Gedanken
zum Herbst
Havelländer Autorengruppe veranstaltet öffentliche
Lesung im Industriemuseum
Michael L. Hübner
Das muss für einige von ihnen
ein denkwürdiges Gefühl gewesen sein, als die Havelländer
Autorengruppe ihre öffentliche Lesung am Mittwochnachmittag in der
Bibliothek des Industriemuseums veranstaltete. Immerhin fanden die gegenüber
dem alten Siemens-Martin-Ofen versammelten märkischen Poeten zu ihren
Wurzeln zurück. Die Havelländer Autoren, die heutzutage eine
Sektion des Brandenburgischen Kulturbundes e. V. bilden, gingen einst
aus dem Zirkel schreibender Arbeiter des Stahl und Walzwerkes Brandenburg
hervor. Damals war der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) daran interessiert,
dass die Arbeiter nicht nur malochen, sondern ihre Freizeit sinn- und
geistvoller Beschäftigung widmen. Diese honorige Einstellung hatte
sich dann mit der politischen Wende erledigt. Die schreibenden Arbeiter
aber wollten weiterhin ihrer Dichtkunst frönen und fanden sich zur
Havelländer Autorengruppe zusammen. Seitdem reiten sie wacker den
Pegasus, das geflügelte Ross der Dichter, auf eigene Faust, lassen
sich von der Muse küssen und treffen sich jeden zweiten Donnerstag
im Monat im Fontaneklub, um sich gegenseitig zu inspirieren, vorzulesen,
auszutauschen. Es sind Menschen, die in Natur und Alltag genauer hinschauen,
das Gesehene reflektieren, sich Gedanken machen. Aus den gesammelten Werken
drucken sie mit Hilfe der Stadt, der Mittelbrandenburgischen Sparkasse
und des Landkreises Potsdam Mittelmark Anthologien, deren bereits drei
erschienen sind. Bei Melcher und im Industriemuseum kann man sie erstehen.
Zweimal im Jahr aber, im April und im Herbst veranstalten die Autoren
eine öffentliche Lesung bei freiem Eintritt. Diesen Herbst nun lud
die Direktorin des Industriemuseums Dr. Sieglinde von Treskow zu Gast.
Die Museologin wollte den „Stahlwerks-Traditionen“ der Gruppe
nachspüren, die ja den Fachbereich ihres Museums direkt betreffen.
Die Lesung selbst stand unter dem Thema des Herbstes: dem in der Natur
und dem des menschlichen Lebens. Es war für beide Seiten ein Gewinn.
Vier Damen und der Finanzmanager der etwa ein Dutzend zählenden Poeten
trugen vor 27 Zuhörern aus ihren Arbeiten vor, jeweils ein Kurzstück
in Prosa, dazu ein kleines Gedicht. Sehr atmosphärisch, mit viel
Seele und Talent – nun gut, den Pulitzer werden sie nicht abräumen
wollen und Hemingway, Laxness und Strittmatter sitzen noch immer auf ihrem
Thron. So hoch hinaus wollen sie auch gar nicht, die Havelländer
Autoren. Ihnen geht es um die Heimat, um die Reflektionen des eigenen
Lebens – und was sie schreiben, das hört sich gut an. Sie malen
mit Worten, manchmal noch ein wenig ungelenk und auch die Stilsicherheit
birgt mitunter die eine oder andere Reserve. Doch was macht das schon.
Dafür tauschen sie sich ja aus, regen sich untereinander an, geben
Impulse. Es ist schön, dass Brandenburg an der Havel eine Autorengruppe
sein eigen nennt. Kurzweilig war es und spannend, das Zuhören ein
Genuss. Die Havelländer Autoren selbst würden sich über
schreibenden Nachwuchs freuen. Wie gesagt: Jeden 2. Donnerstag im Monat,
abends im Fontaneklub… |