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Habemus Papam!

S. M. Druckepennig
Die Katholiken der ganzen Welt haben einen neuen Chef: Benedikt den XVI. seines Namens. Der ehemalige Herr Kardinal Joseph Ratzinger aus Bayern wurde zum Diener der Diener erwählt, zum Nachfolger Petri, zum obersten Brückenbauer und Souverän des Vatikanstaates.

Wir freuen uns für ihn und die katholische Weltgemeinde.
Dennoch – etwas ist diesmal anders. Was war es, was uns anfänglich irritierte? Das Fehlen jenes überwältigenden, euphorischen Jubels, mit dem vor allem das damalige Polen die Amtseinführung Ihres Erzbischofs von Krakau begrüßte? Ja, die Bayern waren da schon etwas unterkühlter. Sie freuten sich auch, gar keine Frage. Aber so besoffen vor Glück wie die slawischen Nachbarn, das waren sie beileibe nicht. Nun hatte das Pontifikat Johannes Paul des Großen für die in der Geschichte allzuoft schwer gebeutelte, ja sogar mehrmals ausgelöschte polnische Nation eine fundamental andere Bedeutung: Sie, die Unbedeutenden, an den Rand Europas Gedrängten, bestenfalls als Bollwerk gegen Neu-Byzanz, den raubgierigen russischen Bären Mißbrauchten, die von diesem gefährlichen und starken Bruder so erbärmlich Geschundenen und Beklauten – sie waren auf einmal endlich Wer! Einer der ihren wurde zu einem Führer in der Welt. Man konnte wieder stolz das polnische Haupt erheben. Und dieser Pontifex erwies sich dann auch noch als tatkräftiger Bezwinger des Weltstalinismus.
Das alles entbehren die Bayern: „Mia san holt mia, und die Saupreißen san halt die Saupreißen! Und das mia mer san, dös is holt so und die Saupreißen, die Baazis, die sulln sich holt zum Teifel schern, sulln sich di, Kruzifix no amol!“
Will sagen, Bayern war in seinem Selbstverständnis schon immer die Mitte des kultivierten, christlichen Abendlandes – so wurde es durchaus mal wieder Zeit, daß einer der Ihren den vakanten Stuhl Petri besetzt.
Der letzte, der Hadrian, der war ein wenig unglücklich. 1522-1523 – war das nicht die Zeit, die dem Großen Deutschen Bauernkrieg unmittelbar voranging; die Zeit, in der die Luthersche Reformation schon wie eine überreife Frucht am arbor occidentalis hing?
Und da liegen unsere Bedenken begründet. Wieder balanciert das Abendland am Rande einer großen gesellschaftlichen Umwälzung. Das Habsburger Reich, in dem die Sonne nie unterging, heißt jetzt Europäische Union (nur zu schade, daß die Briten Hongkong an die Chinesen zurückgeben mußten, sonst würde Helios auch heute noch ohne Unterlaß über den europäischen Besitzungen scheinen). Und dieses Abendland ist von einer schweren wirtschaftlichen und damit einhergehenden moralischen Depression bedroht, die es in seinen Grundfesten erschüttern wird. Was folgt daraus? Das Kain wieder zum Schlag gegen Abel ausholen wird! Wie ich darauf komme? Immer, wenn die Ressourcen knapp werden, schielt man zum Besitz des Nächsten, der Neid sprießt, der Hunger drückt, die Gewaltbereitschaft steigt.
Nicht ganz einhundert Jahre nach dem Lutheraufstand gegen die etablierte katholische Kirche brach im alten Europa die Hölle los. Der Dreißigjährige Krieg ließ die Menschen bis dahin nicht erlebtes Grauen erfahren.
Einen großen Teil dieser Schuld hatte die Institution Kirche Höchstselbst auf sich geladen. Ihre Starrheit, ihre Befangenheit und ihre moralische Verkommenheit insbesondere bezogen auf Machtstreben, Simonie und Ablaßunwesen, die daraus resultierende Unfähigkeit, die Bedürfnisse ihrer einfachen Schäfchen noch im Mindesten zu erkennen oder gar zu berücksichtigen, brachten das Erdbeben, die Eruption, den Verlust großer Teile ihrer vormaligen Einflußsphäre.
An einem solchen Wendepunkt steht die Kirche auch heute wieder. Frauen fordern Zugang zu den kirchlichen Ämtern und Würden. Sie fordern, endlich als gleichwertige Menschenkinder anerkannt zu werden. Sie fordern die Revision des erniedrigenden Frauenbildes, welches die alleinseligmachende Mutter(!) Kirche auf Betreiben Paulus’ und einiger anderer frauenfürchtender Kirchenlehrer über die Jahrhunderte gezeichnet hatte. Schluß mit dem Unsinn von Eva als der Trägerin und Verbreiterin der Erbsünde! Priesterehen und Homosexuellenverbindungen sollen zugelassen werden, innerkirchliche Hierarchien sollen zugunsten einer Demokratisierung abgemildert werden. All das sind basale Forderungen, denen sich die Kirche nur entziehen kann, wenn sie insgeheim ihren Heldentod plant. Auf den mittelalterlichen Anschauungen und Verwaltungsmechanismen zu beharren, ist schlicht suizidal. Ignoriert die Kirchenobrigkeit ihre Basis, wird nämlich über kurz oder lang die Basis ihre Obrigkeit ignorieren. Die Leute werden den Gottesdiensten den Rücken kehren und schlimmstenfalls den Sekten in die Verbrecherarme rennen. Die Klingelbeutel werden abmagern – und da Geld in dieser Welt nun mal gleichbedeutend mit Einfluß ist, wird selbiger mit den Jahren bis zur Unkenntlichkeit schwinden.
„Halt, Halt!“, werden manche unter Ihnen jetzt rufen! „Was ist mit Lateinamerika? Dort nimmt die Zahl der Katholiken doch noch immer zu!“ Ja, fein! Aber haben Sie sich mal angesehen, wie das aussieht? Wenn Sie einen lateinamerikanischen Gottesdienst besuchen, werden Sie kaum etwas vom uns geläufigen katholischen Ritus wiederfinden unter all dem hineingemengten Voodoo und Samba und Sie sollten nicht erschrecken, wenn Maria Gottesmutter mit Pacha-Mama in Personalunion einherkommt. Daß mancher Priester dortzulande den militanten Marxisten recht nahe steht, was zweifelsohne der Not der ansässigen Bevölkerung geschuldet ist, sollte ebenfalls nicht verwundern. Oder was glauben Sie, warum Johannes Paul der Große den Lateinamerikanern im Vergleich zu den Europäern nur so wenige Kardinäle zugestanden hat, gleichwohl die meisten Katholiken dieser Welt dort beheimatet sind! Ein Südamerikaner mit der Tiara auf dem Kopf – das wär’s gewesen für die Konservativen des Vatikans!
Als nächstes hätten wir dann wirklich die Hoffnung hegen können, endlich einen Neger auf dem Stuhle Petri oder – was noch grandioser wäre – Päpstin Johanna II. in den Schuhen des Fischers begrüßen zu dürfen.
(Diese Idee hat sogar das Microsoft-Word-Programm überrascht, dessen automatische Fehlerkorrektur das Wort „Päpstin“ soeben rot unterstrich…)
Aber Scherz beiseite! Die katholische Kirche steht vor immensen Herausforderungen, wenn sie das dritte Jahrtausend ihres Bestehens überleben will. Und diese Herausforderungen haben viel mit viriler Flexibilität zu tun. Verkennt die Kirche die Zeiten der Zeit, hält sie Ihren großen Sohn Giordano Bruno, den sie irrwitzigerweise und in völliger Verkennung ihres Auftrags viehisch ermorden ließ, noch immer für eine Unperson, versäumt sie noch lange die Heiligsprechung Pater Friedrich von Spees, geht sie nicht langsam aber sicher auf die Befindlichkeiten ihrer Basis ein, sucht sie nicht bald den Schulterschluß mit den anderen seriösen Kirchen und Konfessionen, ja Religionen, dann wird es noch vor Ablauf des Jahrhunderts sehr schlecht um sie bestellt sein. Die elitäre Rolle ist ausgespielt – das Blatt, welches die Kurie in der Hand hält, wird mit jedem verpaßten Jahre mieser.
Und der Heilige Vater Benedikt XVI. – ein überaus scharfsinniger und gebildeter Mann – wie wird er sich diesen Herausforderungen stellen? Seine Biographie ist diesbezüglich wenig verheißungsvoll. Im Sinne des Glaubens, wie er ihn versteht, ist das Bewahren um jeden Preis sinnvoller als die Anpassung. Diese Einstellung erhob ihn unter Johannes Paul dem Großen zum Chefinquisitor – pardon zum Chef der Glaubenskongregation. Der kleine lapsus linguae unterlief mir geplant. Das gebe ich zu!
Doch der allmächtige Vater Israels tut, wie ER will! Vielleicht hat ER uns in jenem wackeren Bayern auch einen Heiligen Vater erstehen lassen, der wußte, daß er nur so und nicht anders in die Bereiche vorstoßen konnte, in denen einzig eine langfristige Änderung der Verhältnisse möglich ist. Wird am Ende vor unseren Augen aus einem Saulus Ratzinger ein Paulus Ratzinger, weil ihm der verstoßene Sohn Drewermann erscheint und traurig fragt: „Abbas, lieber Vater, warum verfolgst Du mich?“
Vor Gott sind alle Dinge möglich. Die Chance ist nicht sehr groß, zugegeben. Nichtsdestotrotz ist einem so brillanten Diener Gottes wie Benedikt XVI. durchaus zuzutrauen, daß er die Erfordernisse der Zeit ganz realistisch einschätzt und im Verborgenen die Aussaat für eine Zukunftsfähigkeit seiner Kirche in den Boden bringt – so ganz still und heimlich – wohl wissend, daß es seinen Successoren vorbehalten sein wird, die Ernte einzufahren. Er wäre nicht der Erste in der Weltgeschichte, von dem eine solche Wendung initiiert wurde, die man der Person selbst im Leben nicht zugetraut hätte.
Das Konklave hat nach unserem Dafürhalten gut entschieden. Und eines hat auch dieser Oberste Brückenbauer verdient: Das man ihn gewähren lasse und erst urteile, wenn das Bauwerk fertig ist.
Wir wünschen dem neuen Heiligen Vater aus ganzem Herzen Erfolg und Kraft und Beharrlichkeit, die Last, die ihm aufgebürdet wurde, mit der Größe zu tragen, die seinem unvergleichlichen Amte angemessen ist. Eines hat er, was viele seiner Vorgänger entbehren mußten – einen Großen Vorgänger, dessen leuchtender Weg Orientierung bietet und Halt und Zuversicht.
Möge er diesen Weg sicheren Fußes wandeln, bis auch er sich zu Füßen des Rebben wird ausruhen dürfen.

5. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005