Baaks

zurück zum Landboten

 

Wann ist ein Krieg zu Ende?

B. St. Fjøllfross
In den Zeiten, in denen die düsteren Prognosen Samuel Huntingtons wahr zu werden beginnen, wie er sie in seinem legendären Opus "Clash of Civilisations" darlegte; in Zeiten, in denen erbitterte Verteilungskämpfe um immer knapper werdende Ressourcen von fossilen Energien und Trinkwasser zu neuerlichen und unerbittlichen Kriegen führen werden, beginnt die Gefahr des Ausbruchs von Kriegen stetig zu wachsen.
Uns in Europa, dieser zusammenwachsenden Kulturgemeinschaft, wird das ja wohl nicht so sehr tangieren, nicht wahr? Wir haben aus den fürchterlichen Katastrophen des Zwanzigsten Jahrhunderts gelernt. Wir haben uns alle brüderlich unter den Fahnen des Parlamentes zu Straßburg vereint. Nie wieder Krieg!
Was für ein kapitaler Trugschluß! Nicht die Völker Europas haben sich zur Europäischen Union zusammengeschlossen, sondern das Großkapital und die Banken waren es. Sie haben sich günstigere Marktbedingungen geschaffen und ein einheitlicheres Wirtschaftsimperium, das auf Grund seiner schieren Größe und seiner Reserven noch einige Zeit lang in der Lage sein wird, den großen Wirtschaftsräumen in Nordamerika und Asien zu trotzen. Die Vision "1984" von Orwell nimmt Gestalt an.
Die Völker Europas haben ihre Meinung über die ehemals verfeindeten Nachbarn nur sehr zögerlich und geradezu minimal relativiert. Das Fernsehen, das in den letzten Jahrzehnten global bewies, daß die vormals verteufelten Gegner Menschen sind wie man selbst, hat zwar einen positiven Beitrag geleistet. Dennoch, dieser friedenstiftende Prozeß greift genau solange, wie große regionale Massen nicht verelenden. In diesem Moment aber werden sie rebellisch - und dann hilft den jeweils Herrschenden nur ein einziges probates Mittel: der Nachbar muß zum Sündenbocke aufgebaut werden, auf daß sich die Wut des Pöbels gegen ihn richte. Man wird es erleben - allen Versuchen von Völkerversöhnung zum Trotze wird man sich blitzschnell der alten Vorurteile entsinnen, die einstmals den Ahnen zu eigen waren.
Daher lautet unsere Frage: Wann ist eigentlich ein Krieg wirklich zu Ende?
Wenn die Waffen schweigen? Wenn ein Waffenstillstandsabkommen ausgehandelt worden ist, welches zur definitiven Beendigung der Kampfhandlungen führt. Wenn die Kriegsparteien nicht mehr gegeneinander antreten.
So scheint es zu sein.
Ist es aber nicht. Nicht mal annähernd.
Wir wagen sogar zu behaupten, daß nicht einmal ein Friedensvertrag einen Krieg beendet. Es sei denn, ein Pedant verleihe den einzelnen Kriegen Nummern: erster punischer Krieg, zweiter punischer Krieg, dritter punischer Krieg, Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, usw.
Und so weiter???
Ja, das ist der Punkt, warum sich der Landbote dieses makabren Themas annimmt. In einer Zeit, da selbst die Auseinandersetzungen im Zweistromland der Moderne schon nach erster, zweiter und dritter Golfkrieg gezählt werden, die alle innerhalb zweier Dekaden Hunderttausenden Menschen das Leben kosteten, sollte dieser Frage nachgegangen werden.
Wir haben behauptet, selbst ein Friedensvertrag schaffe noch keinen Frieden. Als Zeuge dafür möge uns der Versailler Vertrag dienen, der nichts anderes war, als eine neuerliche Kriegserklärung an einen geschlagenen Gegner. Bitter haben die Franzosen während der Zeit der Nazibesetzung ihren unbarmherzigen Hochmut und ihre unbegründete Arroganz büßen müssen. Die Demütigung, die sie ihren ostfränkischen Vettern von jenseits des Rheins zugedacht hatten, schlug grausam auf sie zurück. Der Versailler Vertrag war eine der fundamentalsten Grundlagen des Zweiten Weltkrieges.
Es wäre ein Leichtes, diesen Artikel zu strecken und zu dehnen, bis die Schwarte kracht. Der Beispiele in der Geschichte der bewaffneten und feindseligen Völkerauseinandersetzungen ließen sich fast beliebig aufzählen. Doch das würde ermüden.
Dieser Artikel aber soll aufrütteln!
Krieg wird in den Köpfen der Menschen begonnen. Und nur dort kann er auch beendet werden. In den Gedankensplittern zitiert der Landbote einen Satz von Paul Valery, der lautet:
"Im Kriege massakrieren sich im allgemeinen Menschen, die sich nicht kennen für andere Menschen, die sich kennen, aber sich nicht persönlich massakrieren würden."
Dem sollte der berühmte Ausruf nachgestellt sein: "Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!"
Daraus folgern wir: Ein Krieg ist beendet, wenn Menschen aufhören ihr Leben wegzuwerfen, weil der Gruppenzwang, die schwammige Aussicht auf ein besseres Jenseits, versprochener Ruhm in der Nachwelt, oder was für ein Blödsinn auch immer sie dazu treibt.
Der Krieg ist definitiv dann beendet, wenn in den Schulen der beiden ehemaligen Feinde über die Gründe, den Ausbruch, den Verlauf, und das Ende des gewesenen Krieges nüchtern und sachlich dasselbe gelehrt wird - und das nicht, weil dem Unterlegenen der Lehrplan vom Sieger aufgezwungen wurde. Die gelernten DDR-Bürger werden wissen, was gemeint ist. Den Erfahrungen von Millionen Flüchtlingen und vergewaltigter Frauen jeden Lebensalters trotzend, die gerechtfertigt zu würdigenden Siege der Roten Armee dahingehend zu verklären, daß die teilweise entmenschten Horden doch eigentlich moralisch höchstwertige und saubere Befreier waren, hat gewiß nicht dazu beigetragen, die Deutsch-Sowjetische Freundschaft in die Herzen der Menschen zu tragen. Deshalb und aus gutem Grunde befanden sich die Truppen der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland bis zu ihrem Abzug im Jahre 1990 auch im Kriegszustand. Deshalb war es sowjetischen Offizieren untersagt, den Prinzipien der vielbeschworenen Brüderlichkeit zum Hohn privaten Kontakt zu Bürgern des besiegten Landes zu unterhalten.
Auch ein Friedensvertrag hätte daran nichts geändert.
Interessant aber sind über das deutsch-russische Verhältnis hinaus die Relationen zu den ehemaligen Weltkriegsgegnern England und Frankreich. Besonders die Grande Nation steht hier auf dem Prüfstand. Viel wurde getan und noch mehr wurde geredet, seit dem Ende des großen Völkerschlachtens im Jahre 1945, zu dem die Franzosen einen eher marginalen Beitrag leisteten. Es gibt in der Television sogar schon einen lobenswerten deutsch-französischen Kulturkanal. Bravo!
Dennoch! Schauen wir uns das Image Napoleon Bonapartes an, das vielen Franzosen noch immer im Kopfe herumspukt. "L'Aigle" hieß unverhohlen das Kino der französischen Besatzungsstreitkräfte in Berlin. "Der Adler" ist der Spitzname, den die Franzosen dem Usurpator gaben, der halb Europa unter seinen Stiefel brachte. Das Viertel, in dem die Besatzungssoldaten wohnten, war das Quartier Napoleon. Und ein Blick auf den Pariser Stadtplan läßt uns erkennen, daß, wenn die Franzosen einer deutschen Stadt Erwähnung tun, sie gewiß mit einem napoleonischen Sieg in Verbindung zu bringen ist.
Erst kürzlich wurde man sich des peinlichen Sachverhaltes bewußt und benannte verschämt einen kleinen unbedeutenden Platz in der französischen Hauptstadt nach Berlin. Heißt doch die Berliner Gute Stube seit eh und je Pariser Platz. Und jetzt, wo die offiziellen Deutschen seit Kriegsende so fanatisch "Freundschaft!", "Freundschaft!" über den Rhein brüllen, wie sie früher "Feindschaft!" bläkten, jetzt muß man sich wohl dem Diktat der modernen Zeiten fügen. Sollen also die verdammten Bosches ihren Place de Berlin bekommen, schön versteckt, damit ihn ja keiner findet. Selbst aktuelle Stadtpläne oder Straßenverzeichnisse kennen ihn nicht, keine Hausnummer trägt seine Adresse.
Das hat etwas mit dem Bild zu tun, was die Franzosen noch immer vom ungeliebten Nachbarn haben. Diese Karikatur wird an französischen Schulen weithin gelehrt, allen symbolischen Umarmungen der jeweiligen Staatsoberhäupter zum Trotz. Vom Elternhaus werden die wenigsten französischen Kinder animiert, zu einer differenzierten Betrachtung zu gelangen.
Natürlich glauben wir nicht, daß demnächst wieder Schüsse über den Rhein knallen werden. Dazu geht es beiden Völkern momentan noch zu gut.
Doch genau da liegt der Hund begraben. Die alten Ressentiments sind nicht tot. Sie ruhen wie ein Lungenfisch bei Trockenheit in der Erde und warten auf ihre Zeit. Wenn die Leute wieder Hunger haben, dann werden sie auch wieder die alten Feindbilder beleben, und man wird staunen, wie unbeschadet diese unseligen Klischees die Zeitläufe überstanden haben.
Der Krieg ist erst auf Dauer zu Ende, wenn der einfache Mann auf der Straße zu seinem Sohne sagt: Junge, es war unrecht, daß Deine Großväter mit ihren Armeen in das Land des Nachbarn marschierten. Und es war Unrecht, daß die anderen, als sie dann hierher kamen, hausten, wie die Vandalen. Und es muß egal sein, ob die Straße, auf der der Mann diese Worte zu seinem Sohn spricht, eine "Straße", eine "rue", eine "lane", eine "uliza", eine "calle" oder eine "via" ist. Es muß wurscht sein, ob der Mann Mr.Baker, Herr Becker, Monsieur Boulanger, Señor Panadero oder Pan Pekarski heißt. Fakt muß sein, daß der Sohn begreift, daß der andere, nur weil er einem Kulturkreis entstammt, der von dem Seinigen verschieden ist, deshalb noch lange nicht "der Feind" ist! Der Feind, der permanent unrecht hat, bösartig und gnadenlos ist, verkommen und ein bißchen doof, während man selbst auf den Schultern von lauter Heroen steht. Der Feind ist in der Regel dort zu suchen, wo die Mobilmachung angeordnet wird.
Wenn Sendungen wie "Ein Käfig voller Helden" aus dem deutschen Fernsehen verschwinden, wenn die Rue Austerlitz umbenannt wird in Rue Potsdam, wenn der Sächsische Landtag deutliche Abschiedsworte an seine ultrarechten Abgeordneten findet, dann - und erst dann - gehören die großen europäischen Kriege der Vergangenheit an
.

5. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005