Zur Ausfahrt der Interessengemeinschaft
„Olle und Dolle Räder“
am 04. Juno 2005
Die Mannschaft um den Interessenverein
"Olle und Dolle Räder" am 04. Juno 2005 vor der legendären
Plauer Kneipe Pur
Photographie: Herr Rüdiger Böhme
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B. St. Fjøllfross
„Liebe Familie! Heute
machen wir mal in Kultur!“ Ein Schauer durchfährt die Sippe!
,Der Alte schleift uns ins Museum!’ So wird wohl mancher Familienvater
an einem gewöhnlichen Wochenende seine Familie zum Stöhnen
bringen. Vor den erbleichenden Gesichtern der lieben Kleinen tauchen
endlose Vitrinen auf, Scherben und Knochen, angerostete Metallgegenstände,
die nur dann etwas Interesse auf sich zu ziehen vermögen, wenn
sie zu früheren Zeiten mal ein Schwert oder eine Lanze vorstellten.
Ja, die Vorstellung, die Phantasie… sie ist meist das Einzige,
was den Rangen hilft, den verbeutelten Tag zu überstehen.
So bedauerlich eine solche Einstellung zu der Dokumentation früherer
Zeiten auch immer sein mag – so verbreitet ist sie. Diesen Umstand
zu beklagen hilft wenig. Man muß sich statt dessen Gedanken
machen, wie man auf originelle Art und Weise dem Erbe der Mütter
und Väter Leben einhaucht, Neugier weckt, Begeisterung vermittelt.
Tod der Langeweile!
Diesen Wahlspruch haben sich die tapferen Pedalritter um Frank Buchholz
und Dirk Weinreich zu eigen gemacht. Sie beließen es nicht bei
der Gründung ihrer kleinen aber aparten Ausstellung „Olle
und Dolle Räder“ in der Kurstraße der Brandenburger
Innenstadt. Präsenz zeigen, „raus auf die Straße,
unter die Leute!“, so denken sie, so handeln sie. Was die Stadt
Brandenburg an Festlichkeiten auf die Beine stellt, „Olle und
Dolle Räder“ sind dabei: Weihnachtsmannparade, Dominselfest,
Museumstag – das Fähnlein der Getreuen flattert immer brav
voran im Wind.
Einmal im Jahr, am Anfang des Sommers, veranstaltet die Interessengemeinschaft
eine Ausfahrt, die regen Zuspruch er“fährt“. Rund
vier Dutzend Freunde des Velozipedes treffen sich dann zu einem gemeinsamen
Ausflug, der jedes Mal zu einem anderen Ziele führt.
Bejahrte Drahtesel, die ihre Fahrer mitunter sogar schon über
die Straßen des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts trugen,
verlachen ihr betagtes Alter und stellen die einst weitgepriesene
deutsche Wertarbeit zur Schau. Auf ihren Sätteln Damen und Herrn,
die die Urenkel der einstigen Besitzer sein könnten. Und sie
wissen, was sie ihren gewienerten und geputzten Schmuckstücken
schuldig sind: Knickerbocker, Weste und Schiebermütze, Sportdreß
und Postausträgeruniform, Wams und Knöchellanges, Muff und
Stirnband und Stola – was Stil hat und in die Zeit der Räder
paßt, das wird getragen. Die Ehefrauen der beiden Prinzipale
Buchholz und Weinreich boten heuer in ihrer Kostümierung einen
besonderen Augenschmaus und ließen uns erahnen, auf welch raffinierte
und unwiderstehliche Manier die Urgroßmutter den Urgroßvater
einst umgarnte, in ihre Netze zog und fesselte.
Das ist Geschichte zum Anfassen! Letzteres sollte man so wörtlich
nicht nehmen – jedenfalls nicht, ohne sich gegebenenfalls vorher
mit den wirklich verführerischen Damen abgesprochen zu haben.
Etwa zwanzig Kilometer lagen vor den Teilnehmern an der diesjährigen
Ausfahrt. Von der Brandenburger Neustadt zog der Troß mit Kind
und Kegel durch das Steintor und folgte an der Jacobskapelle vorbei
der alten Heer- und Handelstraße durch das Dörfchen Wilhelmsdorf.
Weiter ging es über die Malge zum Gränert. Unbehelligt von
Brandenburgs berühmtestem Räuber Habakuk Schmauch wandte
sich die fröhliche Gemeinde, verstärkt sogar von Gästen
aus der Hauptstadt, der näheren Umgebung Brandenburgs und - last
but not least – Herrn Kai-Uwe Schwinzert, dem Vorsitzenden des
Brandenburger Fremdenverkehrsvereins, nach Norden, verließ den
herrlichen Wald bei Kirchmöser, benutzte noch einmal vor deren
endgültigem Verschwinden die Seegartenbrücke, durchradelte
den Plauer Schloßpark und machte kurz vor dem eigentlichen Ziel
noch einen Zwischenstop am Plauer Fischereimuseum.
Wenn man selbst für die Verbreitung kulturell wertvoller Ideen
eintritt, dann ist man auch offen für die Leistungen Anderer,
bereit sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sie aufrichtig zu würdigen.
Das kleine Fischereimuseum, das seine Pforten erst seit kurzem geöffnet
hat, wird sich über seine Gäste und deren Zuspruch sehr
gefreut haben.
Von hier war es nur noch ein Katzensprung in die legendäre Plauer
Kneipe Pur, dieses Juwel unter den Wirtshäusern der Mark. Der
Besuch dieser an Originalität kaum zu überbietenden Gaststätte
war der diesjährige Höhepunkt der Radwanderung. Dazu muß
man wissen, daß die Wirtsleute Karola und Gernot Brätz
in der Kneipe Pur unter anderem bis vor kurzem die kleinste Brauerei
der Welt mit amtlichem Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde betrieben.
Der Rekord ging erst verloren, nachdem der Wirt und Brauermeister
einen zweiten Braukessel in Betrieb nahm. Beide Wirtsleute glänzen
darüber hinaus mit einer vorzüglichen Küche, einem
urgemütlichen Interieur und verstehen es immer wieder, sogar
europaweit prominente Musiker zu Live-Events zu verpflichten, die
jedesmal drohen, das Wirtshaus wegen der hohen Besucherzahl aus seinen
Fugen platzen zu lassen.
Aus Anlaß des Jahresausflugs „Olle und Dolle Räder“
braute Herr Brätz denn auch ein uriges, bernsteinfarbiges Weizenbier,
wie es das letzte Mal vor 150 Jahren in Brandenburger Kehlen rann.
Wer wollte, konnte davon auch mit nach Hause nehmen: In große
Flaschen mit altem Patentverschluß abgefüllt, die mit selbstgestalteten
Etiketten versehen eine Erinnerung sowohl an die Ausfahrt als auch
an die Kneipe Pur boten, sorgte so mancher Schluck am Abend der Ausfahrt
noch für eine Verlängerung des schönen Tages über
das Ende der eigentlichen Veranstaltung hinaus.
Es paßte alles zusammen: Drahtesel, Outfit, Bier und Wetter.
Mögen also die rundum zufriedenen Teilnehmer recht häufig
von diesem Erlebnis berichten und fleißig die Trommel rühren
für die Ausstellung „Olle und Dolle Räder“ und
ihre vielfältigen Aktivitäten. Jeder zukünftige Weggenosse
ist auch in den folgenden Jahren hochwillkommen, jedes stehengelassene
Automobil, jeder gefahrene Drahtesel ein unbedingter Gewinn, eine
echte Gaudi, eine schöne Erinnerung an einen keineswegs verlorenen
Tag im Familienalbum.