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Komödiantische Chansonniers stehlen Königin die Show
2. Chansonabend im St. Paulikloster


Thomas Pigor

Michael. L. Hübner
Seit der Maueröffnung vor achtzehn Jahren hat man im Märkischen das Wort „Wahnsinn!“ wohl kaum mehr so oft, so laut, so konzentriert vernommen, wie am Sonnabend, dem 6.9. im Paulikloster. Doch von Anfang an. Das Brandenburger Theater richtete sein 2. Chansonfestival aus. Der Sonnabend gehörte Torsten Riemann, dem Trio, Thomas Pigor, Benedikt Eichhorn und Der Ulf (Ulf Henrich), sowie Barbara Thalheim und ihrem musikalischen Begleiter Jean Pacalet aus Frankreich.
Riemann, der schon zu DDR-Zeiten in der Liedermacher- und Chansonszene an vorderster Front mitmischte und der mittlerweile als Dozent an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch lehrt, wenn er nicht gerade durch die Welt tourt, legte kräftig vor: mit Gitarre, Piano und seinem 72-bässigen Excelsior-Akkordeon untermalte er sein vom Gefühlvollen, übers Philosophische bis hin zum Satirischen reichendes Repertoire. Als Zugabe offerierte er dem begeisterten Publikum einen deutschsprachigen klassischen Rock’n’roll rassig auf dem Klavier.
Was dann kam, war ein Naturereignis! Das Publikum konnte es teilweise nicht fassen, „…dass man so etwas auch mal in der Provinz geboten“ bekomme. „Das sieht man doch sonst nur in Berlin, Hamburg, Köln oder im Fernsehen!“ Die drei Herren Eichhorn, Pigor und Der Ulf definierten das etwas angestaubte Wort Chanson auf eine Art, dass es selbst betagtere Besucher nicht mehr auf den Stühlen hielt. Teilweise mussten die komödiantischen Chansoniers selbst mit ihrer Verstärker- und Lautsprecherbewaffnung im Rücken mit dem Gelächter und dem zahlreichen Zwischenapplaus des Publikums ringen. Die hochkarätigen Barden konnten einfach nicht ernst bleiben, selbst wenn sie sich die allergrößte Mühe gaben. Mit herrlich besoffener Stimme und göttlich gerolltem „r“ chansonierte ein furioser Thomas Pigor seinen Blues, während Eichhorn das Klavier traktierte und Der Ulf eine staubtrockene Miene zum brüllend komischen Spiel machte. Die Leute fanden sich wieder, wurden mitgerissen; da fegte im Spätsommer ein Frühlingssturm durch die alten Kirchenmauern, den die Potsdamer Meteorologen gewiss auf keinem Wetterschirm hatten.
Der eigentliche Höhepunkt des Abends, der Auftritt Barbara Thalheims, musste insofern gegen schwere See ansegeln. Die ungekrönte Königin des DDR-Chansons kämpfte tapfer und mit unwidersprochener Professionalität um ihren Thron. Pacalet, der Akkordeon-Virtuose aus den französischen Alpen und Absolvent des Moskauer Konservatoriums, leistete ritterlichen Beistand. Das Duett der beiden, in dem Pacalet mit wundervoll melancholisch intoniertem Bass den uralten Liebesbrief eines vielleicht napoleonischen Soldaten wiedergab, welcher von einer gewohnt burschikosen Thalheim ebenfalls gesanglich kommentiert wurde, darf wohl zu den Highlights des Auftritts gerechnet werden. Etwas zu klischeehaft, aber doch zum Nachdenken anregend: Thalheims Widergabe der afrikanischen Sicht auf uns Wohlstandseuropäer. Die etablierte Chansoniere vertrat ihr Genre zwar weniger experimentierfreudig als ihre feurigen Vorgänger, aber doch alles in allem sehr würdig und mondän.

 
B
6. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2008
03.11.2008