Mit
den Augen hören
Buchmann-Ausstellung in der Kunsthalle Brennabor
Michael L. Hübner
Bildende Kunst sollte dem Betrachter
verständlich sein und keine Gemeinde um sich versammeln, die ehrfürchtig
heuchelnd des Kaisers neue Kleider bestaunt. Diesem Credo folgt der 1944
in Schleswig geborene und in Berlin lebende Dietmar Buchmann. Der Maler
und Filmemacher eröffnete am Freitag, dem 29. August in der Kunsthalle
Brennabor seine Ausstellung „Hallo, hören Sie mich“.
Wie der Künstler selbst sagt: „Es sind keine Sofabilder…“
Nein, für den gewöhnlichen Dreizimmer-Haushalt in sind sie wirklich
nicht geschaffen. Doch das tut ihrer ausnehmend beeindruckenden Qualität
keinen Abbruch. Das Faszinierende an ihnen sind sicher nicht einmal die
Maltechnik und die Perspektive, die der Künstler gleichermaßen
beherrscht. Das Alleinstellungsmerkmal dieser Exhibition besteht in seinem
fordernden Anspruch, den sie gegen den Betrachter erhebt. Eine junge Schönheit
liegt auf dem Rücken im Wasser. Das ist „Ophelia“, belehrt
uns die knappe Bildunterschrift. Und spätestens jetzt sollte etwas
mehr von Hamlet präsent sein als das ewig zitierte „Sein oder
nicht sein,…“. Überhaupt fordern die Bilder des Dietmar
Buchmann den ganzen universalen Kanon der klassisch-humanistischen Bildung
des Abendlandes ein. Wer war Ikarus, wie hat Ariadne ihren Theseus durch
das Labyrinth des Minotaurus geleitet und warum? Wer das Alte Testament
nicht kennt, wird kaum verstehen, welche Beziehung zwischen Jona und dem
Wal bestand. Wer war Montezuma, und was wurde dem Inka angetan? Wofür
sollte er sich rächen wollen in „Montezumas Rache“? Mozarts
„Zauberflöte“, Schinkels Bühnenentwurf für
den Auftritt der Königin der Nacht und die altägyptische Göttin
Nut geben sich ein Stelldichein – das Ganze erschließt sich
nur dem, der mit allen drei etwas anzufangen weiß. Der Rest sieht
nur einen schönen Sternenhimmel mit einer horizontal auf der Seite
schwebenden, nackten Dame. Tarotkarten sind seit dem Mittelalter unendlich
viel mehr als ein insuffizientes Hilfsmittel um die Zukunft zu präsentieren.
Sie widerspiegeln den reichhaltigen Kosmos der mittelalterlichen Philosophie
und Weltanschauung, die Lebenserfahrung hunderter Generationen. Auch das
sollte man wissen, wenn man sich den das Triptychon vom berstenden Turm
aus der „Zerstörung“ betrachtet. Nackte Menschen stürzen
ins Bodenlose. Buchmann entkleidet nicht nur die Körper, er entblößt
mit scharfem Sarkasmus die Seelen; so in seiner „Selbsterfahrungsgruppe“.
„Er bringt die Dinge auf den Punkt“, wie die Besucherin Sabine
Katerbow beifällig erläutert. Da sitzt eine byzantinische Madonna
am Rande einer Fahneneidzeremonie, auf dem Schoß das die Welt segnende
Jesuskind, der Christus Pankreator. Doch die Strähnen über dem
Säuglingsscheitel und die Verschattung unter der Nase lassen den
Betrachter nicht los. Das ist doch der kleine Hitler! Der grüßt
mit seiner Schreckensverkündenden Hand aus dem Bild heraus. Unbarmherzig
ist der schwarze Humor des Künstlers und scharf wie das Seziermesser
des Pathologen. Sein Totentanz steht denen seiner mittelalterlichen Kollegen
in nichts nach. Die Immaculata, ein beliebtes Motiv der Renaissance, wird
als junge, rassige Gottesmutter spanischen Typus’ abgebildet, die
ihren schmächtigen, gekreuzigten Sohn in den Armen hält. Eine
Pieta mit entblößter, sinnlich-voller, rechter Brust. Hölzern
und zerbrechlich wirkt der Erlöser. Im Hintergrund aber überwacht
die wuchtige Gestalt eines Bischofs in Kasel und Mitra die Szene. Das
Kruzifix hält er wie eine Waffe in der linken Faust umklammert. Auf
einem anderen Werk treibt ein kleiner Junge seinen Reifen lachend mit
einem Stöckchen an den grauenhaften Bergen von Schuhen, Kleidern
und Menschenschädeln aus Auschwitz vorbei. Mehr braucht es nicht
um eine glasharte Aussage zu treffen. Doch Buchmann ist keineswegs der
verbitterte Poet von Pinsel und Farbe. Bezaubernde Landschaftsstudien
von mystischem Flair sind ebenfalls schon unter seinen Händen entstanden.
Man vermisst sie auf dieser Ausstellung, die natürlich einem anderen
Thema verpflichtet ist. Die niederländischen Giganten Breughel und
Bosch standen wohl ebenfalls bei den Ideen des Künstlers Pate. Ausgiebig
bedient sich Buchmann deren Werkzeugs der Ikonographie: Jedes Detail,
jede Farbe, jeder Gegenstand berichtet weitaus mehr als er auf den ersten
Blick preisgibt. Und jede Anleihe, jedes Zitat wird in den Kontext der
lebendigen Gegenwart gerückt und somit die Immanenz menschlicher
Verhaltensmuster betont. Buchmanns Bilder ermuntern den Besucher: „Rede
mit uns – wenn du kannst, aber zunächst: höre zu!“ |