf dem Datenwege zu senden. Wir taten es umgehend.
Seitdem: Schweigen!
Was hat das alles zu bedeuten?
Natürlich sind wir Realisten genug, um die Größe unseres Leserkreises ganz richtig einzuschätzen: Wir üben keine publizistische Macht aus.
Und nur darum geht es in diesem Land, wie in jeder menschlichen Gesellschaft: Macht, Macht und nochmals Macht. Einfluß, Macht, Lumperei und Selbstbereicherung und dabei fürs doofe Volk honett aussehen – wer das beherrscht, kann es weit bringen.
Wer sich aber diesem Weg verweigert, sollte mit seinem Untergang rechnen, mit seinem Ausschluß aus der Gemeinschaft des Nackten Raubaffen. Denn die gesellschaftlichen Motive drehen sich aller Schönfärberei zum Trotz nicht um die Erleichterung des irdischen Daseins für Mensch und Kreatur – es geht um die Einhaltung der Spielregeln, die da einzig lauten: „Wer wen auf möglichst elegante und diskrete Art und Weise!“
Für Deutschland trifft dieser wahnhafte Anankasmus in besonderem Maße zu. Zerrissen von seinem unseligen Partikularismus, Schlachtfeld und Prügelknabe ganz Europas, endgültig zum Seelenkrüppel gebrannt, gedroschen und vergewaltigt in jenem grauenhaften Dreißigjährigen Kriege – zog sich der Deutsche Michel in ein Schneckenhaus zurück, das ihm etwas Ruhe, Beschaulichkeit und eine vage Sicherheit bot. Die Bürokratie, die alles regeln und kein Ding dem Zufall und der Unwägbarkeit überlassen wollte, war geboren.
Wer fortan in Deutschen Landen noch etwas werden wollte, der brauchte ein über jeden Zweifel erhabenes Herkommen, einen sauberen Leumund, eine ungebrochene Biographie und viele Zeugnisse, Stempel, Unterschriften, Zertifikate, Beglaubigungen.
Es galt mehr, vor den Augen der Obrigkeit angenehm zu bestehen, denn vor den Augen Gottes. Man konnte getrost ein Strolch sein, solange man den spießigen Schein zu wahren verstand und sich im Übrigen an die gesellschaftlichen Vorgaben für das öffentliche Verhalten hielt. Überschritt die Schurkerei nicht ein gewisses Maß, so blieb sie in aller Regel ungeahndet. Angepaßtes Verhalten – das war fortan die deutsche Losung! Nonkonformismus ist die Erzhäresie zwischen Oder und Rhein!
Mit dieser Einstellung machte sich Deutschland schon bald zum belächelten Pantoffelhelden Europas und der Welt, der einzig durch die Qualität seiner tüftlerisch genialen Waren und Produkte einen gewissen seriösen Namen behaupten konnte. Diese Produkte aber waren das Beiwerk eben jener Spießigkeit, die sich, anstatt die Nase frisch in den Wind der großen weiten Welt zu halten, lieber in eine kleine Scheune verzog, um dort vor sich hin zu friemeln. Bloß keinem auf die Zehen treten!
Und so blieb man unter sich, bedachte sich gegenseitig mit endlosen Raummetern bedruckten und gestempelten Papiers, verfluchte das ruhelose Volk, die Zigeuner und die Landstreicher, die Vaganten und die Schausteller, diese ewigen Diebe und Unruhestifter, die mit ihren Ideen aus der Fremde den deutschen Mief zu lüften drohten, verfluchte auch die Andersartigen, die Juden, schlug alle in regelmäßigen Abständen tot, nachdem man sie vorher gebührend denunziert hatte und stimmte halbherzig über das Gelächter der Welt ein, als der Schuster Wilhelm Voigt seine legendäre Hauptmannsposse zu Köpenick über die Bühne gehen ließ. Doch Michel begriff im Gegensatz zu den Franzosen, Spaniern, Italienern, Engländern oder Russen nicht im Geringsten, worüber er da eigentlich kicherte. Denn Michel ist von Natur aus ein bißchen retardiert. Daß es um seine ureigenste Krankheit ging, die da dem Hohn und Spott preisgegeben war, das drang ihm nicht ins Herz. Seine perfide Gläubigkeit an oberflächliche Äußerlichkeiten hatte ihn zum Trottel der Nationen werden lassen.
Hat er daraus gelernt, der Michel? Nein, natürlich nicht. Denn die Voigtiade wurde in den neunziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhundert von einem Hochstapler namens Postel grandios wiederaufgeführt und sublimiert. Ja, Postel legte noch eins drauf: er, der völlig Ungelernte, avancierte mit Hilfe gefälschter Papiere gar zum Oberarzt einer sächsischen psychiatrischen Klinik.
Deutsche Entscheidungsträger scheinen extrem kurzsichtig zu sein. Ihr Augenlicht reicht oft nur bis zur Schlußzeile eines vorgelegten Dokumentes, Zeugnisses oder anderen Wischs.
Über ihren Schreibtisch hinweg zu dem gegenübersitzenden Menschen zu blicken – da sei Gott davor! Wirklich! Denn – wie wir seit dem Propheten Mohammed wissen – nur Allah blickt in die Herzen der Menschen.
Was sagt das über unsere Nation aus? Daß sie krank ist. Tief in seiner Seele ist das deutsche Volk todkrank. Es ist nicht fähig, den eigenen Augen, dem eigenen Eindruck zu vertrauen. Ganz im Gegenteil: Der, der mir gegenübersitzt, ist per se erst einmal mein Feind! Ich muß ihm mißtrauen! Er will mich belügen, betrügen, bestehlen und täuschen! Diesen Anfangsverdacht kann er nur schrittweise und peu a peu durch die Vorlage von vielen Leumunds- und Arbeitszeugnissen, Diplomen und Leistungsnachweisen relativieren.
Hören Sie? Ich sage bewußt: relativieren. Nicht: entkräften! Der Supplikant bleibt ein in der Hierarchie Unter-mir-Stehender. Denn er will etwas von mir. Und nicht umgekehrt. Diesem potentiellen Nepper ist keine objektive Selbstdarstellung zuzutrauen – und schon gar keine, der ich als Entscheider vertrauen sollte. Andere Über-ihm-Stehende, Gleichrangige... – ja, auf deren Meinung kann man schon eher etwas geben. Woher die wiederum ihre Einschätzungen beziehen, das ist fraglich. Ach was, das ist egal! Hauptsache, die Idiotie, die hinter diesem System steckt und die wahrscheinlich ein Erbe der fürchterlichen Traumata ist, die das deutsche Volk in seiner Geschichte zu durchleiden hatte, bleibt gewahrt!
Es gibt jedoch ein Schlupfloch. (Wir wollen ja nicht subjektiv werden!) Wenn der Bewerber eine Fähigkeit besitzt, die sich höchst profitabel vermarkten läßt, dann sei auf seine Herkunft, sein Vorleben, seine Zeugnisse großzügig verzichtet. Als Beispiel möge uns der hervorragende Karikaturist Arno Funke, vormals „Dagobert“ dienen, der auf Grund seiner zeichnerischen Fähigkeiten die Chance einer zweiten, gutdotierten Karriere eingeräumt bekam.
Doch gnade Gott, dieses Talent schlummert nicht in dem, der feststellen muß, irgendwann einmal den geraden Weg verlassen zu haben. Dieser Mensch hat definitiv verloren. Es bleibt ihm nur, auf sein Lottoglück zu hoffen.
Man ignoriert ihn, man schweigt ihn tot, man hält ihn der Beantwortung einer Frage, der Zuteilung eines Presseausweises nicht für wert – denn wo ist seine Macht, seine Auflage, die dem Angesprochenen auch nur den mindesten Druck verursachen könnte? Wo ist seine Reputation, sein Abgangszeugnis einer journalistischen Fakultät, die Liste seiner Publikationen, seine Resonanz?
Ist es nicht vielmehr so, daß der Bursche sich über den Presseausweis Vergünstigungen erschleichen will, statt seine Pressearbeit zu potenzieren? Da steckt doch ganz was anderes dahinter, nicht wahr?
Wir Landboten spucken auf diese Vergünstigungen! Wir sind nicht korrupt. Wir sind Preußen!
Wir nehmen nur erschüttert zur Kenntnis, daß die Deutschen nichts aus ihrer Vergangenheit gelernt haben. Sie heften den türeöffnenden Presseausweis an Rundfunkreporter und Fernsehmitarbeiter, die zu ihrer Schande nicht in der Lage sind, einen vernünftigen deutschen Satz zu sprechen, deren Reportagen von abschreckend schlechter Qualität sind, deren Sprache von hirnlosen „ääähs“ nur so wimmelt, deren blödes Dinglish die Ohren deutscher Zuhörer beleidigt. Das sind oftmals keine seriösen Journalisten mehr – das sind moderne Marktschreier, deren Profil den Wünschen Doof-Michels angepaßt wurde, um die Quote über die Runden zu retten.
Doch diese Leute besitzen Diplome, Zeugnisse und Referenzen. Diese Papiere werden ernstgenommen, angebetet, hofiert. Der Mensch dahinter spielt bestenfalls eine sekundäre Rolle, bis er sich habilitiert hat und über jedes Zeugnis erhaben ist, wie beispielsweise ein Ulrich Wickert, Peter Scholl-Latour oder Johannes Groß.
Die Stotterer aber beherrschen eine andere wesentliche Kunst. Den korrekten Gebrauch und die Pflege der deutschen Sprache dürfen sie zugunsten dieser Fähigkeit getrost vernachlässigen: Die Rede ist von den hochgestochenen, nichtsagenden, aber einschläfernden Phrasen.
Was es damit auf sich hat? Nun, der gleichgeschalteten Presse der DDR sowohl, als auch der hofberichterstattenden sogenannten „freien“ Presse“ ist es möglichst darum zu tun, die Inhaber der Macht nicht zu vergrätzen. Es ist aber allseits bekannt, daß sich diejenigen Zeitgenossen, die um die Macht, die wirkliche und reale Macht pokern, sehr ungern in die Karten schauen lassen. In einem „offenen“ System wie der Bundesrepublik Deutschland jedoch besteht eine im Grundgesetz verankerte Pflicht zur Information des Bürgers und zur Rechenschaftslegung von Seiten der Regierung. Wie nun diese beiden durchaus diametralen Aspekte unter einen Hut bringen? Die Lösung heißt: Phrasen!
Die Regierenden dreschen sie – die speichelleckende Presse druckt sie ab!
Phrasen sind etwas Wunderbares. Sie sind nach einem ewig sich wiederholenden Muster gestrickt, sie lassen sich bis zur Monstrosität aufblasen, und hinter ihnen kann man getrost beinahe unbemerkt jede hohle Nichtigkeit verstecken. Denn sie schläfern den Konsumenten, den Leser, den Hörer ein.
Ja, am liebsten würden manche Parteifunktionäre, Wirtschaftsbosse, Verwaltungskoryphäen und Gewerkschaftsoberen noch das gute alte Prediger-Latein zum Michel sprechen, auf daß er andächtig staunend das Maul aufreiße und nichts zu hinterfragen wage. Doch das erfordert ein gewisses intellektuelles Rüstzeug... Und außerdem hat die boshafte Nachtigall zu Wittenberg, unser Doktor Luther, unseren Michel einst zu rebellisch gemacht und einen etwas aufmuckerischen, protestantischen Sinn in seinem Herzen hinterlassen. Es ist den lutherischen Bäffchen-Trägern nie mehr so ganz gelungen, diesen Ungeist wieder einzufangen.
Also einigt man sich auf Plan B: der hochgestochene, dennoch nichtssagende Sprachstil, der recht eigentlich gar keiner ist, sondern eben ein gewaltig tönendes, weil innen hohles Geseier und Geleier. Das sieht so aus, als verkünde es etwas Wichtiges – tut es aber nicht. Nagelt man die Rechenschaftspflichtigen denn wirklich einmal mit einer konkreten Fragestellung fest, dann heißt es flugs: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt werden Sie verstehen, daß wir keine Auskunft...!“ (Der Rest ist variabel.) Drehen sich um und verschwinden, von weiteren neugiereigen Fragen abgeschirmt durch Gorillas und Glastüren. Aha!
Und die Inhaber der Presseausweise werden sich hüten, diese Barrieren zugunsten ihrer eigentlichen Klientel, der Leserschaft, zu überwinden. Zu viel hängt für sie persönlich von einem gewissen Wohlverhalten ab.
Sie werden an dieser Stelle protestieren: „Ja, aber die freie Presse hat schon selbst Kanzler und andere mächtige Gestalten zu Fall gebracht!“ Gott bewahre! Lösen Sie sich von Ihrer Naivität! Die Presse zersägt bestenfalls Baumstämme, die längst schon durch andere Giganten gefällt wurden, oder an ihrer eigenen Morschheit krachten. Interne Machtkämpfe bedienen sich der Presse und damit der Öffentlichkeit zu strategischen Zwecken. Und nichts sonst. Presse bedeutet für sich balgende „Leistungsträger der Gesellschaft“ Munition, Rammbock oder Schutzwall. Eine aktive Rolle ist ihr dabei kaum zuzubilligen.
Der Preußische Landbote aber ist ein unangepaßtes Blatt, nonkonform bis in die Knochen. Er spricht gerade heraus. Er bekämpft die Mikrobe der menschlichen Dummheit, wo er sie trifft – gegen alle Regeln militärischer Vernunft, um sie zu schlagen (höchst unwahrscheinlich), oder sich vor ihren Batterien ehrenhaft begraben zu lassen, wie es sinngemäß im berühmten Leuthener Befehl König Friedrichs des Großen heißt.
Unter anderem deshalb paßt er nicht in die etablierte Presselandschaft, in der jeder Mitarbeiter eines Sudel- und Schundblattes der Boulevardpresse einen Presseausweis zugeteilt und ein Interview-Termin bei seiner Excellenz, dem Herrn Bundeskanzler eingeräumt bekommt. Der Preußische Landbote wird marginalisiert, weil er aufwecken will, statt einzulullen. Weil er die Hefe zum Gären bringen will, weil er kämpft!
Und man wird ihn erst für voll nehmen, wenn er kraft der Masse seiner Leserschaft in der Lage ist, „Wahlen“ zu beeinflussen. Das Ganze ist erbärmlich. So sollte man ein demokratiefeindliches Blatt behandeln, aber doch nicht uns! Sei es drum! Deutschland bekommt seit einigen Jahren die Quittung für diese Insuffizienz. Es geht rapide bergab mit diesem einstigen Wirtschaftsmusterknaben – und zwar auf allen Gebieten.
Die Jugend verblödet, die Arbeitslosigkeit grassiert, die Hilflosigkeit der Regierung und ihrer nachgeordneten Behörden nimmt apokalyptische Ausmaße an – es ist kein der Regeneration fähiges Mark in den hohlen Knochen des großen Lümmels Deutschland.
Soll er zum Teufel gehen! Es wird Zeit, daß die Vandalen die morschen Tore des dekadenten Roms überrennen. Es muß Platz geschaffen werden für etwas, was unbelastet ist von den Schatten der Vergangenheit, den Schatten des Spießertums und des von ihm organisierten Völkermordes, den Schatten der Großkotzigkeit und des Welterlösertums. Das aberwitzige Pendeln der deutschen Seele um einen Ruhepunkt, den sie nie erreichen wird, macht, daß vielen Zeitgenossen in Deutschland und der Welt übel wird.
„Alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht!“ läßt Altmeister Goethe verlauten. Wir sagen dazu: Amen!, und schließen mit den Worten Dr.Thomas Müntzers: „So ich das sage, muß ich auffrührisch seyn – Wohl hyn!“

5. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005