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Die Mission der Legionen und der Traum des Schriftleiters

Jules-Francois Savinien Lemarcou
Heute morgen kam unser Schriftleiter aufgeregt in die Redaktion gestürmt: „Kinders, nun ratet mal, was mir just die Nacht träumte!“ Erwartungsvoll schweiften seine Blicke in die Runde. Die Kollegen schauten erst etwas verblüfft, dann stieß dieser oder jener Ellbogen in die Seite des Nachbarn, ein dezentes Grinsen und Feixen verbreitete sich und dann brach das Geschnatter los: „Presseausweise!“ „Gehälter für das schreibende Volk!“ „Beständig Haussierende Wertpapiere!“ „Ein unbelastetes Wassergrundstück im Berliner Speckgürtel!“. Die Stirn des Alten begann sich zu furchen. Man machte sich offensichtlich über ihn lustig. Doch es war zu spät! Die kleine Flamme hatte Nahrung gefunden und schwoll an zu einem Flächenbrand. Es gab kein Halten mehr! „Urlaub in der Taiga, Provence, Apulien!“ „Eine eigene Klagemauer für den Schreibtisch, Modell 1:100!“ Finster starrte Fjö vor sich hin. Herr Akinokawa aber zitierte ein japanisches Haiku: „Natsukusa ya, tsuwamonodomo ga, yume no ato!“ Das bedeutete ins Deutsche übersetzt, daß Sommergras alles sei, was vom Traume des Kriegers übrig geblieben wäre. Der Schriftleiter sank auf seinem Ledersessel zusammen: „ Ich führe einen Kindergarten…“, murmelte er gebrochen vor sich hin. Dann raffte er sich auf: „Nein, verflucht! Ich habe geträumt – ungelogen – daß…“ Er zögerte. Seine Blicke schweiften unsicher über die erwartungsvollen Gesichter der Kollegen. Dann setzte er seufzend die begonnene Rede fort: „Nun, daß ich namens des Landboten mit einigen anderen Journalisten den amerikanischen Präsidenten einen Tag lang begleiten konnte.“ Stille. „Ja, das ist schon verrückt. Wie kommt man denn darauf?“, grunzte Don Miquele. Fjös Stimme rang um etwas Festigkeit: „Na ja, ich konnte mit der Air Force One mitfliegen, im Oval Office in der Ecke sitzen, mir Notizen machen, an Mitarbeiter Fragen stellen, Abläufe beobachten. War interessant. Besonders die Poststelle des Weißen Hauses. Nach welchen Kriterien die Eingänge gesiebt wurden… Unter anderem wurde eine Zeitung durchgelassen, deren Headline verkündete: How to use a good English grammar! Ich fragte die Zensurbehörde, ob denn das nicht einem Affront gegen die geheiligte Person des Präsidenten gleichkäme. Man müsse ihn in jeder Beziehung unterstützen, war die Antwort. Die Werke und Briefe Herrn Michael Moore’s dagegen ließen die Schredder und Papierkörbe überquellen. „Komisch…!“, dachte ich.
Merkwürdigerweise wurde für die Ausgänge die eidgenössische Post bemüht. Haben wohl kein rechtes Vertrauen in die U.S.-Mail gehabt. Hatte die CIA dort hinten etwa eine große Lupe in der Hand, made by The Watergate Magnifying Glass Builders Ldt.?
Wie dem auch sei, spätestens an diesem Punkte hätte mir aufgehen müssen, daß es sich um einen Traum handelte. Doch ich war zu ergriffen von den Möglichkeiten, die mir diese Akkreditierung bot. Ich weigerte mich, an das Irreale dieser Situation zu glauben. Das Sahnehäubchen war nämlich die Gelegenheit, zum Ende dieser Hospitation eine Präsidentendirektive zu formulieren. Das war wie bei der Guten Fee: Ein Wunsch hat jeder! Also dachte ich hin und her und dann stellte ich vor mein Auditorium und verkündete (und nun stand er wirklich auf): „Rom ist nicht an seinen Wasserleitungen aus Blei, sondern an seiner Arroganz und seinem Hochmut den unkultivierten Barbaren gegenüber erstickt. Und gleich ihm ein jedes Imperium, was sich in seiner Nachfolge sah. Sie alle bedienten sich hemmungslos an den Ressourcen der unterworfenen Nachbarn, bis diese irgendwann einmal definitiv die Schnauze voll hatten. Dann wurde die Solidität des herrschenden Staatswesens geprüft, gewogen und regelmäßig zu leicht befunden. Zurück blieben Ruinen und die Erinnerung an einst glorreiche Zeiten. Die Geschichte lehrt, daß sich Vorgänge dieser Art stets und ständig in ihrem Kern wiederholen.
Die amerikanische Nation hat nun unlängst einen speziellen Schulausflug zum Fach „History of the World“ unternommen. Er führte sie in den Mittleren Osten, nach dem Lande Mesopotamien. Dort, wo die ersten menschheitsprägenden Großreiche entstanden, die Stadtstaaten des Zweistromlandes, in dem fruchtbaren Gürtel entlang der großen Ströme Euphrat und Tigris, dort ließen sich solche Prozesse wie das Werden und Vergehen von durchorganisierten menschlichen Gemeinwesen betrachten wie unter einem Schauglas. Keine noch so hohe Entwicklungsstufe, kein noch so gewaltiger Reichtum, keine noch so weitreichende Macht schützte je vor einem fatalen Zusammenbruch. Erinnern wir uns des lydischen Königs Krösus, der das Orakel von Delphi um den Ausgang eines geplanten Feldzuges wider die Perser befragte! Das Orakel antwortete, daß er, würde er den Fluß Halys überschreiten, ein großes Reich zu zerstören im Begriffe sei. Er überschritt und das große Reich ging zum Teufel – nämlich sein eigenes!
Die wichtigste Lehre aus diesem bedeutenden Ereignis, das im Jahre 546 vor Christus stattfand, ist, daß es viele Flüsse gibt, die Halys heißen könnten. Ob man sie nun tatsächlich Rhein nennt, oder Euphrat oder wie auch immer, ist dabei völlig unerheblich.
Doch es gibt signifikante Unterschiede Damals war der Kontrahent des Krösus ein Perserkönig namens Kyros II. Zwei Heere, deren Mannschaftsstärken sich bestenfalls nach wenigen Tausenden bemaßen, wurden in Marsch gesetzt. Heute liegen die Dinge anders. Die Gegner der amerikanischen Expeditionstruppen im Zweistromland sind nicht eben ein paar zerlumpte Beduinen – es ist beinahe die gesamte Welt unter dem Halbmond.
In einem leidenschaftlichen Artikel des Landboten vom 15. April 2003 („Die vernichteten Kulturschätze von Bagdad, ein Verbrechen am Erbe der Menschheit“) wiesen wir bereits auf den Umstand hin, daß das eigentliche Ziel der Invasoren sich an ihrem Verhalten im überrannten Lande ablesen ließ. Während dem Ölministerium aller erdenklicher Schutz zuteil wurde, überließ man das irakische Nationalmuseum großzügig der Plünderung. Deutlicher ging es nicht. Kultur, Welterbe, ja sogar Hussein waren den Amerikanern scheißegal. Diesen Verbrecher würden sie ganz im Gegenteil noch großzügiger gemästet haben, als sie es im Iran/Irak – Krieg schon taten, wenn er sich denn zu einem proamerikanischen Satrapen erklärt hätte –alle denkbaren Vergünstigungen hinsichtlich des irakischen Öls garantierend, die von der amerikanischen Wirtschaft nur immer gefordert worden wären. Seine Menschenrechtsverletzungen, sein Völkermord an den Kurden, seine Gewaltherrschaft und schamlose persönliche Bereicherung auf Kosten von Millionen Irakern interessierten die Vorstandsetagen amerikanischer Konzerne nicht einmal peripher. Sie sind auf deren Rechenschiebern kaum als winzige Markierung vorhanden und daher völlig belanglos. Das bekam erst politisches Gewicht, als man einen plausiblen, rosarot angestrichenen Vorwand zum Einmarsch brauchte. Hier treffen wir auf die Essenz römischer Senatorenmentalität. Hier schallt uns die Stimme des Forum Romanum entgegen, das seinen Sitz nunmehr vor das Monument von Washington verlagert hat.
„Vae Victis!“, drohte einst der Gallierkönig Brennus den besiegten Römern. Liebe Amerikaner! Laßt es nicht soweit kommen, daß dieses Menetekel, welches euch schon deutlich mit dem brutalen Abriß der Zwillingstürme auf den New Yorker Himmel geschrieben wurde, zum Omen Eures Unterganges werde! Erkennt den roten Faden, der sich durch die Geschichte zieht! Ändert Eure von hirnloser Gier vernebelte Haltung und dokumentiert dies, indem ihr das Marinekorps um das irakische Nationalmuseum herum postiert. Hetzt das FBI auf die Fährte der Strolche, die sich an den geraubten Artefakten bereicherten. Treibt die Lumpen zu Paaren und klagt sie wegen Hochverrates an der amerikanischen Nation an! Denn um nichts weniger wiegt ihre Schuld. Wer euch die Vergangenheit, die in jenem Museum so anschaulich dokumentiert wurde, nimmt, der stiehlt euch den Blick auf eure Zukunft. Der läßt euch mit verbundenen Augen über die Planke gehen. Rohstoffe sind wichtig. Überleben ist wichtiger. Das irakische Öl aber kann euer Überleben nicht annähernd so sichern, wie es euch dünkt. Historische Weitsicht und aus ihr bezogene Entscheidungen können einzig dazu beitragen, daß ihr auch zum Ende dieses Jahrhunderts noch auf den Landkarten dieser Welt zu finden sein werdet.“
„Diese Rede hielt ich im Oval Office, meine Herren. Welche Resonanz ihr zuteil wurde, kann ich nicht sagen. Der Wecker klingelte, ehe Condy Rice auch nur die Lippen auseinander bekam. Schade eigentlich.“
Es war leise in der Runde. Einzig des Schriftleiters alter Ledersessel knärzte stöhnend, als sich sein Besitzer in ihn hineinfallen ließ.
Nach einer Weile hörten wir dann doch Herrn Akinokawas Stimme: „Sommergras, Herr Fjøllfross, ist alles, was geblieben ist vom Traum des Kriegers…!“

5. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005