Unrat
im Theater
Märkische Leselust gibt Heinrich Manns „Professor
Unrat“
Kotofeij
K. Bajun
Die Märkische Leselust, das Format von Format des Brandenburger Theaters,
eröffnete seine Herbstsaison 2008 mit einem Paukenschlag: Den Professor
Unrat hatte sich Hans-Jochen Röhrig auserkoren. Den Prototypen des
an der Seele kranken, sadistischen deutschen Paukers der Kaiserzeit las
und spielte er selbst. An seiner Seite eine bezaubernde Caroline Lux,
die für die verhinderte Nadine Schori einsprang und ein brillanter
Peter Wagner. Die etwa 30 Besucher kamen mehr als auf ihre Kosten. Obwohl
der erste epochale Roman Heinrich Manns, mit dem dieser das Wilhelminische
Zeitalter einer gandenlosen Vivisektion unterzog und all seine Bigotterie
und Verlogenheit der Lächerlichkeit preisgab, eher tragische denn
erheiternde Momente birgt, brachten es die drei Potsdamer Mimen zuwege,
dass das Publikum zeitweise Tränen lachte. Welch eine Herausforderung
für Caroline Lux, den Part der Rosa Fröhlich zu spielen! Immer
den Schatten Marlene Dietrichs im Rücken. Doch Chapeau! Caroline
Lux zwitscherte, kokettierte, trällerte diesen Schatten mit derselben
Leichtigkeit und völligen Unbekümmertheit hinweg, mit der Rita
Herzog ihr begleitendes Klavier spielte. Die verdorbene Unschuld war der
Schauspielerin auf den filigranen Leib geschrieben, selbst die anwesende
Damenwelt blickte ganz verliebt auf dieses Paradiesvögelchen. Nadine
Schori konnte der Kollegin die anspruchsvolle Rolle ruhigen Gewissens
überlassen. Hans-Jochen Röhrig, die Seele der Märkischen
Leselust, hatte wohl den rauesten Wind im Gesicht. Er, dessen Seele das
ganze Gegenteil des von ihm verkörperten Professors Unrat ausmacht,
musste den verkommenen Provinztyrannen geben und er tat es mit solcher
Bravour, mit solchem Humor, einer so sublimen Überzeichnung der Figur,
dass am Ende ein begnadeter Schauspieler mit treffsicherem Instinkt die
Figur des Heinrich Mann’schen Schultyrannen aufgriff. Und dann Peter
Wagner… Die aufsässigen Schüler Lohmann, von Ertzum und
Kieslack, die Opponenten des misanthropischen Pädagogen, fanden ihn
ihm ihre Stimme und Gestik. Zur Höchstform aber lief er auf, wenn
er verschiedene proletarische Rollen mit seinem herrlichen norddeutschen
Dialekt unterlegte. Das Publikum wurde aus dem Großen Foyer des
Stadttheaters direkt in den „Blauen Engel“ entführt und
dankte der kleinen, aber nichtsdestotrotz exquisiten Truppe mit beseligtem
Applaus. |