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Mengeles Schatten

S. M. Druckepennig
Welchen Vorrang räumt eine Gesellschaft er Leistung eines Menschen gegenüber seinen ethischen und moralischen Prinzipien ein?
Eine subtile Frage, wie es scheint. Doch die Antwort liegt für jedermann sichtbar auf der Hand. Ethik und Moral sind nur hohle Phrasen, um dem doofen Volk ein gewisses Wohlverhalten abzuringen.
Was, das glauben Sie nicht?
Nun, dann lassen Sie uns mal einen Blick auf die renommierte Einrichtung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft werfen! Schon deren ehemaliger Name spricht Bände. Nur weil ein blindes Schicksal den Halunken Wilhelm von Hohenzollern, den Chinesenmörder und Kriegstreiber, den Deserteur und Reichszerstörer an die Spitze einer Hierarchie von achtzig Millionen Menschen schleuderte, wurde seine Person gleichsam sakrosankt. Vielleicht sollten wir aber unsere Aufmerksamkeit eher auf die "Dienststellung" richten als auf den Menschen, der sie zufällig und unverdient bekleidet. Denn an sich war dieser Willi nur ein armes Würstchen, der auf sich allein gestellt keinen Topf Milch zum säuern gebracht hätte. Ohne seine Herkunft hätte er es sicher nicht einmal bis zum Bürovorsteher oder Vorarbeiter gebracht.
Doch viele, viele fanden für sich in der Person des Kaisers ein lebenswichtiges Identifikationsmoment. Niemand karikierte dies besser als Heinrich Mann in seinem "Untertan". Wir müssen an dieser Stelle genau unterscheiden zwischen der Institution "Kaiser" und dem Menschen, der sie ausfüllt. Unsere Vorfahren taten das in den seltensten Fällen - die Folgen waren fürchterlich.
An dieser Stelle also hätten wir eine der verderblichen Wurzeln ausgegraben, aus der unserem Vaterland so viel Elend erwuchs: die schon von Herrn Tucholsky so oft und bissig angegriffene blinde Amts- und Siegelgläubigkeit der Deutschen. "Ein Amt - das war wie die Majestät des Kaisers von Gott. Und ergo war der Wille des Amtsinhabers Gottes Wille. Letzteren stellt man einfach nicht in Frage!
Und so zog sich der Faden mit der Aufschrift "Sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über dich hat." durch alle Strukturen des Reiches vom Kaiserthron zu Berlin hinab bis zum Postbeamten Emil Pelle, irgendwo in der letzten ostpreußischen Provinz.
Diese nicht differenzierende und in höchstem Maße unkritische Haltung eines ganzen Volkes ist letztendlich in vollem Umfang für die unsäglichen Greuel während der Nazidiktatur verantwortlich. Und diese Haltung verhinderte noch Jahrzehnte nach dem Untergang der Banditen eine ehrliche Aufarbeitung des Geschehenen, eine Abrechnung und Ächtung der Verbrecher.
"Moment," werden Sie sagen, "was ist mit den Nürnberger Prozessen?" Ja sicher, man hat ein paar Galionsfiguren umgehauen, und auch ein paar Subalterne an den lichten Galgen oder in die Gefängniszellen gebracht. Aber das war doch Augenwischerei!
Ein Wernher von Braun, der den Londonern die V1 und die V2 ganz unbefangen beschert hat, bekam von den Alliierten nach dem Kriege die Möglichkeit, sich zum Vater der amerikanischen Raumfahrt zu profilieren. Kein Kriegsverbrechertribunal wagte es, sich gegen diese politische Entscheidung zu stemmen und Rechenschaft von Herrn von Braun einzufordern.
Doch ist das nur ein Paradebeispiel. Wieviele Ungeheuer im Arztkittel, die sich während des Nazi-Euthanasie-Programms ganz mächtig ins Zeug legten, praktizierten nach dem Ende des Krieges munter weiter! Unbehelligt und fern jeder Idee einer Entschuldigung bei ihren Opfern mauserten sie sich völlig schmerzfrei zum guten Onkel Doktor bei ihrem westdeutschen Patientenkreis. Zu nennen sei an dieser Stelle beispielsweise ein Julius Hallervorden, der als "Arzt" an der Vergasung von über einhundert geistig Behinderten in Brandenburg-Görden teilnahm, um sich der Hirne der Unglücklichen zu Forschungszwecken zu bemächtigen. Nach dem Kriege meinte er, es wäre doch eine unvertretbare Schande gewesen, das wertvolle Material verkommen zu lassen, wo doch die Leute schon einmal tot wären. Über Jahrzehnte wurden diese Präparate menschenverachtenden Forscherdranges in den Instituten aufbewahrt, bis sie erst jüngst verschämt beigesetzt werden konnten.
Wären es nur die paar Einzelfälle, man könnte sich arrangieren.
Aber mit der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, da tritt uns ein ganz dicker Hund entgegen. Sie meinen, ich würde mich in meiner Polemik zu einer zu blumigen Sprache versteigen? Na, ich setz' noch einen 'drauf! Geführt wurde diese "feine" Gesellschaft von ganz kapitalen Schweinehunden, wie einem gewissen Butenandt. Dieser Erzgauner im weißen Kittel und Maßanzug lehnte bis zu seinem Tode für seine und die Verbrechen der von ihm geführten Gesellschaft jede Entschuldigung ab. Dieser Mann, der zu großen wissenschaftlichen Erkenntnissen befähigt war, verschloß sich konsequent der Einsicht um das Verbrecherische seines Handelns.
Was diese Bande tat? Ich will es Ihnen sagen: Zusammen mit Prof. Dr. Freiherr Otmar von Verschur, des berüchtigten Mengeles Doktorvater und nach anfänglichem Berufsverbot per Rehabilitierung durch Kollegen sogar wieder Minister von Nordrhein-Westfalen, ließ sich die Verbrecherclique auf einen regen Austausch von Forschungsergebnissen und -material mit dem Vernichtungslager Auschwitz und dessen medizinischen Ungeist Mengele ein. Anforderungen und Auswertungen wanderten hin und her. Das Leid der Betroffenen war unermeßlich.
Doch die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, nach dem Kriege Max-Planck-Gesellschaft, weiterhin geführt von Butenandt, lehnte jede Stellungnahme ab. Von einer Entschuldigung ganz zu schweigen.
Erst der massive Druck der Opferorganisationen regte die Successoren Herrn Butenandts an, über die Verstrickungen der KWG (Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, heute Max-Planck-Gesellschaft (MPG)) in die Verbrechen der Nazis nachzudenken.
Das befriedigende Ergebnis dieser Aufarbeitung besteht darin, daß eine rückhaltlose und vorurteilsfreie Aufklärung ermöglicht wurde, in deren Anschluß sich der Biologe Peter Gruss als gegenwärtiger Chef der MPG bei den wenigen überlebenden Opfern ehrlichen Herzens entschuldigte.
Die meisten dieser Opfer sind nunmehr alte Leute. Ihr Leben ist zum größten Teil durch die an ihnen begangenen Verbrechen unwiederbringlich zerstört. Gibt es eine Wiedergutmachung, die dem angerichteten Schaden auch nur entfernt entspräche?
Das kann getrost verneint werden. Dennoch - eine Entschuldigung ist ein Anfang. Bedauerlich dabei ist nur, daß sie äquivalent zum Wahrschauer Kniefall nicht von denen kam, die das Grauen zu verantworten hatten, sondern lediglich von deren völlig schuldfreien Nachfolgern.
Wenn aber, wie im Falle des Bayer-Konzerns den Opfern jegliche Hilfe und Unterstützung konsequent verweigert wird und man getrost unterstellen darf, daß die Bayerleute auf eine biologische Lösung des Problems reflektieren, dann ist der Skandal als direkte Kontinuität zu den begangenen Verbrechen zu betrachten.
Über die hemmungslose und jeder Ethik bare Fratze der Profitgier, die bei 100%iger Gewinnaussicht keine Gefahr, selbst nicht die des Galgens, scheut, philosophierte seinerzeit schon der prominente Vordenker der Arbeiterbewegung Dr. Karl Marx.
Wenn wir unter diesem Aspekt das Thema unseres Artikels zu Rate ziehen, dann fällt unweigerlich jede Maske. Hier begegnet uns diese Fratze in all ihrer abgrundtiefen Häßlichkeit.
Menschen! Nehmt das Geschehene zur Kenntnis! Bewahrt es in Eurem Gedächtnis für alle Zeiten! Seht, was Profitwahn und Ausbeutungsgier hilflosen Mitmenschen antat: Industrielle Ausbeutung und Vernichtung menschlichen Lebens, menschlicher Gesundheit. Und, wenn dieser Spuk vorüber ist, Ablehnung jeder tätigen Verantwortung!
Das immer und immer wieder. Nicht nur durch Nazis, Industrielle und wahnsinnig gewordene Wissenschaftler. Afrikanische Kindersoldaten und thailändische Kinder-Prostituierte sind derselben Grundbosheit zuzuzählen. Hier, heute, auf unserer Erde.
Sollte sich das Kollektiv "Menschheit" nicht überwinden können, diese Urübel nachhaltig und global auszurotten, dann hat sie nichts anderes als ihre Distinktion verdient, sei es durch eine göttliche Sintflut, einen Kometen, oder einen Weltkrieg.
Um der Opfer willen!

5. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005