Mein Italiener
Don Miquele Barbagrigia
Da nahm ich neulich an einer
Festivität teil, auf der auch einige distinguierte Herrschaften
versammelt waren. Der Ritus solcher Zusammenkünfte ist im Allgemeinen
recht öde und eingefahren. Ein Durchbrechen der vorgegebenen
Umgangsformen könnte schnell das gesellschaftliche Abseits bedeuten.
Also schwenken die im feinen Zwirn gewandeten Herren ihre sektschlürfenden
Damen über das Parkett – letztere in großer Garderobe
– und verweilen hier und dort, um mit diesem oder jenem einen
sogenannten Smalltalk auszutauschen. Im Prinzip soll das Ganze keinen
großartig informativen Wert beinhalten, es soll nur sagen: „Schau
mal, ich bin auch hier!“
Die Damen unterhalten sich über die Themen, die man ihresgleichen
zubilligt. Die Couture und die Cuisine spielen dabei in aller Regel
eine gewichtige Rolle.
Und so sprach denn eine dieser Damen, Trägerin eines seidenmatten
geschlitzten Kleides, welches sowohl den Blick auf ihre endlosen Beine,
die obere Hälfte ihres Hinterns und einen großen Ausschnitt
ihres Busens freigab, von einem Besuch mit Bekannten bei „Ihrem
Italiener“, mit dem sie dann ihrer Aussage zufolge Furore machte.
Nun sehen Sie, ich bin Italiener. Und ich weiß auch, was sie
meint. Sie spricht von ihrem favorisierten Restaurant. Aber warum
sagt sie das nicht?
„Unser Italiener…“ Ich trat auf sie zu, und fragte
sie höflichst, ob sie Ihren Italiener auch stundenweise vermieten
würde. Ich wäre momentan in einer argen Verlegenheit –
mein Neger sei mir davongelaufen – die Meute würde ihn
momentan noch hetzen, und wenn sie ihn dann hätten, wüßte
man ja nie, in welchem Zustand er zurückgeliefert würde.
Entsetztes, düpiertes, betretenes Schweigen. Fast hörte
man die Sektgläser klirren, die von ihren entgeisterten Haltern
beinahe zu Boden fallen gelassen worden wären. (Was für
ein Ungetüm von einem Satz – viel zu abgedreht, als das
man ihn stilistisch überarbeiten möchte…) Doch zurück
zum Thema. Die Stimmung war fürs Erste zum Teufel!
Einige der Umstehenden hatten Verstand genug, meine Anspielung richtig
zu deuten. Sie wandten sich diskret ab, um der Peinlichkeit überhoben
zu sein, für den einen oder anderen Standpunkt die Stimme erheben
zu müssen. Die etwas Unterbelichteten scharten sich um die etwas
blaßnasige Dame, um Ihr den ersehnten Beistand zu gewähren.
Denn sie hielten es mit ihrer Sprachwahl nicht anders – und
wer war überhaupt dieser hergelaufenen Hallodri, der es wagte,
mit einer solchen Provokation die Soiree zu beleidigen?
Doch ehe sich der Chor der Erynnien sammeln konnte, stieß die
Affrondierte hervor, daß sie nicht daran denke, Konversation
auf einem derart billigen Niveau zu betreiben.
Das wiederum brachte mich in Harnisch. Es sind mir nicht viele Dinge
so verabscheuungswürdig wie auf Dummheit beruhende, ignorante
Arroganz!
Mit scharfer und kalter Rede setzte ich ihr auseinander, daß
der Besitzanspruch, der sich in ihrem sprachfaulen Ausdruck wiederfände,
eine nicht zu duldende Widernatürlichkeit darstellte. Wer sei
denn sie, daß sie mit ihrer Bezeichnung „unser Italiener“
implizieren dürfe, es handele sich bei jenem Gastronomen um einen
ihrer Domestiken, oder eines subalternen Hausgeistes?
Mittlerweile hatte sich ihr Ehegatte zu uns gesellt, der Wind von
dem Eklat bekommen hatte und griff nun pflichtschuldigst in die Debatte
ein. „Hören Sie, ich weiß nicht, was Sie hier bezwecken,
aber schließlich bezahlen wir den Mann. Und der verdient ganz
gut an uns!“
„Ei was“, fauchte ich zurück, „ist dem so?
Ich sag Ihnen was: Wenn der Mann wirklich so gut an Ihnen verdiente,
wie Sie das hier herauszustellen suchen, dann würden Sie vor
ihm einen Bückling machen und sich nicht verbal über seine
Person zu erheben suchen. Ein Essen bei Bocuse verleitet meines Wissen
niemanden, von diesem Herrn als „unserem Koch“ zu sprechen.“
Die Gegenoffensive verlief jetzt zaghafter, ausweichender: „Darf
ich Sie fragen, Herr…, ääh, Pardon, Ihr Name ist mir
entfallen, welches Interesse Sie an diesem Casus haben?“
„Vielleicht ein persönliches!“, schnarrte ich zurück.
Ich war versucht, den Pizzabäcker als meinen Bruder auszugeben,
was er nicht war. Doch dazu kenne ich die Menschen zu gut. Überwältigt
von der Peinlichkeit des Geschehens hätten es diese Leute fertiggebracht,
den lammfrommen Salvatore, Giovanni, Giulio, oder wie auch immer er
heißen mochte, fortan zu boykottieren, nur weil sich irgend
jemand ungebeten zum Sachwalter seiner Menschenwürde aufgeschwungen
hätte. Das hätte er nun doch nicht verdient.
Und, machen wir uns nichts vor! Der Italiener wird diese Unart mit
einem servilen Lächeln übergehen. Möglicherweise wird
er dieser Anmaßung nicht einmal mit innerem Widerstand begegnen,
bedeutet doch diese Bezeichnung für ihn nicht weniger als eine
feste Kundenbindung und damit sicheres Geld.
Wenn die Flügeltüren zu seiner Küche hinter ihm zuschlagen,
wird er sich seinen Teil denken, er, der fröhlich vor sich hin
Pfeifende, wird in sich hineinschmunzeln über die aufgeblasene
Schabracke da draußen, deren Spatzenhirn offensichtlich nicht
über den Horizont ihres silikonverstärkten Vorbaus hinausreicht.
Er wird mit seinem südländischen Charme der aufgedonnerten
Signora ein paar Komplimente ins Ohr hauchen, die sein Trinkgeld um
einiges aufbessern. Und vielleicht wird er einen sehnsuchtsvollen
Blick auf den Tanga werfen, den das hautenge Seidenmatte über
dem Bochdaleck’schen Dreieck der Signora freiläßt.
Diese Figur, diese Haut und die Stellung ihres Gatten sind nun mal
das ganze Kapital dieser Dame. Reicht doch auch. Wozu bedarf es da
noch einer Kultur des Geistes und des Anstands und des Respekts vor
einem andern Menschen?