Cicero im Zeugenstuhl
K. K. Bajun
Als vor zwei Tagen der Herr
Bundesaußenminister vor den sogenannten Visa-Untersuchungsausschuß
des deutschen Bundestags geladen war, schossen im Vorfeld dieses Ereignisses
die Spekulationen ins Kraut: Wie er sich wohl würde verkaufen
können, der Chef des Auswärtigen Amtes. Ob der „Chefankläger“
Herr von Klaeden dem profilierten Redner gewachsen sei. In so mancher
Redeschlacht wäre er ihm schon unterlegen. Ja, der Joschka Fischer,
das sei schon ein Rhetoriker vor dem Herrn.
An dieser Stelle wurde ich neugierig. Ist das wahr? Wird vor unseren
Augen und Ohren die alte Agora, das Forum Romanum wiederauferstehen?
Ceterum censeo Karthaginem esse delendam!?
Die zwölfeinhalbstündige Befragung gehört mittlerweile
der Vergangenheit an. Mein verehrter Herr Kollege Lemarcou berichtete
an anderer Stelle ausführlicher vom Gegenstand und dem Verlauf
der öffentlich übertragenen Ausschußsitzung und das
soll auch nicht Gegenstand meiner Betrachtung sein.
Die hohe Kunst der Überzeugung, getragen von den hehren Schwingen
der Rhetorik – es ist doch immer wieder ein Genuß, der
gesetzten Rede lauschen zu dürfen. Sollte uns das nach Jahren
des Stotterns und Blödelns, der versteppten und verwüsteten
Artikulation im Deutschen Fernsehen wieder geboten werden? Ich war
gespannt.
Was folgte, war schlichtweg ernüchternd. Vom rednerischen Aspekt
betrachtet, machte der von den westdeutschen Kommentatoren auf Platz
Zwei gesetzte Herr von Klaeden überhaupt keine schlechte Figur.
Ganz im Gegenteil, von allen Anwesenden brillierte er noch am meisten.
Und der vielbeschworenen Favorit, von dem die Journalisten noch im
Nachhinein behaupteten, er hätte einen Punktsieg davongetragen?
Einen Rhetoriker habe ich nicht gehört. Nirgendwo.
Was ich recipierte, war ein zur Beleibtheit tendierender Herr, der
die Wucht seines hohen Amtes mit den Ausmaßen seiner Leibesfülle
unterstrich und wirkungsvoll in Szene zu setzen verstand. Unser Altbundeskanzler
Herr Dr. Kohl mochte diesbezüglich eine gewisse Vorbildwirkung
vermittelt haben. Also, an der Körpersprache, der nonverbalen
Artikulation, war nicht zu rütteln. Das hatte was!
Aber der Rest! Der Rest!
Nein, das war nicht die geschliffene Rede, das Spiel der metrisch
und klanglich aufeinander abgestimmten Worte. Das war Flez auf höherem
Niveau – und darüber hinaus nicht viel mehr.
Da wurde ungezwungener Flaps in die Runde getragen. Das verstehen
westdeutsche Journalisten unter Rhetorik? O Sancta Simplicitas!
Hier saß ein Mann vom politischen Schwergewicht eines Vizekanzlers
einer Reihe von Abgeordneten gegenüber – er voll des Selbstvertrauens
und einer überragenden Selbsteinschätzung, die im Leben
nicht den Gedanken der Infragestellung des eigenen Ichs aufkommen
ließe, und diese Haltung fand ihren Ausdruck in der Wahl der
Worte und dem Modus der Rede. Nach der Devise „Was stört
es eine deutsche Eiche, wenn sich ein Rudel Säue an ihr schubbert?“,
wirkte die lässig-joviale Sprachwahl des Herrn Bundesaußenministers
eher überheblich, denn stilistisch geschliffen.
Daß sie dennoch auf die besagten Kommentatoren größten
Effekt machte, ist ein Armutszeugnis der verkommenen deutschen Sprachkultur,
deren einst fulminanter Glanz fußte auf den linguistischen Leistungen
der Väter Europas.
Und es ist noch mehr. Diese völlige Verkennung einer zweifelhaften
Selbstinszenierung läßt Rückschlüsse zu, die
dem neudeutschen Grundcharakter nicht eben schmeicheln, sich aber
dennoch wieder und wieder bestätigt finden: Diese Stieseligkeit,
dieses Unfreie, Gezwungene, dieser ganze angepaßte Krampf im
täglichen Umgang miteinander führt letztendlich dazu, daß
einer, der die unerhörte Schallmauer dieses ängstlich bedeckten
Gehabes durch unkonventionelle Konversation unterbricht, für
einen großen und der Freien Rede mächtigen Rhetoriker gehalten
wird. Gott, ist das jämmerlich!
Folgender Umstand wird dabei völlig ignoriert: Findet genau diese
Artikulation unterhalb einer gewissen gesellschaftlichen Ebene, nämlich
der des tonangebenden deutschen Muckertums statt, dann wird sie als
distanzloses, proletarisches Geschwafel mit kalter Verachtung bedacht.
Tönt es aber von den Gipfeln des Parnaß in derselben Weise,
dann – ja dann, liebe Freunde der klassischen Bildung, merket
auf: akustischer Balsam träufelt auf Euch hernieder.
Es war, ich resümiere es noch einmal, eine Wohltat, Herrn von
Klaeden in seinen Ausführungen zu folgen. Eine ruhige und gesetzte
Stimme, voll des Sachverstandes, von der sie getragen und geleitet
wurde, kontrastierte wohltuend zu den vielen hundert „Ääähs“
des mit so wohlwollenden Vorschußlorbeeren bedachten „Rhetorikers“
und Chefdiplomaten des Volkes der Dichter und Denker!
Daß Herr Fischer noch vor wenigen Wochen die Beliebtheitsliste
deutscher Politiker beim deutschen Volke anführte, sollte beiden
Seiten – ihm und dem Volke – Stoff zum Nachdenken bieten.
Zumindest Herrn Fischer sollte man die Fähigkeit zu ernsthafter
Reflektion durchaus unterstellen dürfen.
Man munkelt aber, er mache von dieser selbstkritischen Betrachtung
ebensowenig Gebrauch, als von seinem rhetorischen Potential, insoweit
ich dessen an jenem 25. April 2005 gewahr werden konnte.
Nein, hier war nichts Überzeugendes. Ganz im Gegenteil. Das,
was Herr Fischer an Inhalten zu transportieren gedachte, verkehrte
sich in den Ohren der Zuhörer mehrheitlich ins Gegenteil, wie
eine Internetumfrage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bestätigte.
Wenn es denn seit altersher der Sinn einer guten Rede ist, sein Auditorium
in den Bann der eigenen Ausführungen zu schlagen, dann hat der
Herr Bundesaußenminister weit, weit an diesem Ziel vorbeigeschossen.
So weit, daß man in der Welt des Fußballs von einem klassischen
Eigentor spräche.
Wir sahen also, unabhängig von den Fragen der gebotenen Sachaufklärung
allen Behauptungen einer dem Herrn Bundesaußenminister wohlwollenden
Presse widersprechend, einen weitaus überlegenen Herrn von Klaeden,
dessen scharf und präzise gewürzte Angriffe, unprätentiös
und zielgenau vorgetragen, lediglich zerrieben wurden im Spannungsfeld
zwischen den noch selbst vor dem Untersuchungsausschuß konkurrierenden
Mächten: Hie Vizekanzler und Außenminister, dort Abgeordneter
und Parteisoldat; hie geladener Zeuge, dort Obmann und einzig Frageberechtigter.
Darin bestand das eigentliche Dilemma des ganzen Schauspiels.
Dennoch will ich den Artikel nicht unversöhnlich beschließen.
Was die Wahl seiner Formulierungen betraf, so schlug sich der Herr
Bundesaußenminister über lange Strecken so schlecht nun
auch wieder nicht: für einen Ungeschulten sogar recht beachtlich.
Herrn von Klaeden merkte man die profunde Bildung durch und durch
an. Unverständlich bleibt nur die eklatante Fehleinschätzung
der Leistung beider Kontrahenten durch ein paar Vertreter der Presse,
die sich hüten sollten, in die Niederungen der Hofberichterstattung
abzusacken.