zurück
zum Landboten
|
Förster
Dachs erzählt
Johann E. Laube
B. St. Fjøllfross
Dieses Buch ist ein Phänomen.
Eines, das besprochen werden muss! Dabei ist es unsagbar schwierig ihm
gerecht zu werden. Denn hier begegnen sich zwei Epochen, die durch einen
hundert Jahre tiefen Graben getrennt sind. Der königlich-preußische
Förster Augustus Dachs durchstreift von seiner Försterei am
Maldeuter See aus die umliegenden Wälder seiner Staatsforst und erzählt
an seinem Stammtisch dem Pastor, dem Lehrer und vier Großbauern
– also „Honoratioren“ seines Schlages, von den Erlebnissen
seines langen Försterlebens. Der Verlag schreibt dazu, das sei „…kerngesunder
Humor, über den man Tränen lachen muss…“ und der
Förster wäre „…ein Mann voller Schnurren und Absonderlichkeiten,
doch mit dem Herz am rechten Fleck.“ Diese Worte mögen den
Verkauf des Werkes fördern, das sich zugegebenermaßen schon
seit über achtzig Jahren auf dem deutschen Buchmarkt hält und
zum Zeitpunkt seines Ersterscheinens wohl die Sehnsucht nach der „guten,
alten Zeit“ zu wecken verstand. Sie sind aber nicht wahr. Es gab
sie nicht, diese „gute, alte Zeit“. Es hat sie nie gegeben
und gerade der „Förster Dachs“ ist dazu angetan, jegliche
Maske von einer solchen Illusion herunterzureißen. Das sind keine
Försterschnurren, das ist ein Diorama einer brutalen Welt, ein Frontbericht,
der für uns heutige Leser abstoßend und erschreckend zugleich
ist. Diese Front verlief kreuz und quer durch die ostpreußischen
Wälder, sie verlief zwischen bettelarm und mäßig begütert
und stinkreich. Sie verlief zwischen notorischem Hunger und unbeschreiblichem
Elend Vieler und der Verschwendungssucht Weniger. Sie verlief zwischen
Wilddieben, Fischdieben und Waldfrevlern auf der einen Seite und der preußischen,
beamteten Staatsmacht auf der anderen. Das war keine romantische, das
war eine gnadenlose und unglaublich harte und brutale Front. Hier ging
es um Leben und Tod. Ja, hier ging es ums nackte Überleben. Am meisten
für die Wilderer und die Holzdiebe, die sich seltenst aus Jux und
Dallerei am Staatseigentum vergriffen. Das war die pure Not. Dachs selbst
beschreibt die erbärmlichen Lebensumstände der ostpreußischen
Landarmut auf das Eindrücklichste. Aber er tut es ohne großes
Mitgefühl. Für ihn ist das eine gottgegebene Welt. Wenn er mal
ein bedauerndes Wort spricht, dann hat das keine Konsequenz. Nicht in
seinem Denken und Handeln. Er weiß, dass viele Siedlerfamilien ohne
Wilderei nicht überleben können – und alleine, dass sie
noch am Leben waren, galt ihm Beweis genug für den Wald- und Flurfrevel.
Nun brauchte er die armen Teufel nur noch zu observieren. Und dann –
Zugriff! Ein Anruf, dann – gezielter Schuss. Ein Leben von diesem
verdreckten Abschaum war nichts wert. Ließ er sie leben, drosch
er sie zum Krüppel, wie er überhaupt alles verdrosch, was seiner
Gewalt anheim gegeben war: Hunde, Kinder, Siedler. Eine preußische
Beamtenseele? Nein, eher eine preußisch-pervertierte Büttelseele
– denn das war er: ein Scherge im Grünrock. Nach oben dienerte
er. Ein offensichtlich wildernder Grafensohn wurde zwar ebenfalls mit
forschem Anruf zum Stehen gebracht – musste aber keineswegs befürchten,
im nächsten Augenblick über den Haufen geschossen zu werden.
Er amüsiert sich, dass er dem Herrn Minister auf Besuch Rabchens
statt Rebhuhnchens servieren kann, ohne dass der fromme Betrug aufkam.
Ansonsten verteidigt er seine Prügelorgien tapfer auf dem Dienstweg
nach oben, wenn der Herr Forstrat ihn mal wieder ob solcher Beschwerden
sanft lachend vermahnte. Es schüttelt uns.
Sicher, in Dachsens Flur hatten zart besaitete Gemüter keine Chance.
Vielleicht war um diese Zeit herum ein so schnoddriges, eiskaltes und
gefühlloses Naturell vonnöten. Die Gegner waren auch keine Kinder
von Traurigkeit und wurden vom ärgsten Feind der Menschheit getrieben
– dem Hunger. Sie hatten oftmals nur die Wahl, durch Förstershand
zu sterben oder langsam abmagernd zu verrecken. Auch den evangelischen
Pfarrer rührte das mitnichten, wenn er am Stammtisch sitzend Dachsens
Berichten lauschte. Die Antwort seiner Kirche, der Allerbarmerin mit den
Armen dieser Welt fand sich mit den Aktionen der letzten Kaiserin, der
Kirchenjuste, deutlich artikuliert. Als Zille die Hungerbäuche der
Berliner Stadtarmut zeichnete, setzte Auguste dieser menschlichen Katastrophe
einen Himmelragenden Kirchenbau aus kaltem Stein nach dem anderen entgegen.
Millionen von Reichsmark für das Seelenheil und die Aussicht auf
eine andere, bessere aber vor allem sehr ungewisse Welt nach dem Tode
– für das nackte Überleben in der sehr reellen diesseitigen
Welt kein „Dittchen“, wie es bei Dachs heißt. So, genauso,
bereitet man von Seiten der Obrigkeit Revolutionen vor. So erschafft man
Kommunisten. Und so erschafft man eine SS. Förster Dachsens Boffkes
hätten gut in den schwarzen Schandrock gepasst. Insofern war es eine
Dummheit, dass man den Förster Dachs in der DDR selig auf dem Index
führte. Gerade dieses wahrscheinlich einzige Buch, was Johann E.
Laube je schrieb, hätte vielen Leuten die Augen öffnen können,
wie es im Kaiserreich wirklich zugeht. Dachs selbst ist ja nicht blöde:
Da hält er an die zusammen getriebene und von seinen Hunden eingekesselte
Dorfarmut eine feurige Ansprache. Nachdem er sie ausgiebig wegen ihrer
Zerlumptheit verhöhnt und ihnen ihre auswegslose, grauenhafte Situation
unter die Nase gerieben hat, wirbt er sie als Spitzel an und zwingt die
armen Kreaturen endgültig in das Kreuzfeuer zwischen allen Fronten.
Lauschen wir doch mal seiner Rede denn sie sagt alles: „Da steht
ihr nu vor eurem von Gott eingesetzten Oberhaupt, dem Königlich Preußischen
Förster Dachs zu Maldeuten, dreckig und mit die Triefaugen, und habt
Angst bis in den Hosenboden ’runter, weil dass ihr wisst, was nu
von mich zu euch kommt. Von was lebt ihr? Habt kein Krum Feld, nuscht
wie die elenden Kabachen, mit Stroh gedeckt und aus dem Fiskus gestohlenen
Holz gebaut. Also, ich frag’ euch noch mal: von was lebt ihr? Stinken
stinkt ihr drei Meilen gegen den Wind wie de offenbare Sünde und
seid auch nuscht weiter wie de offenbare Sünde. Ihr denkt, die Pans
auf die Rittergüter sind reich, und der Herr Kaiserchen is noch reicher,
da schad’t nuscht, wenn ihr stehlt, was ihr zu fassen kriegt. Haschens
und Rebhuhnchens und Wildentchens und Holz und Obst, Kartoffeln und alles,
was euch der liebe Gottchen so man still im Weg legt. Alle Naslang kommt
ihr im Kreisgefängnis und wieder ’raus, und dann setzt ihr
das gottungefällige Treiben wieder fort. Ich aber, als euer Wohltäter
und Oberhaupt, werd’ euch nu wieder so pö a pö in de preußische
Ordnung einrenken. Ich werd’ euch, wie ihr seid, stinkend und mit
die Triefaugen, sozusagen selber zu preußische Forstbeamte machen,
wenn auch man von kleinstes Kaliber. Aber unter meine Oberhoheit und meinen
Knüppel sozusagen.“ Dafür will er ihnen ab und zu durch
die Finger sehen und ihnen auch sonst etwas für „die tägliche
Notdurft“ zukommen lassen. Aber wehe, es arbeitet einer „mit
zwei Gesichtern, den werd’ ich mit dem Knüppel im Zuchthaus
dreschen! ... Ihr Hundsblut, habt ihr mir verstanden? “
Das ist das Verhältnis des Försters zu den „Menschkens“.
Hundsblut sind sie und so behandelt er sie auch. Selbst Leute, die ihm
das Leben retteten, wie die alte Emiljane Sotschok sind ihm nur Dreck.
Einem Wilddieb, der ihn aus dem See zieht, als er sich selbst ersäufen
will, geht er gar an die Gurgel. So ein Kerl ist er. Nein, so ein Scheißkerl
ist er. Ein Geldverschwendendes Marjellken aus der Kreisstadt hat einen
Anspruch auf Ehrerbietung und Menschenwürde, weil ihr Vater Geld
hat. Die armen Schlucker nicht – weil sie keines haben. Sie, die
in jammervollster Unbildung dahinvegetieren, es aber in Fähigkeiten
des täglichen Überlebens mitunter zu wahrer Meisterschaft bringen,
sie sind ihm – wenn sie sich denn mal seinen Diensten anheim geben
– nicht mehr wert als seine Spürhunde. Und so liest sich denn
auch der verbale Nachruf am Stammtisch, wenn es einen seiner Spitzel dann
doch mal erwischt hat. Einen anderen armen Teufel schoss er einst versehentlich
in den Kopf. Als dieser dann aber für Dachs zu freche „Entschädigungsforderungen“
vortrug, schoss er ihm wütend und mit voller Absicht in den Hintern
und trieb ihm so seine Frechheit aus. Er schießt auf einen Menschen
– und der versammelte Stammtisch lacht. In den Hintern – ist
doch lustig! Haben der Pfarrer und der Lehrer auch mitgelacht? Sicher
doch. Auch die hatten so ihre Erfahrungen mit den Hintern der ihnen anvertrauten
Kinder. Werden auch weidlich zugedroschen haben, vielleicht auch manches
andere. Wenn man wissen will, wie man ein Volk in die Raserei eines Weltkrieges
treibt, dann braucht man nur den Dachs zu studieren: Die Opfer, aber auch
die Förster, Lehrer, Pfarrer und den ganzen finsteren und brutalen
Humor, diese elende Geringschätzung des Armen, dieser unchristliche
Irrsinn. Oder sollte man sagen, dieser zutiefst christliche Wahnsinn?
Begriffe aus der Staatsreligion tauchen über und über auf in
Laubes Buch. Aber es sind nur Floskeln aus dem Katechismus-Unterricht,
die in den verrohten Hirnen hängen geblieben sind – nichts
weiter. Es sind die schlimmsten und gottlosesten Raubtiere, die sich dort
auf 126 Seiten gegenüberstehen – es sind Nackte Affen ohne
das geringste Anzeichen ethischen Empfindens. Es sind Schwänke aus
der Hölle, der Hölle des paradiesischen Ostpreußens, des
geliebten Landes, das zum Inferno erst durch die Präsenz jenes Nackten
Affen wird. „Wenn Du einen Filiponen (Angehöriger einer orthodoxen
russischen Sekte) abschießt, dann trag einen Wolf in dein Schussbuch
ein“, belehrt Dach seinen Eleven, „denn die Filiponen sind
schlimmer als die Wölf’!“ Nicht nur die Filiponen…
Nicht nur die Filiponen!
Warum nur lieben wir dieses verdammte Buch!
|