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Dummheit oder Ignoranz am Rhein?
Jules-Francois S. Lemarcou
Da rief neulich eine junge Frau
in der Redaktion an, die vor Jahr und Tag von Brandenburg weg der Arbeit
hinterher in die Nähe von Düsseldorf gezogen ist. Sie werden
sich erinnern: die Mitte Deutschlands blutet aus, degeneriert zum europäischen
Altenheim – die Jugend wandert ab.
Soweit reichen die meisten Berichterstattungen zu diesem Thema. Wie aber
kommen diese jungen, flexiblen und dynamischen Menschen in Westdeutschland
an? Gibt es Integrationsprobleme?
Ach was, höre ich Sie sagen, so etwas kennt man doch nur von Ausländern.
Eben! Genau als solche werden Ost- und Mitteldeutsche oft im Westen aufgefaßt:
Ausländer, Aliens, Fremde.
Fünfzehn Jahre nach der Wiedervereinigung – man stelle sich
das vor!
Die mentalen Unterschiede sind noch immer enorm – selbst bei denen,
die aufgrund ihres Alters schon gar keine Erinnerung an die DDR mehr haben
dürften.
Wir lassen uns berichten.
Die Anruferin arbeitet als Arzthelferin in einer Allgemeinarztpraxis und
kommt Tag für Tag mit vielen Rheinländern zusammen, die wir
noch immer für ausgelassene, lockere Frohnaturen hielten.
Der Eindruck trog: Stocksteif, arrogant und ein bißchen zurückgeblieben,
obwohl sie sich selbst für die Allerschlauesten halten – das
war der Eindruck, der sich bei der jungen Dame nach der Konfrontation
mit der Mehrzahl ihrer Kolleginnen und Patientinnen über das Jahr
hinweg manifestierte.
Da wurde ihr untersagt, ihren Berliner Dialekt zu sprechen – das
käme bei den Patienten ganz schlecht an. „Mein Lieblingsitaliener“,
„mein Grieche“, „unser Vorzeigetürke“, „der
Quoteninder“ – das alles schmückt nun schon die rheinische
Landschaft. Und Gnade Gott, der Italiener an der Ecke würde mit Schweinshaxe
und Sauerkraut aufwarten, der Grieche ein Kaßler servieren und der
Inder Königsberger Klopse mit Kapern offerieren. Das wäre ganz
schlecht für deren Geschäft!
„Unserem Berliner“, oder aber gar „unserem Ossi“
schlechthin jedoch scheint es noch gar nicht gelungen zu sein, das nordrheinwestfälische
Multikulti- Dekor zu bereichern. Obwohl er sogar ein deutscher Landsmann
ist – aber das sagen wir nur unter der Hand, in Rücksichtnahme
darauf, daß diese nationale Tatsache die Bildungskapazität
unser Brüder und Schwestern aus Düsseldorf überfordern
könnte.
Es dürfte ihren geistigen Horizont in ähnlicher Weise überstrapazieren,
wie die Uhrzeitangabe „dreiviertel Zwölf“. Jedem Ost-
und Süddeutschen geläufig, vermuten die Bonner Republikaner
in dieser hochkomplizierten Zeitbestimmung eine heimtückische Unterwanderung
ihrer freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch übriggebliebene
kommunistische Saboteure, wie es ihnen ja schon mit dem berüchtigten
Grünen Pfeil ergangen ist, dessen Magie zu begreifen sich der Westen
ja bekanntlich äußerst schwer tut. So muß unsere Ausgewanderte
brav „Viertel vor Zwölf“ sagen statt „dreiviertel
Zwölf“ und „Viertel nach Zwölf“ für „viertel
eins“, damit die Oberschlauen auch ja den rechten Termin nicht verfehlen.
Im Großen und Ganzen grinst man hinter vorgehaltener Hand über
soviel stupende Blödheit. Doch man grinst diskret. Wessiwitze, analog
zu den Ostfriesenwitzen der siebziger Jahre haben es schwer, sich zu etablieren:
Der dumme Oheim ist zu reich. Über Onkel Dagobert macht man einfach
keine Scherze – nicht solange er auf der Kohle sitzt.
Mit den Ostfriesen war das was anderes. Bei denen hatte schon immer der
Blanke Hans dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den
Himmel wachsen. Und sie waren auch zu wenige…
Doch zurück zu unserer abgehobenen Kundschaft von der Kö!
Sind diese Menschen wirklich geistig minderbemittelt? Wir glauben es nicht.
In Westdeutschland wachsen keine anderen Menschen auf als östlich
der Elbe.
Es ist ihre etablierte Trägheit, der es traditionell genügt,
sich mit den Problemen des nächsten Umfelds auseinanderzusetzen –
Kinder, Kirche, Verwandten- und Bekanntentratsch, Arbeitsquerelen, die
üblichen kleinen angeberischen Schwindeleien in Bezug auf die Karriere
des Ehemannes, den man schon seit einem Vierteljahr mit der Urlaubsbekanntschaft
betrügt – ein kleines Geheimnis braucht halt jede Frau!!! –
und natürlich die lieben Kleinen, ach die Kinderchen – diese
wohlgeratenen Wonneproppen mit all ihrem Tennis- und Geigenunterricht,
dem Kirchenchor und den Nachhilfestunden wegen der drei Vierer auf dem
letzten Zeugnis. Ups! Den letzten Punkt sparen wir doch besser aus, nicht
wahr? Pssst!
Wenn dann mal einer kommt mit einer soliden Allgemeinbildung, und bei
Jauchens „Wer wird Millionär“ - Show richtig abräumt,
so mit ein bißchen Glück und viel Wissen der Pillepalle die
Moneten herauswringt, dann klappen die Kiefern herunter. Dann werden die
Augen groß, die Nase lang: „Mensch, Tünnes, woher weiß
der das alles? Manche haben aber auch einen Kopf! Nee, nee, nee!“
Nicht also, weil sie zu dumm wären, können diese Leute nichts,
aber auch gar nichts mit regionalen Differenzen anfangen, sondern weil
es sie einen feuchten Kehricht interessiert! Sie sind hier zu Hause, sie
haben Geld (oder tun zumindest so!), ergo möge man sich gefälligst
nach ihren Attitüden richten, sonst schlägt das Donnerwetter
drein!
Und gleich dreimal bei den verfluchten Ossis, diesen Schmarotzern und
Sozialparasiten! Vor sechzehn Jahren haben diese Bettler noch den Kitt
aus den Fenstern gefressen und sich von der Stasi bespitzeln lassen und
jetzt wollen sie uns, UNS!, die Uhrzeit beibringen! Man stelle sich das
vor! Diese Unverfrorenheit! Soweit kommt’s noch! Wer reich ist,
hat ein gottverbrieftes Recht darauf, Recht zu haben! Wer Erfolg hat,
braucht sich überhaupt nichts sagen zu lassen! Und wo kämen
wir denn da hin, wenn sich ein westdeutscher Herrenmensch von seinem ostelbischen
Fußabtreter vorschreiben ließe, wann er an einer Roten Ampel
abbiegen dürfe, damit er seinen Arzttermin um „viertel Zehn“
noch schafft!
Die beiden Zwillinge Arroganz und Ignoranz machen dämlich! Das ist
ein Naturgesetz.
Als Hellas von den römischen Barbaren überrannt und kolonisiert
wurde, haben das die alten Griechen lange nicht verstehen können.
Als Hauslehrer bei römischen Patriziern fanden sie gerade eben noch
Verwendung mit all ihren großen Leistungen und ihrem ehemaligen
epochalen kulturellen Vorsprung.
Als die germanischen Horden an die Tore Roms pochten, wußten die
dekadenten Römer über Nacht, wie sich die von ihnen besiegten
Griechen einst gefühlt haben mußten. Auch sie durften als Subalterne
bei den „Wilden“ überleben, an den Rand gedrängt,
marginalisiert, zu bestaunten Exoten gestempelt.
Das, liebe Düsseldorfer Porschefahrer, sollte euch ein historisches
Lehrstück sein, wenn ihr denn wißt, welches Ressort die Muse
Klio verwaltet. HODIE MIHI, CRAS TIBI!, so orakelten die alten Römer.
„Heute ich, morgen du!“
Im Sinne eines produktiven Miteinanders sei den westlichen Gauen des Vaterlandes
ans Herz gelegt, seine Ewiggestrigen baldmöglichst in einer dauerhaften
Versenkung verschwinden zu lassen und den zonenübergreifenden Geist
unseres kulturellen Erbes wieder zu ehren und zu adeln.
Bildung und Toleranz – das sollten die Modefarben der nächsten
Saison werden. Blödheit und Arroganz haben unsere Heimat mehr als
zweiundsiebzig Jahre in fatales Schwarz getaucht. Das ist lange genug!
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